Seiner Zeit voraus

Erhard Eppler passt in keine Schublade
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Politiker wie Erhard Eppler waren schon in den Sechziger- und Siebzigerjahren rar und sind es heute erst recht. Das muss mit Wehmut feststellen, wer diese Biographie liest.

Politiker wie Erhard Eppler waren schon in den Sechziger- und Siebzigerjahren rar und sind es heute erst recht. Das muss mit Wehmut feststellen, wer diese Biographie liest. Eppler verbindet Eigenschaften, die oft als unvereinbar gelten: Er hat Grundsätze und hat seine Einsichten doch immer wieder geändert. Er ist ein Intellektueller und kann sich verständlich ausdrücken. Er ist im Schwäbischen verwurzelt und Kosmopolit. Er ist ein engagierter Protestant und vermischt nicht Theologie und Politik. Ja, Eppler wendet sich "entschieden gegen die Reduzierung der christlichen Religion auf die christliche Ethik, so wichtig mir die christliche Ethik ist".

"Nie grundsätzlicher Pazifist"

Medien, politische Gegner und Parteifreunde haben ihn oft in Schubladen gesteckt, in die er nicht hineingehört. So betont er zu Recht, "nie grundsätzlicher Pazifist" gewesen zu sein. 1949 noch "irgendwo zwischen CDU und SPD" stehend, trat Eppler 1952 der Gesamtdeutschen Volkspartei Gustav Heinemanns bei, weil er es unehrlich fand, dass Konrad Adenauer so tat, als sei beides zu haben, die Wiederaufrüstung Westdeutschlands und die Wiedervereinigung.

Im Gegensatz zu seinem väterlichen Freund Heinemann hat Eppler aber darauf verzichtet, in der Politik theologisch zu argumentieren. Heinemann bekämpfte die Wiederbewaffnung aus vernünftigen politischen Gründen, aber auch weil Gott den Deutschen "die Waffen aus der Hand geschlagen" habe. So könne man "in einer pluralistischen Gesellschaft nicht argumentieren", kritisierte Eppler.

Dass er vom Spiegel und anderen Medien als "Pietist" und von Herbert Wehner als "Pietcong" bezeichnet wur­de, nimmt der liberale Protestant gelassen, "da man nördlich des Mains jeden Schwaben, der mal in die Kirche geht, für einen schwäbischen Pietisten hält". Den von Pietisten oft kritisierten Kirchentag, dessen Präsident er zweimal war, hält Eppler für "die sympathischste Form von Kirche".

Entmythologisierung

Altbundeskanzler Helmut Schmidt ist seit einigen Jahren, auch mit Hilfe der Medien, zu einer Kultfigur geworden. Da ist es gut, dass Epplers Biographie ein wenig zur Entmythologisierung beiträgt. Eppler zollt seinem Parteifreund durchaus Respekt. Ja, er räumt ein, "bis etwa 1970" ähnlich wie Schmidt gedacht zu haben. Doch als Entwicklungshilfeminister wurde Eppler auf die ökologischen Probleme gestoßen. Schmidt erkannte diese damals genauso wenig wie die Bedeutung der Grünen. Ja, zu deren Aufstieg trug seine Ignoranz ungewollt bei. Angesichts ihrer unterschiedlichen Auffassungen ist es erstaunlich, dass beide, Eppler und Schmidt, stark durch den britischen Philosophen Karl Popper und den deutschen Soziologen Max Weber beeinflusst sind.

Das vorliegende Buch ist keine klassische von einem Autor geschriebene Biographie. Die Journalistin Renate Farber-Husemann hat mit Eppler vielmehr ein langes Interview geführt, das von durchgeschriebenen Kapiteln unterbrochen wird. Hier kommen auch Weggefährten Epplers zu Wort. Die Zweiteilung hat allerdings zur Folge, dass sich manche Aussagen doppeln. Trotzdem ist die Lektüre anregend. Denn Eppler zeigt sich im Interview als Meister des Wortes und origineller Denker. Und man erfährt auch viel Persönliches: über das Aufwachsen in der Nazizeit, die Prägung durch einen Studienaufenthalt in Bern, unmittelbar nach dem Krieg alles andere als selbstverständlich, und Epplers Freundschaft mit John le Carre (79). Der englische Schriftsteller ist Pate von Epplers jüngster Tochter. Erhard Eppler wird am 9. Dezember 84 Jahre alt. Geistig frisch geblieben ­äußert er sich immer wieder zur aktuellen Politik, auch in dieser Biographie.

So ist sie nicht nur ein Rückblick. Die einen können über die Aussage nachdenken, dass es eine Illusion sei, in Afghanistan kehre Frieden ein, wenn die westlichen Truppen abziehen. Und Anhänger eines neoliberalen "Marktradikalismus" erinnert Eppler daran, dass dieser "Appell an den Egoismus" allem widerspreche, "was wir 2000 Jahre lang unter europäischer Ethik verstanden haben".

Renate Faerber-Husemann: Der Quer­denker Erhard Eppler. Eine Biographie. Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2010, 294 Seiten, Euro 24,90.

Jürgen Wandel

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