Danke, Deutsche Bahn!

Ein Punktum
So seelsorgerlich verhält sich die Bahn - wie ein guter Arzt. Der fällt doch auch nicht mit der Tür ins Haus und sagt dem Patienten, dass er sterben muss, sondern bringt ihm die Wahrheit schonend bei, nach und nach.

Seit zwölf Jahren zeichnet die EKD Firmen mit dem Siegel "Arbeit Plus" aus. Leider ist die Deutsche Bahn bisher leer ausgegangen. Dabei hätte sie mehr als einen Preis verdient, der nur die Schaffung menschengerechter Arbeitsplätze prämiert. Denn die DB nimmt die Ethik in allem ernst, was sie tut! So will Mehdornnachfolger Rüdiger Grube den Stuttgartern mit dem Großprojekt S21 "etwas Gutes tun". Und diese Haltung spiegelt sich auch im Kleinen.

Da steht der Reisende Jürgen W. auf dem Bahnsteig in Ulm und wartet auf den Interregioexpress von Stutt­gart nach Lindau. Der habe fünf Minuten Verspätung, teilt der Lautsprecher mit. Naja, was sind schon fünf Minu­ten. Wenn Stuttgart 21 erst einmal fertig ist, verkürzt sich die Fahrzeit von der Landeshauptstadt nach Ulm um 28 Minuten. Nach einigem Warten heißt es, der Express treffe zehn Minuten später ein. Dann werden 15 Minuten daraus, schließlich sind es 20. So seelsorgerlich verhält sich die Bahn - wie ein guter Arzt. Der fällt doch auch nicht mit der Tür ins Haus und sagt dem Patienten, dass er sterben muss, sondern bringt ihm die Wahrheit schonend bei, nach und nach. Danke, DB! Senkju!

Kurz vor Friedrichshafen erfahren die Reisenden, dass ihr Zug dort stehen bleibt. Wer nach Lindau will, muss umsteigen. Ja, in einer mobilen Gesellschaft muss man flexibel sein. So erweist sich die DB als Coach im Zeitalter der Globalisierung. Danke, DB! Senkju!

Danke, DB! Senkju!

Dass die Reisenden nach Lindau sich in einem kleinen Triebwagen zusammendrängen müssen, wirkt nur auf den ersten Blick skandalös. Wie war das denn bei der alten Behördenbahn? Damals, beim Fahrwechsel 45/46, mussten die Reisenden mit Trittbrettern vorlieb neh­men. So etwas gibt es bei einem Privatunternehmen nicht. Danke, DB! Senkju!

Im Übrigen beklagen doch gerade Kirchenleute die Vereinzelung des heutigen Menschen und die zuneh­mende Ungleichheit in der Gesellschaft. Bei der DB ist das anders. Im Triebwagen nach Lindau stehen Frauen und Männer, Junge und Alte, Reisende Erster und Zweiter Klasse dicht gedrängt. Sie erfahren so die Nähe des Mitmenschen - und Gleichheit. Wo die aber herrscht, sind die Leute glücklich. Das haben Untersuchungen nachge­wiesen. Danke, DB! Senkju!

Der heutige Mensch, liebe Leserin und lieber Leser, will alles beherrschen, auch die Natur. Doch die DB macht da nicht mit. Im Winter sind die Weichen vereist, im Sommer fallen Klimaanlagen aus, und im Herbst ist das Laub an Verspätungen Schuld. Aber sollen wir nicht immer wieder innehalten? Danke für die Entschleunigung unseres Lebens, teure DB! Senkju!

Jürgen Wandel

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