Auseinandergelebt

Warum ich mich von der Bundeswehr entfernt habe
(Foto: dpa/ August Forkel)
(Foto: dpa/ August Forkel)
Robin Hornig ist 19 Jahre alt, als er beschließt, in die Bundeswehr einzutreten und sich für 14 Jahre zu verflichten. Doch die Bundeswehr und er haben sich auseinandergelebt.

Der Abi-Ball lag nur wenige Stunden zurück. Es war Sonntag, und ich ließ mir, noch leicht verkatert, von einer Bekannten die Haare kurz rasieren. Der erste Schritt auf dem Weg zu einem guten Soldaten. Während für einige Freunde aus meiner Jahrgangsstufe nun das wilde Studentenleben begann, war für mich das ausgelassene Dasein vorerst vorbei. Zeit, sich nicht nur von den längeren Haaren zu trennen, sondern auch so manch altes kindisches Verhalten abzulegen. Zeit, erwachsen und ein Mann zu werden!

So ging es mir damals durch den Kopf. Eben hatte ich noch beschwingt und rumalbernd mein Abitur gefeiert, und nun saß ich mit der Familie gemeinsam beim Abendessen, ruhig, ohne viele Worte zu verlieren. Ich spürte die Anspannung in mir. Ein neuer Lebensabschnitt sollte beginnen. Für zwei Jahre hatte ich mich bei der Marine verpflichtet. Zwei Jahre, von denen ich mir Abenteuer, Herausforderungen und ein solides Kapital für mein anschließendes Kunststudium erhoffte.

Abenteuer, Herausforderung und Kapital

"Nun geht der Ernst des Lebens los", sagte mir der grinsende Pförtner am Kasernentor, als ich am darauffolgenden Montag meinen Einberufungsbescheid vorzeigte. Er sollte Recht behalten. Nur wenige Minuten später brüllte ein Un­teroffizier mich grundlos zusammen, und ich überlegte, alles hinzuschmeißen und das Erwachsenwerden auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Doch dann biss ich die Zähne zusammen und redete mir ein: "Ich muss standhaft bleiben, einfach meine Klappe halten und die Rolle als Soldat akzeptieren!"

Damals wusste ich noch nicht, dass ich in den darauffolgenden Jahren diesen Satz wie ein Mantra raunend, im­mer und immer wieder die Zähne aufeinanderbeißen sollte. Wie falsch aus meiner heutigen Sicht mein Verständnis von Befehl und Gehorsam auch gewesen war, es hat sich lange Zeit bewährt. So lange ich tat, was von mir verlangt wurde, gute Leistungen brachte und nicht aufmuckte, selbst wenn man mir Unrecht tat, konnte ich gut in der Bundeswehr meinen Mann stehen. "Auf der Karriereleiter hinaufklettern", wie es bei uns heißt. Der 11. September verstärkte meine stoischen Ansichten, die wenig Platz für Spaß und jugendliche Albernheiten in diesem Beruf sahen: Aus der Übungsarmee wurde eine Einsatzarmee.

Wie wichtig Disziplin und Gehorsam fernab der gespielten Szenarien in den Kasernen waren, erfuhr ich als Neunzehnjähriger am Horn von Afrika. Sieben Monate ohne Rückzugsraum auf einem engen Schiff. Nie alleine. An einem fremden und dazu noch gefährlichen Ort. Junge Kameraden, die sich im Gegensatz zu mir nicht mit dem Soldatenleben anfreunden konnten, scheiterten an ihrer Psyche. Ich hingegen verschrieb mich von da an meiner Profession, ging in meinem neuen Leben völlig auf und beschloss einige Monate später, mich für weitere zwölf Jahre zu verpflichten und die Offizierslaufbahn einzuschlagen.

Runterschlucken, weitermachen

Das ursprünglich angestrebte Kunststudium erschien mir zu illusorisch und abgehoben. Trotz meiner Hingabe für den Job hieß es weiterhin, Zähne zusammenbeißen, so, wenn ich Ausbildungen ma­chen musste, die ich für sinnlos hielt. Einige Lehrgänge hatten für mich nichts mit der Einsatzrealität zu tun, sondern waren noch Relikte des Kalten Krieges und längst überholt. Das laut zu äußern, habe ich mich nie getraut. Runterschlucken, weitermachen, gut sein, funktionieren.

Zahlreiche Kasernen im norddeutschen Raum wurden mein Zuhause. Ewig rastlos. Der Kofferraum meines von tausenden von Kilometern geplagten Autos war eine Erweiterung des Spindes. Mein Laptop und mein Handy die einzigen Brücken zu Eltern und Freunden. Der Sport eine Al­ternative zu Computerspielen und Alkohol, die in den provinziellen tristen Standorten der einzige Zeitvertreib nach dem Dienst waren. An den Wochenenden war ich froh, meine Ruhe zu haben und ausschlafen zu können. Mit Freunden verkehrte ich recht oberflächlich, ging ab und zu mal aus, trank dann zuviel. Beziehungen waren nur anstrengend. Auf Diskussionen oder Streit hatte ich keine Lust. Eine ernsthafte Beziehung funktionierte leider nicht wie der Dienst, wo es in schwierigen Situationen hieß: Augen zu und durch.

Dabei ging der Weg auf der Karriereleiter weiter aufwärts. Meine Vorgesetzten waren immer wieder erstaunt, wie ich mich meinen Aufgaben in der Bundeswehr so hingeben konnte. Die wenigen Freunde, die mir bis dahin erhalten blieben, sagten mir das Auftreten eines Enddreißigers nach - ich war vierundzwanzig. Damals war ich stolz darauf.

Doch der Höhenflug nahm ein Ende. Gehe ich heute zur Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg, kann ich dort noch immer die Hochwassermarke sehen, an der meine Welle der Begeisterung für die Bundeswehr brach. Ich studierte Politikwissenschaften. Erreichte in kürzester Zeit mein Vordiplom. Das Studium selbst machte mir wenig Probleme. Sorge trug ich um mich selbst.

Privatperson im Beruf

Denn an der Uni trat das Soldat sein in den Hintergrund. Uniformen oder Befehl und Gehorsam gab es so gut wie gar nicht in den Vorlesungen. Auch forderten mich die meisten Dozenten dazu auf, eventuelle Bedenken oder Einwände begründet zu äußern und nicht den Mund zu halten. Meine Rolle als Soldat wurde völlig ausgeblendet. Was blieb, war der Mensch dahinter, der sich seit dem Sonntag nach seinem Abitur vor damals sechs Jahren so nicht mehr erlebt hatte.

Dieser Mensch war ich - und ich sehnte mich nach Freunden jenseits der Kameradschaft. Nach einem Leben außerhalb der Kaserne. Nach einer Beziehung, die nicht durch die Tätigkeit überschattet, nicht ständig durch Lehrgänge und Einsätze unterbrochen wird. Und vor allem verlangte es mir nach Spaß, der Lust am Leben, nicht nur der Lust am Beruf. Als ob ich aus einem Traum erwachte. Ich ge­noss die Zeit an der Uni von da an auch mit dem Vorsatz, meine private Seite kennenzulernen.

Mir fiel es fortan schwer, die Privatperson gänzlich aus dem Beruf herauszuhalten. Ich hörte auf, mit zusammengebissenen Zähnen herumzulaufen. Äu­ßerte Bedenken gegenüber Vorgehensweisen und Einsätzen der Bundeswehr, erkundigte mich selbst und forschte nach. Ich las viel über die so genannte "Firmenphilosophie der Bundeswehr", die "Innere Führung", und fühlte mich bestärkt. Die "Innere Führung" bejahte die Rolle des Menschen hinter dem Soldaten und die eines aktiven Bürgers, der seine Meinung be­gründet äußert und diskussionsfähig ist.

Einer der Hauptbegründer der "Inneren Führung", Wolf Graf von Baudissin, betonte geradezu: "Das Soldatsein ist nicht mein Ein und Alles." So, wie in unserem pluralistischen Staat verschiedene Meinungen zu einem Gemeinwohl beitragen, so sollte ge­mäß unserer Firmenphilosophie auch nicht die Individualität der Soldaten ausgeblendet werden. Im Gegenteil, Ziel sei es, sie zu fördern und zu nutzen.

Menschlichkeit überzeugend verteidigen

Trotzdem oder gerade weil ich mich dieser Philosophie nun verschrieb, begann ich anzuecken. Wenn ich mich dafür aussprach, die private Entfaltung von Soldaten nicht zu sehr zu beschneiden, entgegneten mir Kameraden und Vorgesetzte: "Soldat ist man 24 Stunden!" Für sie schien nur das Soldatische zu gelten, was sie mit einem tadellosen Auftreten und der Verinnerlichung von Befehl und Gehorsam verbanden.

Diesem Bild hatte ich lange selbst entsprochen, es hatte mich weit gebracht. Doch nun, wo ich meinte, auch im eigentlichen Interesse der Firmenphilosophie zu agieren, kam meine Karriere ins Stocken. Warum? Aus meiner Sicht ist es für eine Einsatzarmee recht sinnvoll, Beruf und Privatleben des Soldaten in Einklang zu bringen und nicht beide Bereiche strikt voneinander zu trennen. Denn nur, wer als Mensch lebt und Menschlichkeit erlebt, kann diese überzeugt und überzeugend verteidigen.

Mit bestem Wissen und Gewissen sollen wir stets handeln. Doch es drängt sich mir das Gefühl auf, dass, je mehr Wissen ich erlange, mich mein Gewissen schwerer und schwerer belastet und immer mehr Fragen auftauchen, auf die ich keine Antworten bekomme. Mein Verhältnis zur Bundeswehr entspricht inzwischen einer schlechten Ehe: Ich gehe zum Dienst und sehe meinen Partner vor mir, der mir etwas verschweigt, der nicht mit mir redet. Dabei gibt es Bedarf zu reden, sich auszusprechen. Früher funktionierte das Verhältnis, da ich das Schweigen akzeptierte, selbst nichts sagte. So, wie ich mich entwickelt habe, belastet mich die Beziehung stark. Ich würde sagen, ich und die Bundeswehr, wir haben uns auseinander gelebt.

Der inzwischen studierte Politikwissenschaftler lebt in Hamburg.

Robin Hornig

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Politik"