Freie Geistesmacht

Zeitzeichen und die Kirchenleitung
Was die zeitzeichen sozio­logisch und ökonomisch sind, ist relativ klar: Sie sind ein publizistisches Produkt auf dem Markt der Printmedien, das sich - recht erfolgreich - darum bemüht, Marktanteile zu erringen, zu erhalten und zu vermehren. So weit, so gut. Aber was sind die zeitzeichen theologisch?

Zum Abschluss meiner Tätigkeit als Mitheraus­geber habe ich mich - zugegebenermaßen ein bisschen spät - gefragt, was für eine Funktion eigentlich eine Zeitschrift wie zeitzeichen in theo­logischer Hinsicht hat. Was die zeitzeichen sozio­logisch und ökonomisch sind, ist relativ klar: Sie sind ein publizistisches Produkt auf dem Markt der Printmedien, das sich - recht erfolgreich - darum bemüht, Marktanteile zu erringen, zu erhalten und zu vermehren. So weit, so gut. Aber was sind die zeitzeichen theologisch?

Sind sie eine Form dessen, was der 14. Artikel des Augsburgischen Bekenntnisses "öffent­liches Lehren" in der Kirche nennt - freilich ohne das hinzugehörende "predigen", "Sakramente reichen" und ohne eine "ordnungsmäßige Berufung", also Ordination? Zwar enthalten die zeitzeichen regelmäßig Anregungen für die Predigten der bevorstehenden Sonntage, und einige der Redakteure und Herausgeber sind ordinierte Amtsinhaber, aber das überträgt sich ja nicht auf die zeitzeichen.

Mehr abgeben als aufnehmen

Trotzdem scheint mir der Bezug zur öffentlichen Lehre richtig zu sein, man muss ihn aber im Sinne Friedrich Schleiermachers weiter fassen. Dann lässt sich sagen: zeitzeichen sind ein Element von Kirchenleitung in der evange­lischen Kirche. Dabei unterscheidet Schleier­macher zwischen Kirchen­lei­tung in einem weiten Sinn, an der auch die Mitglieder der Kirche mitwirken, die zu den "überwiegend Empfänglichen" gehören (also die mehr auf­nehmen müssen, als sie abgeben können), und Kirchenleitung im engeren Sinn, an der nur die Kirchenglieder mitwirken, die zu den "überwiegend Mitteilenden" gehören (also die mehr abgeben können, als sie aufnehmen). Zu dieser letzten Gruppe würde ich gerne die zeitzeichen zählen.

Innerhalb dieser Gruppe unterscheidet Schleiermacher dann noch zwischen einem gebundenen Element, das er "kirchliche Autorität" nennt, und einem ungebundenen Element, für das er den schönen Ausdruck "freie Geistes­macht" eingeführt hat. Im Blick auf diese Unterscheidung wären die zeit­zeichen schwerpunktmäßig eher der freien Geistesmacht zuzuordnen, wo­durch freilich ihre kirchenleitende Mitverantwortung nicht gemindert wird.

"Dann leitet mal schön!"

Wie wirkt die freie Geistesmacht auf die Kirche ein? Noch einmal Schleiermacher: Während die kirchliche Autorität "ordnend und beschränkend auftreten" kann, vermag die freie Geistesmacht "nur aufregend und warnend" zu wirken. Dabei ist es nützlich zu wissen, dass "aufregend" hierbei nichts anderes bedeutet als "anregend". Entscheidend ist, dass alle, die an der Leitung der Kirche mitwirken, sich mit ihren Ordnungen und Anregungen, Beschränkung­en und Warnungen an dem der Kirche vorgegebenen Auftrag orientieren: den christlichen Glauben in jedem künftigen Augenblick reiner darzustellen und immer mehr Kräfte für ihn zu gewinnen. Damit ist auch den zeitzeichen eine anspruchsvolle Aufgabe für ihre Mitwirkung an der evangelischen Kirchenleitung gestellt.

Papa Heuss, mein Heilbronner Landsmann, hätte sich mit Blick auf diese Einsicht von den zeitzeichen vermutlich mit den Worten verabschiedet: "Dann leitet mal schön!" Diesem Wunsch möchte ich mich in vollem Ernst anschließen.

Wilfried Härle ist Professor em. für Syste­ma­­tische Theologie an der Universität Heidel­berg und Mitheraus­geber von zeitzeichen.

Wilfried Härle

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