Die Hölle ist ausgelöscht

Warum die Hoffnung auf Allversöhnung theologisch legitim ist
Giovanni di Paolo: Selige im Paradies, Ausschnitt aus "Das Jüngste Gericht", um 1465. (Foto: akg-images/Rabatti - Domingie)
Giovanni di Paolo: Selige im Paradies, Ausschnitt aus "Das Jüngste Gericht", um 1465. (Foto: akg-images/Rabatti - Domingie)
Die Unvereinbarkeit ewiger Höllenqualen mit dem Glauben an den Vater Jesu Christi liegt derart klar am Tage, dass eine schließliche Versöhnung aller Dinge durch und mit Gott nicht nur ohne Scheu zu hoffen, sondern auch zu lehren als Gebot theologischer Vernunft gelten kann.

In letzter Zeit haben Zeitschriften wie idea Spektrum und CA (Confessio Augustana) mit Titelbeiträgen aufgewartet, die für die theologische Annahme der Hölle, eines "ewigen Abseits" argumentieren. Damit wollen sie offenbar der verbreiteten Haltung jener Unentschiedenheit auf dem Gebiet dieser "letzten Dinge" entgegengetreten, die sich an dem Christian Gottlieb Barth zugeschriebenen Votum orientiert: "Wer nicht an die Allversöhnung glaubt, ist ein Ochs; wer sie aber lehrt, ist ein Esel."

Solcher Nichtfestlegung lässt sich trefflich das Wort aus der Johannesoffenbarung entgegen halten: "Weil du lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde" (3,16). In der Tat spricht es für theologische Reflexionskraft, entweder für oder gegen den Gedanken einer ewigen Hölle zu sein, während ein vages Offenlassen dieser nicht eben unwichtigen Frage nur scheinbar von Weisheit zeugt. Denn wie immer man hier antwortet - hier fallen jedenfalls theologische Entscheidungen mit deutlichen Konsequenzen für das systematische Denken. Wie hieb- und stichfest aber sind die Argumente? Das Wesentliche lässt sich konzentriert in sieben Punkten zusammenstellen.

Gottes Wille

1. Der biblische Befund ist zu dieser Frage nicht eindeutig; die Schrift macht es allen denkbaren Positionen relativ leicht, Belegverse anzuführen. Mit Recht hat Emil Brunner in seiner Dogmatik bemerkt, dass die Heilige Schrift hier keine klare Auskunft liefere und darum systematisch-theologisch sowohl die Annahme einer ewigen Hölle als auch die einer Allversöhnung zulasse. Einzelheiten zu diskutieren, würde zu weit führen; verwiesen sei nur auf die preisgekrönte Dissertation von Jens Adam: "Paulus und die Versöhnung aller. Eine Studie zum paulinischen Heilsuniversalismus" (2008), die zu einem positiven Befund kommt.

Ich führe aber wenigstens drei Stellen an, die wegen ihres grundsätzlichen, universalen Ausblicks auch Befürworter einer ewigen Hölle nachdenklich machen sollten.

In seinem letzten Brief zitiert Paulus einen Hymnus, der in die Worte mündet, dass am Ende "alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes des Vaters" (2,11). Im Kolosser-Hymnus heißt es, dass alles in Christus sein Bestehen habe und dass "alles durch ihn versöhnt würde mit Gott, es sei auf Erden oder im Himmel, dadurch dass er Frieden machte durch das Blut an seinem Kreuz" (1,17.20). Und im Auferstehungskapitel des 1. Korintherbriefs schreibt der Apostel, dass am Ende aller Dinge Gott sei "alles in allem" (15,28). Für Höllen-Spekulationen bleibt da kein Platz. Im Sinne Karl Barths könnte man sagen: Es gibt die Hölle, aber um Jesu Christi willen steht sie leer.

Für Höllen-Spekulationen kein Platz

2. Das gängige Hauptargument für die Annahme einer ewigen Hölle besteht im Hinweis auf den freien Willen des Menschen. Die Verdammten hätten es ja selber nicht anders gewollt, als die Strafe zu riskieren, für immer im quälenden Feuer zu schmoren; Gott der Richter tue ihnen am Ende nur ihren Willen. In diesem Sinne wird etwa in idea Spektrum (Nr. 36) C. S. Lewis zitiert, der die Hölle das größte Denkmal der menschlichen Freiheit genannt haben soll. Gern wird zur Bestätigung Philipper 2,12 angeführt: "Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern!"

Allerdings steht gleich im folgenden Vers: "Denn Gott ist es, der in euch beides wirkt, das Wollen und das Vollbringen, zu seinem Wohlgefallen." Damit zeigt sich, dass eben nicht eine menschliche Autonomie der entscheidende, letztgültige Faktor im Heilsgeschehen ist, sondern Gottes Wille, der am Ende über unseren Willen bestimmt. Und dieser Wille ist eindeutig: "Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen" (1. Timotheus 2,4).

3. Ist aber die ewige Hölle - wenn nicht im Willen des Menschen, so doch im Willen Gottes von Ewigkeit her begründet? In dieser Richtung argumentierten die Reformatoren: Die Vorstellung von der menschlichen Willensfreiheit sei nichts als Hybris, denn entweder lenke Gott den Menschen und damit auch seinen Willen - oder der Teufel tue das.

Bereits vor aller Zeit, also auch vor allen menschlichen Entscheidungen, habe Gott das Endresultat vorherbestimmt. Die reformatorisch akzentuierte Erwählungslehre war indirekt ein Angriff auf alle Vertreter einer Hochschätzung der menschlichen Willensfreiheit und besagte: Nicht der Mensch, sondern Gott entscheidet über die Ewigkeit. Es wäre furchtbar gefährlich für den Menschen und würde zudem Gottes Ehre in Frage stellen, wenn das anders wäre.

Von daher erwog Martin Luther zeitweise selber ernsthaft die Konsequenz des Allversöhnungsgedankens. Nur wegen des uneindeutigen biblischen Befunds hielt er sich zurück und dachte dann doch in Richtung eines doppelten Ausgangs. Dabei war ihm bewusst, dass der Gedanke der göttlichen Vorherbestimmung eines Teils der Schöpfung zu ewigen Qualen äußerst schwierig zu fassen wäre.

Und Calvin, der den doppelten Ausgang trotzdem zu Ende zu denken versucht hat, konnte seinerseits nicht anders als von einem decretum horribile sprechen. Luther aber war im Aufblick zu Jesus Christus klar: "Die Hölle ist ausgelöscht."

Menschlichen Willen ernst nehmen

4. Ist der Gedanke der Allversöhnung nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der menschliche Wille dennoch in einem letzten Kern ernst genommen werden muss, der Mensch also nicht zur Maschine degradiert werden darf? Und ist die Zeit für diese Willensentscheidung nicht mit Tod endgültig abgelaufen?

Letzteres muss aber keineswegs angenommen werden, vielmehr ist das Evangelium dem 1. Petrusbrief zufolge auch im Totenreich anzutreffen (3,19f.; 4,6). Und gerade wenn jenseits des irdischen Lebens bessere Erkenntnisbedingungen herrschen werden, wenn also auch der menschliche Wille endlich von Gottes Geist erleuchtet "wählen" können wird, dann ist davon auszugehen, dass niemand so wahnsinnig sein wird, sich freiwillig himmlischem Licht und göttlicher Liebe zu versagen und die abgrundtiefe Finsternis zu wählen.

Wer übrigens meint, mit solcher Hoffnung werde der christliche Missionsgedanke hinfällig, der täuscht sich gewaltig. Gerade die ernste Überzeugung vom Endsieg der Liebe Gottes motiviert dazu, diese Freudenbotschaft schon jetzt in die Welt zu tragen. Wo hingegen Angst vor der ewigen Hölle das Motiv zum Missionieren und zur Bekehrung bildet, dort ist die frohe Botschaft von Jesus Christus in den beklemmenden Horizont eines düsteren Gottesverständnisses gerückt.

An den Teufel glauben?

5. Hat aber die Betonung der Willensfreiheit nicht wenigstens im Blick auf den Teufel ihr Recht? Der so genannte Engelsturz setzt ja eine ganz andere, himmlisch-klare Bewusstseinsqualität bei den betreffenden Geistwesen voraus: Satan soll sogar der intelligenteste aller Engel gewesen sein. In der Tat: Unter der Prämisse dieser Annahme könnte theologisch kaum von einer Vorherbestimmung Gottes und von einer Rettung jenes Engels die Rede sein, der im Vollbewusstsein all seiner Erkenntnis Nein zu Gott gesagt hätte.

Doch die Annahme eines "urzeitlichen" Engelssturzes hat bei näherer Betrachtung kein biblisches Fundament, sondern trägt mythologische Züge. Sie ist heutigen Tags weder weltanschaulich noch theologisch notwendig. Bekanntlich ist auch im Credo vom Teufel mit keinem Wort die Rede. Die christliche Erlösungsbotschaft erstreckt sich zweifellos auf Sünde, Tod und ewigen Tod; den Teufel mag hier hinzuaddieren, wer will – an ihn muss man nicht unbedingt glauben! Und so bildet der Luzifer-Gedanke kein überzeugendes Gegenargument gegen die Hoffnung darauf, dass es keine ewige Hölle geben wird.

6. Spricht nicht die Heilige Schrift an ungezählten Stellen vom Endgericht, und ist nicht damit der Ausblick auf eine Allversöhnung grundsätzlich obsolet?

Mitnichten! Ein Jüngstes Gericht ist mit der Lehre von der Allversöhnung keineswegs in Abrede gestellt. Im Gegenteil! Es gibt kaum je einen Vertreter des Allversöhnungsgedankens, der diesen nicht mit dem Gerichtsgedanken verknüpft hätte.

Worum es geht, ist lediglich die Frage, ob mit dem Gericht nach den Werken notwendig die Idee einer unendlich dauernden Hölle verbunden sein muss. Das aber ist nicht der Fall. Dem begrenzten Geschöpf gebühren begrenzte Strafen. Die Gerichtsaussagen der Bibel sollten und dürfen jedenfalls mit der Einsicht in die gnadenhafte Rechtfertigung der Gottlosen kombiniert werden. In diesem Sinn wird man auch CA XVII "Von der Wiederkunft Christi zum Gericht" bekenntnishermeneutisch transferieren können und müssen: keinesfalls hin zu einer Leugnung des Gerichts, wohl aber zu einer Bestreitung der Annahme, dass Teile der Menschheit, für die doch Christus gekommen, gekreuzigt worden und auferstanden ist, von Gott dazu vorherbestimmt seien, endlose Kreuzesqualen zu erdulden ("sine fine crucientur").

Gott die Ehre geben

7. Zum Schluss noch einmal zurück zum "Ochs- oder Esel"-Votum: Ist nicht jeder, der für die Allversöhnung plädiert, deswegen ein Esel, weil er im Grundsatz Gottes letztes Urteil vorwegzunehmen wagt?

Irrtum: Dasselbe Verdikt würde erstens gegenüber den Vertretern der Höllenlehre gelten - sie wä­ren dann wirklich allesamt Ochsen! Und zweitens lässt es sich in einem weiteren Sinn auch auf die Unentschiedenen beziehen: Sie nämlich - so kann man heilsgeschichtlich argumentieren - nehmen ihrerseits Gottes Endurteil nicht ernst, das ja in Person und Werk Jesu Christi längst ergangen ist. Dem dreieinen Gott die Ehre geben heißt von daher: den kommenden Sieg seiner Liebe über alles von ihm Geschaffene annehmen – und ihn verkündigen!

Der Bezeugung des Evangeliums ist es dienlich, den furchtbaren Verdacht theologisch auszuräumen, Gott könne von seinem Wesen her eine Art ewiges "KZ" veranstalten. Welch unsäglichen Folgen für eine verfinsterte Frömmigkeit(s­geschichte) in­des die Annahme einer ewigen Hölle hatte, hat J. Christine Janowski in ihren beiden Bänden Allerlösung. Annäherungen an eine entdualisierte Eschatologie (2000) eindrücklich aufgezeigt. Die Unvereinbarkeit ewiger Höllenqualen mit dem Glauben an den Vater Jesu Christi liegt derart klar am Tage, dass eine schließliche Versöhnung aller Dinge durch und mit Gott nicht nur ohne Scheu zu hoffen, sondern auch zu lehren als Gebot theologischer Vernunft gelten kann. Denn Gott "hat alle beschlossen unter den Unglauben, auf dass er sich aller erbarme" (Römer 11,32).

Werner Thiede ist Systematiker in Erlangen.

Werner Thiede

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kirche"