Seelsorge auf Konzernkosten

Antje Schröcke arbeitet für die Kirche. Das Geld dafür kommt von Vattenfall.
Plausch am Gartenzaun: Seelsorgerin Antje Schröcke unterwegs in Rohne. Foto: Wolfgang Wittchen
Plausch am Gartenzaun: Seelsorgerin Antje Schröcke unterwegs in Rohne. Foto: Wolfgang Wittchen
Seit einem Jahr ist Antje Schröcke im Kirchenkreis Niederschlesische Ober­lausitz angestellt. Dort begleitet sie die Menschen, die wegen des Braunkohle­tagebaus Haus und Hof verlassen müssen. Finanziert wird ihre Stelle vom Energieriesen Vattenfall, der den Tage­bau betreibt. Kann das gut gehen? Es gehe gut, sagen die Beteiligten. Und die bislang einmalige Stellenkonstruktion könnte sogar Modellcharakter haben.

Eine Landstraße in der Lausitz. Links davon Felder, hin und wieder ein einzelnes altes Haus, eines davon inmitten alter Bäume. Antje Schröcke bremst ihren alten Toyota ab, fährt gemächlich durch einen Wald und dann in den Ort Trebendorf. Raserei ziemt sich nicht in dieser ruhigen Landschaft, die scheinbar so zeitlos daliegt. Dabei kommt die Zukunft unaufhaltsam näher und wird schon bald das Bild radikal verändern.

"Das hier kommt alles weg, wenn das Vorranggebiet in Anspruch genommen, wird", sagt Antje Schröcke, als sie die Tür zum alten Schulhaus aufschließt, in dem sie regelmäßig zur Sprechstunde lädt. Wäre man vorhin ausgestiegen und durch den Wald gegangen, hätte man es schon sehen können: Das riesige Loch, das die Braunkohle-Bagger gegraben haben - der Tagebau Nochten. Bis zu 17 Millionen Tonnen Kohle werden hier pro Jahr aus dem Boden geholt und im Kraftwerk Boxberg des Vattenfall-Konzerns zu Strom verfeuert. Weil dies noch einige Jahrzehnte so bleiben soll, müssen die Bagger das Loch immer größer machen und die Bewohner in der Gemeinde Schleife ihre Höfe und Häuser verlassen. Weit über zweihundert Menschen müssen durch die bereits jetzt genehmigte Erweiterung des Tagebaus umsiedeln. Und weitere 1550 leben im so genannten Vorranggebiet, das auch abgebaggert werden soll. Diesen Menschen soll Antje Schröcke als Seelsorgerin zur Seite stehen, dafür ist sie seit einem Jahr beim Kirchenkreis Niederschlesische Oberlausitz angestellt. Doch der lässt sich ihre Stelle von dem Konzern finanzieren, der den Tagebau vorantreibt - Vattenfall.

Diese besondere Konstruktion ist Teil des so genannten Trebendorf-Vertrages, den Vattenfall und die betroffenen sächsischen Kommunen 2008 miteinander schlossen. Aus der Kirchengemeinde sei damals der Impuls gekommen, eine Stelle für einen Seelsorger einzurichten, erinnert sich Superintendent Thomas Koppehl. Dass diese Arbeit von einem Dritten finanziert wird, ist für ihn ein Problem, dass das grundsätzliche Verhältnis von Kirche und Gesellschaft betrifft. Aber schließlich gebe es auch kirchliche Seelsorger, deren Arbeit vom Staat finanziert werde. Warum sollte dann nicht auch Vattenfall eine solche Rolle übernehmen?

In der Moderatorenrolle

Vielleicht weil es fragwürdig ist, dass die Kirche sich für das Kleben von Trostpflästerchen von dem bezahlen lässt, der die Wunden schlägt? Koppehl kennt diese Kritik, die ihm auch von Kollegen aus anderen Kirchenkreisen vorgehalten wurde und hat selbstverständlich eine wohlformulierte Antwort parat. "Wenn man in die Hermeneutik des Misstrauens einsteigt, kann man sagen: 'Ihr lasst Euch kaufen'." Misstrauen sei aber keine Basis für Zusammenarbeit, wer mitgestalten wolle, müsse ein vertrauenswürdiges Klima schaffen. Und dann verweist er auf den politischen Rahmen: Die Bevölkerung habe sich in den Wahlen für ein Energiekonzept entschieden, bei dem Braunkohle eine wichtige Rolle spielt, sagt er. Mit allen Konsequenzen, die das für die Region habe. Nun ginge es darum, eine Moderatorenrolle für die Betroffenen einzunehmen.

Auch für Vattenfall steht bei diesem bislang einmaligen Finanzierungsmodell die seelsorgerliche Begleitung der betroffenen Menschen an erster Stelle. Es sei wichtig, dass die zur Umsiedlung gezwungenen Menschen eine Anlaufstelle hätten, wo sie sich ohne Vorbehalte aussprechen können, sagt Detlev Dähnert, Leiter der Tagebauplanung bei Vattenfall. "So ein Prozeß des Abschiednehmens gehört dazu." Die Einrichtung ei­ner Stelle für eine Seelsorgerin in so ei­ner "Spannungssituation" sei der "richtige Weg".

Kirche nicht als Bittsteller

Innerhalb des Konzerns habe die Finanzierung der Stelle daher auch nicht zu grundsätzlichen Diskussionen geführt. Schließlich unterstütze Vattenfall jenseits von finanziellen Entschädigungen an vielen vom Bergbau betroffenen Orten soziale Netzwerke. Hierbei finanziere Vattenfall zwar die Stelle der Seelsorgerin, überlasse aber die Verantwortung für die Ausgestaltung der Arbeit komplett der Kirche und nehme bewusst keinen Einfluss, betont Dähnert. Eine solche Kooperation mit der Kirche sei bislang aber einmalig. Sie funktioniere auch deshalb, weil beide Seiten füreinander berechenbar blieben. Insgesamt habe sich das Modell bewährt und könne - abhängig von den konkreten Bedürfnissen der Menschen - Vorbild für andere Bergbaugemeinden sein.

Foto: dpa
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Der Tagebau Nochten liefert täglich bis zu 100.000 Tonnen Braunkohle. Das deckt den Energiebedarf einer Großstadt.

Für Superintendent Koppehl wichtig im Falle Schleife: Die evangelische Kirche sei nicht als Bittsteller aufgetreten, sondern als Vertragspartner von Vattenfall. Der Konzern habe sich für sechs Jahre unwiderruflich verpflichtet, Antje Schröckes Gehalt zu bezahlen. Wen der Kirchenkreis einstellt und wie die Arbeit genau gestaltet wird, sei allein Sache der Kirche, betont der Superintendent. Vattenfall habe kein Vetorecht bei der Stellenbesetzung gehabt, sei aber zuvor über den Bewerberkreis informiert worden.

Abstinenz der privaten Meinung

Daraus lässt sich folgern: Radikale Kritiker der Braunkohleverstromung wä­ren wahrscheinlich gar nicht in die engere Wahl gekommen. Schröcke räumt ein, dass ihre Arbeit hin und wieder "die Abstinenz einer privaten Meinung" erfordere. Aber auch sie sagt, dass sich das Modell bislang bewährt habe. Es gebe keine Einflussnahme des Energiekonzerns: "Vattenfall hält sich fern von mir, sie halten mich von ihnen frei." Der 48-jährigen Theologin, die zuvor zehn Jahre lang im Gustav-Adolf-Werk Frauenprojekte in aller Welt begleitet hat, ist aber auch klar, dass ein einfaches Schwarz-Weiß-Denken hier nicht weiterführt. Schließlich arbeitet jeder Vierte in der strukturschwachen Lausitz im Braunkohletagebau, viele seien stolz, Bergleute zu sein oder auch nur durch diese Tradition geprägt worden zu sein.

Ihnen will Schröcke mit einer "inneren Klarheit" begegnen: Sie arbeitet mit Vattenfall zusammen, aber nicht für den Konzern. Sie arbeitet für die Menschen, die um die Finanzierung der Arbeit durch Vattenfall wissen und damit in der Regel kein Problem haben. Und sie sei nicht bei Vattenfall, sondern bei der Kirche angestellt - habe also eine Institu­tion im Rücken, falls es doch mal irgendwann zum Konflikt komme.

Geld ersetzt die Heimat nicht

Während sie das sagt, sitzt Schröcke in einem Büro im ehemaligen einstöckigen Schulgebäude am Dorfrand. An der Wand hängen Pläne des Abbaugebietes: Eine rote Linie zeigt, wie weit sich die Bagger in den kommenden Jahren in die Landschaft fressen werden. Auf einem Tisch steht ein Modell einer neuen Mehrgenerationensiedlung. Hübsche moderne Häuser stehen um eine gemeinschaftliche Fläche gruppiert. Hier sollen die Umsiedler ein neues Zuhause finden. Ob sie sich hier zu garantierten Mieten niederlassen oder woanders bauen, hängt auch von dem Geld ab, das Vattenfall für die alten Häuser zahlt. Dafür gibt es Vorgaben und Richtlinien, doch wie viel jeder bekommt, ist am Ende vom Verhandlungsgeschick abhängig. Wer ein altes Haus mit niedrigem Standard, vielen Bäumen und viel bebauter Fläche auf seinem Grundstück hat, macht möglicherweise einen guten Schnitt. Wer erst vor kurzem in sein Haus investiert hat, muss vielleicht Abstriche machen. Genau weiß man es aber nicht, weil über Geld niemand gerne offen spricht. Hier und da machen allerdings Gerüchte die Runde und sorgen für böses Blut unter den ehemaligen Nachbarn.

Doch es geht nicht nur um Geld, "das sowieso keine Heimat ersetzen kann", wie Schröcke weiß. Es geht auch um Lebensplanung und Familienstrukturen. So fragen sich die Alten, die bislang zum Beispiel im Altenteil eines Hofes leben, ob sie ihren Kindern und Enkeln zumuten wollen, ein Haus zu bauen, das groß genug für alle wäre. Lohnt sich das noch, für die paar Jahre? Und natürlich geht es auch um die persönliche Geschichte und Erinnerungen, die mit den Häusern von den riesigen Schaufeln der Bagger untergepflügt werden. Die hier lebenden Sorben oder ihre Vorfahren haben ihre Häuser oft mit eigenen Händen gebaut, die Ziegelsteine zum Teil selbst gepresst. Fertighäuser von der Stange und Trockenbau aus Rigips können da kein wirklicher Ersatz sein. Es geht auch um die sorbische Kultur, die hier noch in Tänzen, Liedern und Sprache am Leben gehalten wird und für die die Jugend schon schwer genug zu begeistern ist. Sie ist nun zusätzlich bedroht.

"Es gibt viele Gründe für Trauer", sagt Antje Schröcke. Doch die werde oft nicht zugelassen. Anpacken, arbeiten, nach vorne schauen - nach diesen Grundsätzen leben die Menschen in der Lausitz, haben nach dem Krieg neu angefangen und dann wieder nach dem Ende der ddr. Es muss immer weitergehen, Schmerz über den Verlust hat da keinen rechten Platz, und wer dennoch danach fragt, droht sich unbeliebt zu machen. "Doch ohne Trauer gelingt der Neuanfang nicht", ist sich Schröcke sicher. Deshalb will sie Rituale schaffen, den Auszug begleiten, dem Abschied Raum geben, um dann das Neue annehmen zu können. Einen Entwurf für solch eine Liturgie hat sie schon erarbeitet, angefragt hat sie aber noch niemand. Und auch in ihre Sprechstunde kommen nur selten Leute.

Sorben gleichen Vierseitenhöfen

"Die Sorben gleichen ein wenig ih­ren Vierseitenhöfen, es dauert, bis man den Zugang findet", sagt die Seelsorgerin. Deshalb war sie im ersten Jahr ihrer Arbeit vor allem damit beschäftigt, sich bekannt zu machen. Eine Sitzung der rund vierzig Vereine in der Gemeinde Schleife und der zwanzig in der Gemeinde Trebendorf besuchen, beim Aufstellen des Maibaums ein Schnaps mittrinken, andocken an bestehende Netzwerke. "Teilnahme am gelebten Leben" nennt Antje Schröcke das. Deshalb verteilt sie Festtagsgrüße für die von der Umsiedlung Betroffenen persönlich in den Dörfern, und fährt, wenn das Wetter es zulässt, mit dem Rad, um ansprechbar zu sein. Konsequenterweise ist sie auch in das Vorranggebiet gezogen. Ein Schritt, der nach zehn Jahren städtischen Lebens in Leipzig nicht leicht fallen dürfte. Aber nach Görlitz zu ziehen und jeden Tag zu pendeln, das wäre wohl ein falsches Signal für die Menschen in der Region gewesen.

Nach und nach erntet Antje Schröcke mittlerweile die Früchte ihrer Arbeit, die Menschen zeigen sich offen für ungewöhnliche kirchliche Angebote. Wie zum Beispiel der Wandermeditation im so genannten Tiergarten von Weißwasser, der ebenfalls dem Tagebau zum Opfer fallen wird. Aus diesem Wald stammt das Holz für die traditionellen Schrotholzhäuser, auch er ist Teil der Geschichte der Region. Im Sommer lud Schröcke dazu ein, per Fahrrad und zu Fuß auf insgesamt elf Kilometern Naturdenkmäler und andere wichtige Orte anzusteuern und dort mit Gedichten, Liedern oder auch einem Picknick zu verweilen. Bei der Vorbereitung haben eine sorbische Dichterin und ein Frauenchor aus der Region mitgemacht. Zwar musste die Meditation wegen schlechten Wetters dann doch vom Wald in ein Gebäude verlegt werden, doch ein Anfang war gemacht. Und zum Reformationsgottesdienst im Wald ka­men dann rund zweihundert Leute.

Im Vorfeld solcher Veranstaltungen ist es Schröcke aber wichtig zu betonen, dass es sich dabei nicht um Protestaktionen handelt. Es gehe vielmehr darum "Erinnerungswerte zu sichern". Aber was wäre, wenn die Bevölkerung doch irgendwann nicht mehr hinnehmen will, dass ein Energiekonzept wichtiger ist, als Kultur, Geschichte und Heimat? Würde Antje Schröcke dann doch Transparente malen, für eine Anti-Vattenfall-Demo? "Nein", sagt sie lächelnd. "Aber ich würde vielleicht Tee kochen und ihn am Rande der Demo an alle ausschenken."

Stephan Kosch

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