Dieser besondere Marine-Reiz

Weshalb ich nur schweren Herzens Abschied von der Bundeswehr nehme
An Deck der Fregatte Schleswig-Holstein im Hafen in Dschibuti. (Foto: dpa/ Axel Schmidt)
An Deck der Fregatte Schleswig-Holstein im Hafen in Dschibuti. (Foto: dpa/ Axel Schmidt)
Kapitänleutnant André Schade wird noch in diesem Jahr seinen Dienst bei der Bundeswehr beenden - seine Verpflichtungsszeit ist zu Ende. Für ihn war der Beruf des Soldaten Berufung.

Bei meiner Geburt war an eine Karriere in der Bundeswehr nicht zu denken; der Kalte Krieg tobte und, wenn überhaupt, so hätte ich in die nva eintreten müssen. Aber alles kam anders.

Am 1. Oktober 1991 trat ich als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr, genauer gesagt, in die Luftwaffe ein: als Rekrut mit dem viel versprechenden Dienstgrad "Flieger" in die 13. Kompanie des Luftwaffenausbildungsregiments 1 in der "Let­tow-Vorbeck-Kaserne" in Hamburg-Wandsbek. Die po­li­tische Vereinigung war zwar beendet, die soziale, wirtschaftliche und auch die militärische jedoch war noch längst nicht vollzogen. Ich gehörte zu einer Gruppe von sechs oder sieben Wehrpflichtigen aus den neuen Bundesländern; wir waren eindeutig in der Minderheit.

Wie uns erging es an diesem Tag noch vielen anderen Wehrpflichtigen aus den neuen Bundesländern, denn erst ab diesem 1. Oktober 1991 war die Ausbildung von ostdeutschen Rekruten in den alten Bundesländern möglich. Am Abend des Einberufungstages wurden alle Rekruten in den Kompaniehörsaal befohlen. Nachdem alle eingerückt waren, ließ der Chef die Rekruten aus den neuen Bundesländern aufstehen und begrüßte uns in Hamburg. Wir wurden angestarrt mit einer Mischung aus Mitleid, Bedauern und Neugier. So endete mein erster Tag in der Bundeswehr.

Zwanzig Jahre später wird nun in diesem Jahr meine Zeit als Soldat nach ereignisreichen siebzehneinhalb Dienstjahren enden. Meine damalige Ausbildungseinheit wie meine erste Kaserne gibt es heute nicht mehr; sie sind Opfer einer der vielen Transformationen oder der ständigen Transformation der Bundeswehr geworden. Auch sind die Streitkräfte, in die ich 1991 eintrat, nicht mit der heutigen Bundeswehr vergleichbar. Inzwischen bin ich Hörsaalleiter im Rang eines Kapitänleutnants an der Marinetechnikschule in Parow und bilde selbst Soldaten aus. Somit schließt sich für mich der Kreis.

Mein Abschied aus der Bundeswehr ist nicht freiwillig; meine Dienstzeit als Soldat auf Zeit - Verpflichtungszeit sechzehn Jahre - endet leider 2011, eine Weiterverpflichtung ist nicht möglich. Das bedauere ich sehr, denn ich habe in dem Beruf des Offiziers, wie Max Weber sagen würde, meine Berufung gefunden. Mit meinen nun 38 Jahren habe ich viel erlebt, wofür bei anderen Menschen nicht einmal ein Leben ausgereicht hätte.

Meinen Dienst versah ich bei der Luftwaffe und bei der Marine sowie in der Streitkräftebasis. Meine dienstlichen Auslandsaufenthalte haben mich neben Europa auch nach Amerika, Afrika und Asien geführt. Darunter waren so exotische Länder wie Brasilien, Südafrika oder China, aber eben auch Afghanistan. Mir wurde große Verantwortung übertragen, und ich war Teil einer großen Ge­meinschaft und von Kameradschaft, wie man sie nur unter Soldaten finden kann.

Dies alles führte zu einer sehr großen Berufszufriedenheit, die mir den Ausstieg aus der Bundeswehr nicht gerade erleichtert. In den zwanzig Jahren war ich unter anderem als Wehrpflichtiger in der Luftraumüberwachung eingesetzt sowie nach der Offiziersausbildung als Wachoffizier auf Schnell­booten, Zugführer in der Grundausbildung, kurzfristig Leiter einer Bundeswehrfachschulbetreuungsstelle sowie Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (ich hatte an der Bundeswehruniversität in Hamburg erfolgreich Geschichtswissenschaften studiert), Mitarbeiter in der zivil-militärischen Koordination in einem Landeskommando sowie, in meiner letzten Verwendung, Hörsaalleiter in der Schnellbootausbildung (übrigens eine Ausbildung, die ich als junger Offizier selbst als Schüler durch­laufen hatte).

Daraus ist ersichtlich, dass meine Dienstzeit vor allem von Abwechslung, ständiger beruflicher Herausforderung und großer Verantwortung in den verschiedensten Verwendungen geprägt war. Und genau dies macht meinen Dienst so wunderbar. In welchem anderen Beruf hätte ich auch nur annähernd diese Erfahrungen sammeln können?

Höhepunkt meiner Dienstzeit war der Einsatz in Afghanistan. Es ist natürlich etwas untypisch für einen Marineoffizier, in einem Binnenland zu arbeiten. Aber der Dienstherr hatte meine vorhandenen kommunikativen Fähigkeiten anscheinend erkannt und mich im Vorfeld für cimic-Aufgaben (CIMIC - Civil-Military-Cooperation) ausgebildet. So geschult, wurde ich dann als Truppführer und, im zweiten Einsatz, auch als Koordinator für die zivil-militärische Zu­sammenarbeit in der unscheinbaren Provinz Takhar eingesetzt.

Meine Aufgabe war es, im direkten Gespräch mit der afghanischen Bevölkerung und deren Behörden das zivile Lagebild maßgeblich zu ermitteln. Diese Aufgabe erforderte einen sehr hohen Grad an Abstraktion und Motivation. Da­bei war ich mit meinem Feldwebel großteils frei in der Ge­sprächsauswahl und -wahrnehmung, was sich dann wiederum in einer Vielzahl von unterschiedlichsten Informationen spiegelte. Und diese Freiheit, meine Gespräche aufgrund der Einschätzung vor Ort selbst zu planen, war eine der wichtigsten Ursachen für meine ho­he Iden­tifikation mit dem Af­ghanis­­tan­ein­satz.

Da die Ergebnisse stimm­ten, bekam mein Team auch weiterhin volle Handlungsfreiheit. Diese Wertschätzung, verbunden mit dem täglich ge­zeigten Vertrauen in meine Person, mein Team und unsere Leistungen, ist eines der nachhaltigsten Erlebnisse in meinem Leben und bis dato auch prägend für meine Dienstzeit. All diese Freiheiten hatten zur Folge, dass ich mich über 120 Tage in verschiedenen Missionen in der gesamten Provinz aufhielt und dabei auch Land und Leute kennen, schätzen und respektieren lernte.

Was werde ich nach meinem Abschied aus der Marine vermissen? Vor allem meine Ka­meraden! Man sagt ja der Marine eh nach, dass sie immer etwas an­ders tickte und immer noch tickt. Und das kann ich nur be­stätigen. Ob an Bord der Gorch Fock oder des Versorgers Glücks­burg während meiner Aus­bil­dungsfahrten oder aber nach Be­endigung meiner Ausbildung als Wachoffizier auf Schnellbooten der Marine erlebte ich stets dieses besagte Etwas.

Auch bei uns kriselte und menschelte es. Es gab auch bei uns Disharmonie. Aber uns alle, ob Kommandant, Wachoffizier oder kleiner Heizer, verband dieser Marinereiz, diese besondere Erfahrung, die man so nur auf der begrenzten und schaukelnden schwimmenden Plattform draußen auf See sammeln kann. Natürlich hatte ich auch Glück mit meinen Kommandos und mit meinen Fahrten. Aber alle positiven Eindrücke waren nur möglich, weil um mich herum großteils hervorragende Menschen mit mir dienten, die die gleiche Euphorie für den Einsatz bei der Marine zeigten.

Sicherlich war meine Karriere nicht alltäglich; ich war maximal 33 Monate auf einem Dienstposten (durchschnittlich rund 23 Monate), und mein Verwendungsaufbau ist durch deutliche Sprünge gekennzeichnet. Aber genau dieser untypische Werdegang mit all seinen Facetten machte den Reiz für mich aus. Ich denke dies, zusammen mit den immer wieder neu kennengelernten phantastischen Kameraden ist der Grund dafür, dass ich die Bundeswehr so ungern verlasse.

André Schade

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Politik"