Argumente, nicht blinder Glaube

Wie liberale Christen die Auferweckung Jesu und die Auferstehung der Toten verstehen
Grabeskirche Jerusalem: römisch-katholische Ostermesse vor dem Heiligen Grab. Foto: epd/Friedrich Stark
Grabeskirche Jerusalem: römisch-katholische Ostermesse vor dem Heiligen Grab. Foto: epd/Friedrich Stark
Die Auferweckung Jesu ist für liberale Christen schon ­deshalb ein Problem, weil sie sich die Anfragen ernsthaft suchender und zweifelnder Menschen zu eigen machen ­wollen, meint Andreas Rössler. Der promovierte Theologe ist führendes Mitglied des Bundes für Freies Christentum, eines Zusammenschlusses liberaler Protestanten.

Bei allen Unterschieden besteht unter freien oder liberalen Christen eine Übereinstimmung in einigen Abgrenzungen. Das gilt im Hinblick auf den protestantischen Fundamentalismus mit seinen fünf Grundgesichtspunkten (fun­damentals): Verbalinspiration und damit die buchstäbliche Irrtumslosigkeit der Bibel; die "Gottheit" des Menschen Je­sus von Nazareth und dessen Geburt von einer Jungfrau auch im biologischen Sinn - samt seiner als Durchbrechung der Naturordnungen verstandenen Wunder; Deutung des To­­des Jesu als Sühne für die Sünden der Menschen, wonach Gott uns nur deshalb erlöst, weil Jesus am Kreuz gestorben ist; eine körperlich verstandene Auferstehung Jesu und seine persönliche Wiederkehr auf die Erde am Ende der Geschichte.

Dies lehnen liberale Christen ab, weil hier der Buchstabe mit dem Geist gleichgesetzt wird, die Vorstellung mit der Sache. Denn religiöse Sprache ist gleichnishaft-symbolisch. Sie weist mit ihren Vorstellungen und Begriffen, die aus unserer raumzeitlichen Welt genommen sind, über sich hinaus auf das ganz Andere. Damit sind aber nicht alle religiösen Symbole gleichwertig. Maßstab einer Symbolkritik ist vielmehr die Gottheit Gottes. Und für das Ostergeschehen ist "Auferweckung" ein treffenderes Symbol als "Auferstehung", weil allein Gott den - im Tod völlig ohnmächtigen - Menschen neu schaffen kann.

Eine weitere liberale Grenzmarke ist das Nein zum Supranaturalismus. Freie Christen setzen die Beständigkeit der von Gott geschaffenen Daseinsordnungen voraus, auch wenn diese nie vollständig zu erfassen sind. Mit inbegriffen ist hier das Shakespeare-Wort aus Hamlet: "Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumt." Freisinnige Christen nehmen sich das Recht, die Auferstehung Jesu ohne supranaturale, mirakulöse Elemente zu denken. Sie rechnen nicht mit einem Eingreifen Gottes in den Weltlauf, bei dem die vom Schöpfer selbst eingegebenen Ordnungen über den Haufen geworfen werden. Liberale Christen haben natürlich Mitchristen zu achten, die Vorstellungen wie die von einer körperlichen Auferstehung Jesu und damit verbunden vom leeren Grab vertreten. Aber sie halten es für falsch, suchenden Menschen ein vergangenes Weltbild aufzudrängen.

Positiv gesehen liegt die freichristliche Identität in einer Haltung der Liberalität. Zu deren Kennzeichen gehören Selbstbescheidung, Wahrhaftigkeit und Toleranz. Selbst­bescheidung ergibt sich aus der Einsicht, dass unsere Erkenntnis begrenzt ist - die über unsere erfahrbare und messbare Welt und erst recht die über den göttlichen Hintergrund unserer Welt. Gott als Geheimnis des Daseins, als Woher und Wohin von allem ist immer größer als alles, was wir von ihm erkennen und aussagen können. Damit passt eine Einschränkung der Botschaft und des Gottesverständnisses Jesu lediglich auf Mitmenschlichkeit schlecht zusammen, so zentral und unentbehrlich diese auch ist. Und zu wenig ist auch eine Reduktion der Auferstehung Jesu auf ein Die Sache Jesu geht weiter, wie ein Buch des Neutestamentlers Willi Marxsen (1919-1993) überschrieben ist. Denn das könnte auch eine lediglich religionsgeschichtliche Feststellung sein.

Religiös-liberale Christen sind oft selbst schuld daran, dass man ihnen Reduktionismus vorwirft, eine Mi­ni­ma­li­sierung des Glaubens und geistliche und geistige Dürftigkeit. An die Stelle des Reduktionismus muss ein Universalismus treten, eine Ausweitung über enge Grenzen hinaus. Im Gottesverständnis legt sich da ein Panentheismus nahe, der nicht mit dem Pantheismus zu verwechseln ist. Das heißt: Gott ist die Macht, die alles bedingt, trägt, umgreift und ohne die es keine Vollendung gibt. "Gott wird alles in allem sein." Was Paulus in 1. Korinther 15,28 schrieb, ist dafür das treffende biblische Wort.

Vereinbar mit Erfahrung und Vernunft

"Wahrhaftigkeit" heißt, alle Vorgaben und Voraussetzungen zu befragen und alle von den Kirchen aufgestellten Glaubensvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit Vernunft und Erfahrung zu überprüfen. Dem eigenen Wahrheitsempfinden treu zu bleiben, muss nicht ein dogmenloses Christentum bedeuten, wohl aber eine dogmenkritische und autoritätskritische Haltung. Selbstverständlich ist das uneingeschränkte Recht der kritischen wissenschaftlichen Forschung auch in Fragen der Religion und des Glaubens.

"Toleranz" meint Offenheit und Lernbereitschaft gegenüber fremden Meinungen und Überzeugungen, nach dem Motto "prüft alles und das Gute behaltet" (1. Thessalonicher 5,21). Von daher werden christliche Absolutheitsansprüche aufgegeben. Denn nur Gott ist absolut. Und er macht sich bekannt, wo, wann, wie und wem er will.

Damit man nicht jedem Unsinn aufsitzt, braucht man klar zu benennende Maßstäbe. So ist für alle Christen Jesus von Nazareth der Maßstab. Die Wahrheit dessen, was Jesus gebracht und wofür er gelebt hat, darf aber nicht bloß be­hauptet, sie muss vielmehr argumentativ dargelegt werden, unter dem Vorzeichen freilich, dass Gott kein Teil unserer Welt ist, sondern deren Grund und Abgrund. In Fragen Gottes und des Göttlichen kann es somit keine strengen Beweise geben, auch keine zwingenden Gegenbeweise, wohl aber Hinweise, Fingerzeige, Plausibilitäten - und für den Einzelnen ganz persönlich eine innere Gewissheit.

Auch bei der Botschaft von der Auferstehung Jesu ist es nicht mit doktrinären Begründungen getan, "so steht es in der Bibel" oder "so lehrt es die Kirche". Wir brauchen Argumente, nicht autoritäre Vorgaben.

Die Auferstehung Jesu ist in der Tat im Neuen Testament dokumentiert, und ohne den Glauben an den auferstandenen, lebendigen Christus gäbe es weder das Neue Testament noch die Kirche. Doch findet sich in der Bibel auch Anstößiges, und die Kirche ist keine irrtumsfreie Größe. Wenn sich freie Christen auf die Bibel und deren Auslegung in der Kirche berufen, folgen sie einer Leitlinie Gotthold Ephraim Lessings (1729-1781): "Die Religion ist nicht wahr, weil die Evangelisten und Apostel sie lehrten: sondern sie lehrten sie, weil sie wahr ist. Aus ihrer innern Wahrheit müssen die schriftlichen Überlieferungen erklärt werden, und alle schriftlichen Überlieferungen können ihr keine innere Wahrheit gegeben, wenn sie keine hat."

Ein erstes Argument für die Osterbotschaft ist der geschichtliche Befund. Den Kreuzestod Jesu erfuhren seine Jünger als Scheitern seiner Sendung. Aber kurz danach wurden sie aus ihrer Lähmung herausgerissen. Sie wurden dessen gewiss, dass Jesus nicht ins Nichts gefallen ist, sondern in Gott lebt und im Geist Gottes unter ihnen ist. So gewannen sie nachhaltig - und nicht bloß für einen Moment emotionaler Erregung - einen Glaubensmut, der sie harte Entbehrungen auf sich nehmen ließ und sich bis zur Bereitschaft zum Martyrium steigerte.

Jesus war ihnen in Erscheinungen begegnet, Einzelnen, ganzen Gruppen und dann auch einer Menge von über fünfhundert Leuten, wie Paulus im 1. Korintherbrief (15,3-7) schreibt. Historisch-kritisch und religionspsychologisch kann man natürlich fragen, ob es sich bei diesen Visionen einfach um einen Stimmungsumschwung der Jünger Jesu und einen neuen Blick auf die Geschehnisse handelt, oder um psychologisch zu erklärende Vorgänge, wie sie auch sonst zuweilen vorkommen. Wissenschaftlich überhaupt nicht zu beantworten ist die Frage nach dem Wahrheitsgehalt: Handelt es sich bei den Ostervisionen einfach nur um Wunschgedanken und Einbildungen, bis hin zu Massensuggestionen? Hat man sich da etwas eingeredet? Oder hat Gott selbst die Jünger Jesu auf menschlich zugängliche Wei­se wissen lassen, dass Jesus mit seiner Verkündigung der freien Gnade und Liebe Gottes, die sich in menschlicher Liebe widerspiegeln will, recht behalten hat?

Jesus wusste sich vom Geist Gottes geleitet. Und sein Verhalten stimmte mit seiner Lehre überein. Und sein Da­sein für andere hielt sich durch bis zu seinem unschuldigen, schrecklichen Tod, den er sterben musste, weil er nicht davon ablassen konnte, denen die Güte Gottes zu versichern, die arm, verachtet, ausgebeutet und ausgeschlossen waren - und denen, die ihre Schuld bereuten. Dass Gott zu Jesu Verhalten Ja gesagt hat, legt sich nahe - sofern man glaubt, dass der Urgrund von allem nicht blinde, unbewusste Natur und gleichgültiges Schicksal ist, sondern "Wille der Liebe", wie Albert Schweitzer das ausdrückte.

Ein zweites Argument für die Osterbotschaft ist deren Zusammenstimmen mit unseren eigenen Ewigkeitserwartungen. Nach Paulus kann Christus nur dann auferstanden sein, wenn es überhaupt eine Auferstehung der Toten gibt (1. Korinther 15,12-19). Wie aber kommen wir zum Gedanken eines eigenen Seins nach dem Tod?

Wir leiden an der Endlichkeit. Und unsere Begrenztheit führt zur Ahnung von etwas Unbegrenztem. Außerdem su­chen wir ungetrübtes Glück, finden es aber nicht im Irdischen. Sehnsucht ist in uns angelegt. Und sie mag ein Hinweis auf eine Erfüllung in einem anderen Leben sein - auch im Hinblick auf Menschen, die zu Lebzeiten immer im Schatten standen und die Hölle durchmachen mussten oder die gar keine wirkliche Lebenschance hatten wie Frühverstorbene. So ist die Auferstehung Jesu auf alle Fälle eine denkbare Option.

In Zeit und Ewigkeit in Gott geborgen

Ein drittes Argument für die Osterbotschaft geht versuchsweise vom Gegenteil aus: Gesetzt den Fall, Gott habe zu Jesu Botschaft nicht Ja gesagt und Jesus sei nicht in Gottes Ewigkeit eingegangen. Dann wird die sich aufopfernde Liebe nicht über Hass und Vernichtungswillen siegen. Dann wird alles vom Nichts zugedeckt werden, die Opfer nicht weniger als die Täter, die Blutzeugen für Wahrheit und Güte nicht weniger als Egoisten und Rücksichtslose. Und ferner wird alles, was an beglückenden geistigen Werten und Werken errungen - und oft erlitten - worden ist, nur ein bloßer Hauch sein.

Und umgekehrt: Gesetzt den Fall, die Osterbotschaft ist in ihrem Gehalt wahr, und es gilt: "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt" und "Jesus lebt, mit ihm auch ich". Dann dürfen wir uns in Zeit und Ewigkeit in Gott geborgen wissen und können uns im begrenzten irdischen Dasein ganz den hiesigen Aufgaben widmen.

Im Licht von Ostern werden wir gewiss, dass uns nichts von der Liebe Gottes scheiden kann. Der freisinnige Theo­loge und liberale Christ Albert Schweitzer schrieb 1958 in einem Brief: "Unser Glaube ist, dass die Seelen derer, die von uns scheiden, in das Reich des Friedens und des Lichtes eingehen und bei Gott sind. Dessen dürfen wir uns getrösten."

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Andreas Rössler

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