Schon hier und jetzt

Es geht um Tod und Leben, Sterben und Auferstehen: Das christliche Sakrament der Taufe
In der Kindstaufe kommt die Bedingungslosigkeit der Heilszusage Gottes zum Ausdruck. (Foto: epd/Jens Schulze)
In der Kindstaufe kommt die Bedingungslosigkeit der Heilszusage Gottes zum Ausdruck. (Foto: epd/Jens Schulze)
Die Taufe die Bedingungen verwandelt dieses irdische Leben nicht endgültig. Aber sie sagt den darin wirksamen Kräften gegen Gottes Heilswirken erfolgreich den Kampf an.

Die Taufe ist das christliche Sakrament des Anfangs. Durch die Taufe wird ein Mensch so auf den Weg des Heils gebracht, dass er als alter Mensch zeichenhaft aber real mit Christus stirbt und ihm damit die Vergebung dessen, was ihn von Gott trennt, also all seiner Sünde, zugesprochen wird. Das symbolische Abgewaschen- und Gereinigtwerden ist darin enthalten, wird aber noch überboten.

Es geht um Tod und Leben, Sterben und Auferstehen. Die Sterbenssymbolik, die dabei vorausgesetzt ist, zeigt die Radikalität sowohl des Sündenschadens als auch der Erlösung durch den gekreuzigten und auferstandenen Christus.Der damit begonnene Weg endet darum auch nicht innerhalb dieses Lebens, ja streng genommen nicht einmal mit dem Ende dieses Lebens, sondern im Übergang aus diesem Leben in Gottes Ewigkeit.

So erweist sich der Weg, den Gott mit dem Menschen von der Taufe an geht, als der Weg, der durch Sterben und Tod hindurch ins ewige Leben führt.

Ein Weg durch Sterben und Leben

Der von den Reformatoren - im Anschluss an Augustin und die altkirchliche Tradition - dabei vorausgesetzte Sakramentsbegriff umfasst drei konstitutive Elemente: - die Einsetzung dieser Handlung durch den irdischen oder auferstandenen Christus (Matthäus 28,19); - das Verbundensein der Handlung mit einer göttlichen Heilsverheißung (Titus 3,4 f.) und - die Bindung der Handlung an ein leibhaftes, sichtbares Zeichen, in diesem Fall an das Untergetauchtwerden in Wasser oder die Besprengung beziehungsweise Übergießung mit Wasser als Zeichen für das Neuwerden und die Reinigung des Menschen (Römer 6,3 f.).

Die Taufe ist dasjenige Sakrament, durch das ein Mensch zu einem Christenmenschen, zum Glied am Leib Christi wird. Was dem Menschen mit der Taufe gegeben wird, ist Gott selbst mit allen seinen Gaben, also das ganze Heil. Das zeigt, dass der Status des getauften Menschen nicht ein vorläufiger, ergänzungsbedürftiger Stand ist, sondern einer, über den wir - in diesem Leben - weder hinauskommen können noch sollen.

Luther kehrt die Vorstellung von einem Hinauskommen über die Taufe geradezu um und spricht stattdessen vom Christenleben als einer permanenten Rückkehr zur Taufe beziehungsweise einem Hineinkriechen in die Taufe.In und mit diesem Anfang des Christenlebens ist dem Christenmenschen alles gegeben, was Gott ihm an Heilsgaben in diesem Leben geben will und kann, aber dieses alles ist täglich neu im Glauben anzueignen, zu erleiden und zu tun.

Der Anfang des Christenlebens

Auf die Frage: "Was bedeutet denn solch Wassertaufen?" kann Luther deshalb im Kleinen Katechismus die Antwort ge­ben: "Es bedeutet, dass der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten, und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinigkeit vor Gott ewiglich lebe."

An diesen Aussagen zeigt sich, dass die Taufe in der reformatorischen Theologie und Frömmigkeit als lebendiger Grund des Christenlebens und das Christenleben als dynamischer Vollzug der Taufe verstanden wird, und zwar gerade nicht dadurch, dass sie wiederholt wird, sondern dadurch, dass sie in ihrer Einmaligkeit das Fundament ist und bleibt, zu dem immer wieder zurückgekehrt werden kann und soll.

Ein gefährlicher Räuber

Wie kann angesichts all dieser Aussagen über die Heilsbedeutung der Taufe noch von nach der Taufe verbleibender Sünde und von einem Sein des Christenmenschen als "zugleich gerecht und Sünder" die Rede sein? Jedenfalls nicht deshalb, weil sich die dem Menschen in der Taufe zuteil werdende Vergebung nur auf einen Teil der Sünde bezöge und einen anderen Teil nicht erreichen, nicht betreffen oder nicht vergeben würde.

Sondern darum und insofern, als die Taufe die Bedingungen dieses irdischen Lebens (noch) nicht endzeitlich verändert, also endgültig verwandelt, sondern den darin wirksamen Gegenkräften gegen Gottes Heilswirken "nur" erfolgreich den Kampf ansagt. Gottes Vergebung bringt die Realität des Bösen in dieser Welt, auch im Christenmenschen, nicht zum Verschwinden, sondern sie verurteilt, richtet, vergibt sie und überwindet sie so durch Gottes Geist.

Luther bringt dies in einer seiner frühen Schriften durch ein anschauliches Bild zum Ausdruck: Die Sünde des Menschen gleicht einem gefährlichen Räuber, der durch die Taufe und durch die mit ihr zugesprochene Vergebung der Sünde zwar gefangen, in Ketten gelegt und insofern seiner Macht beraubt ist, der aber ständig versucht, seine Ketten zu sprengen, um erneut sein übles Werk zu treiben.

Die Sünde ist gefangen, aber sie ist nicht zum Verschwinden gebracht. Es gibt sie noch als gefährliche Realität. Und es ist eine Aufgabe des christlichen Lebens, im Kampf gegen diese Macht der Sünde zu stehen und zu bestehen - bis zum Tod. Erst mit dem Tod kommt dieser Kampf an sein Ende.

Taufe - Heilszusage Gottes

Was heißt das für die Kindertaufe? Artikel 9 des Augsburgischen Bekenntnisses sagt: "Von der Taufe wird gelehrt, dass sie nötig sei, und dass dadurch Gnade angeboten werde; dass man auch die Kinder taufen soll, welche durch solche Taufe Gott überantwortet und gefällig werden."

Daran schließt sich unmittelbar die Lehrverurteilung an: "Deshalb werden die Wiedertäufer verworfen, welche lehren, dass die Kindertaufe nicht recht sei." Im Vordergrund der Auseinandersetzung über diese Frage steht die Auffassung der sogenannten Täufer, die Kindertaufe sei "nicht recht", weil den so Getauften der Glaube als notwendiger Bestandteil einer gültigen Taufe fehle und weil deshalb die Kindertaufe der Einsetzung der Taufe durch Jesus Christus widerspreche. Folglich könne es erst recht kein Gebot der Kindertaufe geben.

Ein solches Gebot der Kindertaufe entdecken auch die Reformatoren nicht in der Bibel. Zwar verweisen sie einerseits auf Jesu Segnung der Kinder (Markus 10,13-16) und andererseits auf die Formeln aus der Apostelgeschichte, in denen gesagt wird, dass ein Mensch sich taufen ließ "mit seinem ganzen Haus" (Apostelgeschichte 16,15.31-34), aber sie unterscheiden beides von einem Gebot der Kindertaufe.

Für die Praxis der Kindertaufe beziehungsweise Säuglingstaufe spricht jedoch die Tatsache, dass keine andere Taufpraxis so eindeutig die Bedingungslosigkeit der in der Taufe ergehenden Heilszusage Gottes zum Ausdruck bringt.

Damit ist zugleich der Anfechtung ein wirksamer Riegel vorgeschoben, die sich in der Frage anmeldet, ob denn der eigene Glaube echt (ge­nug), das eigene Bekenntnis aufrichtig (genug) war, die der Taufe vorangingen und auf die hin die Taufe vollzogen wurde.

Um diesen Glauben und um dieses Bekenntnis mag es bestellt gewesen sein, wie es will. Die Gültigkeit der in der Taufe diesem Menschen zugesprochenen Heilszusage und Annahme Gottes stehen damit nicht, und darum fallen sie auch nicht mit ihnen. Und deshalb kann ein Mensch, dem sein Glaube unsicher und zweifelhaft geworden ist, sich an der Gewissheit festhalten: "Ich bin getauft."

Unantastbar gültig

Dass die Kindertaufe dies so klar zum Ausdruck bringt, ist ihre stärkste theologische Begründung. Damit ist zugleich der Vermutung ein Riegel vorgeschoben, dass irgendein Mensch wegen einer bei ihm vorhandenen intellektuellen Behinderung von der Taufe und vom Heil Gottes ausgeschlossen sein könnte.

Die unantastbare Gültigkeit der Taufe ist nicht abhängig von dem Ja, das ein Mensch zu seiner Taufe findet, wohl aber hängt davon ihre Wirksamkeit ab. Denn die Taufe ist auf das Ja des Glaubens hin angelegt, und in dem Maße, in dem sie dieses Ja weckt, wird die Taufe im Leben eines Menschen wirksam. Das ist ein Prozess, der von Anfechtung und Zweifel begleitet und bedroht wird und deshalb der geistlichen Begleitung bedarf.

Welche kirchlichen Aufgaben stellen sich in diesem Zusammenhang für die kirchliche Taufverantwortung? Betrachtet man die vier EKD-Erhebungen über Kirchenmitgliedschaft aus den Jahren 1972, 1982, 1992 und 2002, so ist das Ergebnis im Blick auf das Tauf­interesse überraschend positiv.

Auf die Frage: "Angenommen, Sie hätten zu entscheiden, ob Ihr Kind getauft werden soll oder nicht: Wie würden Sie entscheiden?" antworteten mit "Ja" 1972: 82 Prozent, 1982: 88 Prozent, 1992: 93 Prozent, 2002: 95 Prozent.

Dazu steht es freilich in deutlicher Spannung, wenn der Rat der EKD in seinem Impulspapier "Kirche der Freiheit" 2006 konstatieren muss: „Die Taufen sind im Zeitraum von 1991 bis 2003 um über 25 Prozent zurückgegangen.“ Die dadurch sichtbar werdende Differenz zwischen geäußertem Taufinteresse und faktisch gespendeten Taufen lässt verschiedene Erklärungen zu, sie stellt aber vor allem einen kirchlichen Handlungsappell dar.

Eine Kerze zur Erinnerung

Welche Wege können beschritten werden, um latente Taufbereitschaft in aktuelle Tauffeiern zu überführen? Zu den Elementen, die bereits fest in der kirchlichen Taufpraxis verankert sind, gehört die Übergabe der - an der Osterkerze entzündeten - Taufkerze an Taufpaten oder Eltern, in der Regel verbunden mit dem Hinweis auf die dadurch verstärkte Möglichkeit der Tauf­erinnerung.

Dabei ist es eine wichtige Erinnerungshilfe, wenn auf der Kerze das Taufdatum zu lesen ist. Damit ist durch ein bescheidenes aber passendes Symbol der Anlass für die kindliche Frage (in Analogie zum jüdischen Pessachfest) nach der Bedeutung von Taufkerze und Taufe gegeben, samt der Möglichkeit der Eltern und/oder Paten, darauf zu antworten. Taufpatenbriefe bieten dafür teilweise gute Formulierungshilfen.

Fest verankert ist seit langem auch die christliche Unterweisung in ihren zahlreichen kirchlichen und schulischen Formen. Weniger gut verwurzelt sind regelmäßige zeitlich befristete Angebote für Eltern im Umfeld der Taufe, um ihnen die Klärung von Fragen religiöser Kindererziehung zu ermöglichen.

Es gibt viele jungen Eltern, die ihren Kindern gerne etwas vermitteln möchten, was sie selbst aber schon nicht mehr bekommen haben und darum nicht weitergeben können: Gebete, Lieder, Geschichten, Kinderbibeln und andere gute Literatur für Kinder - ebenso wie die Beschäftigung mit den Kinderfragen nach Gott und der Welt.

In den letzten Jahrzehnten haben die meisten Landeskirchen das Abendmahl bewusst geöffnet für die Teilnahme von Kindern. Das ist eine eindrückliche Form, wie die Kindertaufe in ihrer vollen Gültigkeit ernst genommen und auch für Kinder erlebbar gemacht werden kann.

Eine Einladung: das Abendmahl

Dass die Öffnung des Abendmahls für die Teilnahme von Kindern nicht nur eine eher widerwillige Zulassung ist, sondern den Charakter einer Einladung hat, hat in vielen Gemeinden eine gewisse Zeit gebraucht. Damit ist aber die ständige Herausforderung der Heranführung der Kinder an das Abendmahl durch Eltern, Kindergottesdienst und liturgische Gestaltung der Feier verbunden. Das bleibt ein Teil der Taufverantwortung.

Die schöne Praxis, das neugetaufte, kleine Kirchenmitglied der Gemeinde durch Herumtragen vorzustellen, kann die Frage wecken, wie weit sich die dadurch angesprochene Taufverantwortung der Gemeinde erstreckt.

Heutzutage sind viele junge Familien aus beruflichen Gründen von ihrem familiären Herkunftszusammenhang getrennt und erleben dies als ein großes Problem - schon im normalen Alltag, insbesondere aber in schwierigen Lebenssituationen. Wenn es richtig ist, dass die Taufe Eingliederung in den Leib Christi ist und dass dieser Leib Christi in dieser Welt immer nur in Gestalt einer konkreten Gemeinde und einer verfassten Kirche existiert, dann kann es diesem Leib nicht gleichgültig sein, woran seine kleinen und großen Glieder leiden.

Und vielleicht kann er sogar einen Beitrag dazu leisten, dass sie nicht unnötig leiden. Dann würde möglicherweise durch solche Taufverantwortung etwas von der Seligkeit schon hier und jetzt erlebbar, die mit der Taufe als Verheißung gegeben ist.

Wilfried Härle ist Theologieprofessor .

Wilfried Härle

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