Dankbare Trauer

Freie Wintermusik aus Finnland
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Kuára ist das udmurtische Wort für Klang (und Udmurtien ist eine Region in der russischen Taiga). In einem sehr persönlichen Verständnis meint Kuára vor allem den Klang der Stille.

Der Winter ist zurück, schon wieder. Seine Heimat ist der Norden, seine Farbe weiß. Nicht allein wegen des Schnees, der gerade in dünnen Flocken am Fenster vorübertreibt, sondern viel mehr noch, weil er die Schöpfung gleichsam in ein unbeschriebenes, weißes Blatt rückverwandelt. Mit unsichtbarer Tinte ist der Neubeginn schon angelegt, sagt uns der Verstand. Das Gefühl sagt: Alles ist tot.

Kategorie "Freistil"

Kuára, die neue Platte des finnischen Duos Markku Ounaskari (Perkussion) und Samuli Mikkonen (Klavier), ist seltsamerweise im Mai aufgenommen. Sie wirkt nicht so. Kuára ist das udmurtische Wort für Klang (und Udmurtien ist eine Region in der russischen Taiga). Es mag bloß die Interpretation eines Einzelnen sein, aber die Musik klingt wie geschaffen für die Zeit der Jahreswende. In diesem sehr persönlichen Verständnis meint Kuára vor allem den Klang der Stille. Einer Stille, wie sie nur im Winter vorkommt.

"Psalms and Folk Songs" lautet der Untertitel, denn Ounaskari und Mikkonen, die sich hier durch den Trompeter und Sänger Per Jørgensen zum Trio verstärkt haben, nehmen russisch-orthodoxe Psalmvertonungen und Folklore aus Karelien, Vepsien und Udmurtien als Grundlage für ihre Musik. "Wir lieben diese wunderschönen, einfachen Melodien, die sehr melancholisch sind. Diese Musik fühlt sich für uns ganz nah an, und es ist völlig natürlich, mit ihnen zu improvisieren", erzählt Markku Ounaskari.

Alle drei Musiker haben ihre Wurzeln vor allem im Jazz, aber diese CD ist keine Jazzscheibe, jedenfalls nicht im engeren Sinn (mit wenigen Ausnahmen wie der Eigenkomposition "Mountain of Sorrow"). Doch man würde sie auch nicht als Folk beschreiben, und ebenso kommen Welt- oder geistliche Musik wenig in Frage. Es bleibt nur die Kategorie des "Freistil" - einer Musik, die nicht in Genregrenzen denkt, sondern allein aus sich heraus besteht.

Die Musik verstört nicht

Es ist wahrscheinlich keine Platte, zu der man einen schnellen Zugang findet. Das alle Stücke dominierende Klavier ist zwar weich und klangschön gespielt, und die Melodien sind "wunderschön und einfach", genau, wie sie Ounaskari beschreibt. Doch mit den kargen Schlagzeug-Akzenten, der gedämmten Trompete und dem archaischen Gesang, der sich selten hinzugesellt, verströmen die vierzehn Instrumentalkompositionen ein Gefühl der Verlorenheit und mitunter auch großer Trauer.

Zugleich aber schwingt etwas Tröstliches mit. Bei aller Melancholie: Diese Musik verstört nicht, im Gegenteil, sie spendet Kraft. Es sei noch einmal erinnert, dass hier eine persönliche Wahrnehmung (eine andere lässt die Musik nicht zu) geschildert ist. Aus dieser Sicht und in diesen Ohren haben wir es bei Kuára mit dem besonderen "Klang" zu tun, den Trauer entfaltet, wenn sie Dankbarkeit und ein tieferes Verständnis des Lebens schenkt.

Markku Ounaskari & Samuli Mikkonen mit Per Jørgensen - Kuára. Psalms and Folk Songs. ECM Records 2116 273 3217.

Ralf Neite

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