Durchgekämpft und gewonnen

Frauenfußball wurde lange belächelt. Jetzt winkt den DFB-Kickerinnen ihr größter Triumph.
Fototermin im Kölner Stadion im April 2011. Foto: dpa/Henning Kaiser
Fototermin im Kölner Stadion im April 2011. Foto: dpa/Henning Kaiser
Vom 26. Juni bis 17. Juli spielen die sechzehn besten Frauenmannschaften der Welt in Deutschland um die Fußball­welt­­meisterschaft. Die deutschen Fußballerinnen gelten als Favoriten. Der dritte WM-Titel in Folge ist möglich. Ein solcher Triumph war bislang noch keiner Fuß­ball-Nationalmannschaft vergönnt - weder bei den Männern noch bei den Frauen.

"Spielerfrau" so lautete einst die Antwort des für seinen Spiel- und Wortwitz gleichermaßen geschätzten Nationalspielers Mehmet Scholl auf die Frage nach seinem Traumberuf. Bis jedoch einmal eine Fußballerin den "Spielerinnenmann" als Traumjob ausloben wird, gilt es gewiss noch so manche Frauen-WM auszutragen. Auch wenn die Frauen mittlerweile organisatorisch ähnlich gut aufgestellt sind wie die Männer, auf und vor allem neben dem Fußballplatz, ist der kleine Unterschied zumeist immer noch ein großer: Der Frauenfußball mag ja bereits für große Gefühle stehen, nicht jedoch für das große Geld.

Zuschauermassen sind vorerst ausschließlich ein Phänomen des Männerfußballs. Eine Fußball-WM der Männer ist das mit Abstand größte Sportspektakel, dass die Welt zu bieten hat. Zuschauerzahlen und Umsätze bemessen sich nicht nach Millionen, sondern nach Milliarden. Männerfußball füllt die größten Stadien und auch die größten Taschen.

Nicht nur in Deutschland ist Frauenfußball hingegen zumeist ein reiner Amateursport. Selbst die Etats der Spitzenclubs bewegen sich unterhalb der Millionengrenze. Die Spielerinnen reisen per Bus zu ihren Auswärtsspielen auch wenn es bis ans andere Ende der Republik geht. Geschlafen wird, um Übernachtungskosten zu sparen, zumeist während der Fahrt. Die Spielerinnen sind Schülerinnen und Studentinnen oder gehen einer regulären Arbeit nach. Kaum eine Spielerin vermag ihren Lebensunterhalt über den Fußball zu finanzieren.

Frauenfußball ist noch Amateursport

Einzig die US-Fußballerinnen haben durch ihre eigene Profiliga auch ihre eigene Einnahmequelle. Mit zwei WM-Titeln, drei Olympiasiegen und sieben Siegen beim Algarve Cup sowie sechs beim concacaf Women’s Gold Cup der mittel- und nordamerikanischen Meisterschaft stellen sie das erfolgreichste Frauen-Fußballteam der Welt, dicht gefolgt von Deutschland. Während man beim DFB (Deutscher Fußballbund) sowie bei der FIFA (Weltfußballbund) mächtig stolz auf einen jeweiligen Frauenanteil von etwas über 10 Prozent ist, sind in der US United Soccer Federation 40 Prozent der Mitglieder Frauen. Women’s Soccer ist in den USA derart beliebt, dass Fußball geradezu als typische Frauensportart gilt. Kein Wunder also, dass das WM-Finale 1999 in den usa mit 90  185 Zuschauern das bestbesuchte Frauenfußballmatch aller Zeiten war.

Dieser Rekord wird auch in Deutschland nicht zu übertreffen sein. Zumal für das Finale in Frankfurt am Main "nur" 49 240 Stadionplätze zur Verfügung stehen. Man hat ohnehin ganz andere Ziele im Visier: "Wir wollen Geschichte schreiben" so die Exnationalspielerin Steffi Jones, die sich als Präsidentin des WM-Organisationskomitees ein "Sommermärchen reloaded" erhofft. In allen 32 Spielen soll ein ausverkauftes Stadion für Stimmung sorgen. Zudem will man der Welt nicht nur attraktiven Sport, sondern zugleich auch eine "klimafaire WM" bieten. "Green Goal 2011" heißt das Nachhaltigkeitskonzept, dass in den fünf Kategorien "Wasser, Abfall, Catering, Energie und Mobilität" auf vorbildliche Umweltstandards setzt.

Hütchen auf den Köpfen

Die WM-Euphorie, sofern sie sich denn einstellt, wird vermutlich rasch wieder abklingen. Ob die WM zur Steilvorlage für eine Professionalisierung des Frauenfußballs taugt, bleibt abzuwarten. In den meisten Ländern kämpft jedenfalls der Frauenfußball immer noch um gesellschaftliche Anerkennung. Da­bei ist die Welt erwiesenermaßen fußballverrückt: Die fifa umfasst mehr Staaten als die uno. Die globale Fußballfamilie zählt bereits 300 Millionen aktive Mitglieder, die weltweit für 300 Milliarden Dollar Umsatz sorgen. Der finanzielle Aufwand sowie die Zuschauerresonanz einer Frauen-WM erreicht indes allenfalls ein Zehntel von dem, was eine Männer-WM ausmacht.

Dennoch, die Frauen treten nach und nach aus dem langen Schatten des Männerfußballs. Am Anfang stand allerdings ein nicht enden wollender Hindernislauf. Die männliche Abwehr agierte dabei wie ein Catenaccio jener nahezu unüberwindbare Sperrriegel alt-italienischer Fußballschule. Versagt einmal die Abseitsfalle, so wird eben gefoult. Nicht etwa innerer Einsicht folgend, sondern allein anwachsendem äußeren Druck nachgebend öffnete sich die Männerwelt dem Frauenfußball. Ein Rückblick der Männer immer noch beschämen muss offenbart, welchen Anwürfen die bestenfalls belächelten "Fußballbräute" über geraume Zeit ausgesetzt waren.

Dabei herrschten zur Zeit der Geburt des modernen Fußballs durchaus noch Toleranz und Chancengleichheit auf dem Spielrasen. An englischen Schulen kickten jedenfalls die Mädchen bereits fleißig mit, als es 1863 zu einer internationalen Vereinheitlichung der Fußballregeln kam. 1894 wurde das erste britische Frauen-Fußballteam gegründet. Um den "Anstand zu wahren", trugen die Fußballdamen des "British Ladies’ Football Club" über ihren Knickerbockern noch ein Röckchen und zudem kleine Hütchen auf den Köpfen. Doch schon 1902 verbot die Football Association jene als unsittlich empfundenen Ballberührungen mit dem Argument, dieser Sport sei viel zu rau und zu männlich, um Frauen eine derartige Betätigung gestatten zu können.

Als im Zuge des Ersten Weltkrieges die klassische Rollenverteilung aufzubrechen begann, kam auch wieder die Zeit des Frauenfußballs. Die Männer waren im Krieg, die Frauen in den Fabriken. Ein neues Selbstbewusstsein entstand: Hausfrauen konnte man den Fußball verbieten, Arbeiterinnen gewiss nicht mehr. Und so hatte in den Zwanzigerjahren jede größere englische Ortschaft ihr eigenes Frauenteam.

Frauenfußball - dereinst verwerflich

Auch in Frankreich und in anderen europäischen Ländern gewann Frauenfußball in jener Zeit an Attraktivität. Durchsetzen konnten sich die Frauen indes selbst im Fußballmutterland nicht. Von 1921 an war ihnen die Benutzung öffentlicher Stadien untersagt. Und dieses Verbot wurde tatsächlich erst 1970 aufgehoben.

Auch in Deutschland grenzte man in den Zwanzigerjahren den Frauenfußball kaum dass er aufzuleben begann als moralisch verwerflich aus. Dennoch entstand 1930 in Frankfurt am Main der erste deutsche Damen-Fußballclub. Mangels anderer Frauen-Teams konnte nur gegen Männermannschaften angetreten werden. Nach vielfachen Protesten wurde der Damenclub binnen ei­nes Jahres wieder aufgelöst. Wenig später gewannen dann völkisch-nationalistische Argumente rasch die Oberhand. Das "Weib", so hieß es, entbehre im Kampfsport, zu welchem der Fußball zu rechnen sei, der "heldischen Größe", wo­durch sie erst zum "ergänzenden Wesen" des Mannes werde.

Der erste WM-Titel der deutschen Männer förderte 1954 auch bei Frauen das Fußballfieber. Doch auf das "Wunder von Bern" folgte kein "Fräuleinwunder". Die Diskriminierung ging in die Verlängerung. Die Gegner des Frauenfußballs beriefen sich dabei bevorzugt auf Frederik Jacobus Johannes Buytendijk: "Das Fußballspiel als Spielform", so der seinerzeit renommierte niederländische Anthropologe, "ist wesentlich eine Demonstration der Männlichkeit. Es ist noch nie gelungen, Frauen Fußball spielen zu lassen, wohl aber Korbball, Hockey, Tennis und so fort. Das Treten ist wohl spezifisch männlich, ob das Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nichttreten weiblich."

Angesichts solcher Expertisen wundert es kaum, dass der DFB 1955 beschloss, Frauenfußball in jeder Form zu unterbinden. Al­len dem dfb angeschlossenen Ver­einen wurde untersagt, Frauen­abteilungen zu gründen oder auch nur die Sportstätten irgend­welchen Damenmannschaften zur Verfügung zu stellen.

Die Frauen kickten indes auch ohne den Segen des DFB munter weiter. Es kam sogar zu ersten "in­offiziellen" Länderspielen. Die Me­dien berichteten da­von wenn auch zumeist in hämisch-herablassender Diktion. 1957 kommentierte die Wochenschau das Frauenfußballländerspiel Deutschland gegen Holland wie folgt: "Die Umstellung von Haus­haltsführung auf Ballführung scheint tatsächlich gelungen zu sein, obwohl die Herren der Schöpfung noch immer lachen. Unsere Fußball-Suffragetten tragen keine Blau- sondern Ringelstrümpfe, besiegen die Meisjes und Mutti freut sich."

Kaffeeservice als Prämie

Während in der DDR mit der bsg Empor Mitte-Dresden bereits 1968 die erste Frauenfußballmannschaft gegründet werden konnte, öffnete sich der dfb erst im Oktober 1970 für den Frauenfußball. Man befürchtete, dass sich die im­mer zahlreicher werdenden Fußballer­in­nen ansonsten ihre eigenen Verbandsstrukturen schaffen würden. Wegen ihrer "schwächeren Natur" hatten Frauen allerdings eine halbjährige Winterpause einzuhalten. Sie mussten mit dem leichteren Jugendball vorliebnehmen, hatten auf Stollenschuhe zu verzichten und die Torhüterinnen mussten ein Schutzkorsett tragen. Die Spielzeit war auf zweimal 30 Minuten begrenzt. 1993 erst gestattete man auch den Frauen die fußballüblichen zweimal 45 Minuten. Volle Gleichberechtigung nach allen Regeln der Fußballkunst gibt es national wie international erst seit 1995.

Bei ihrem ersten EM-Titel 1989 bekam jede Nationalspielerin vom Verband noch ein Kaffeeservice als Siegprämie. Der größte und mächtigste Einzel-Sportverband der Welt lernte jedoch dazu: 2007, beim ersten WM-Titel, gab es pro Spielerin immerhin schon eine Prämie von 50 000 Euro.

Heutzutage unterscheidet sich der von Frauen gespielte Fußball in Bezug auf Regelwerk, Spielweise sowie der wichtigsten taktischen und strategischen Grundregeln in keiner Weise mehr vom Fußball der Männer. Dass die Profifußballer weitaus mehr Dynamik, aber auch mehr Härte aufs Feld bringen als die Amateurfußballerinnen, ist indes offensichtlich. Ob etwa die Herberger-Mannschaft von 1954 einem Frauenteam vom Schlage der heutigen Nationalelf noch gewachsen wäre, mag indes bereits eine riskante Wette sein.

Umstellung von Haus­halts- auf Ballführung

Inzwischen sind deutschlandweit fast eine Million Fußballerinnen in den Vereinen gemeldet. Der Mädchen- und Frauenfußball ist seit Jahren das am stärksten wachsende Segment in der Mitgliederstatistik des dfb. Man ist offenbar vom hinterhältigen Bremser zum ehrlichen Förderer mutiert. Und ohne die Macht des Verbandes, soviel ist gewiss, wäre der rasante Aufschwung im Frauenfußball auch kaum denkbar. So hat der dfb beispielsweise die Fernsehverträge nach dem Motto abgeschlossen: Wer Neuer und Klose sehen will, muss auch Angerer und Prinz übertragen. Mittlerweile wird keine andere Randsportart so protegiert wie der Frauenfußball ein gerechter Ausgleich für die lange Zeit ungerechtfertigter Ausgrenzungen und Verbote.

Inzwischen haben die deutschen Fußballerinnen ihren männlichen Kollegen zumindest was die internationale Balleroberung anbelangt klar den Rang abgelaufen: Während die Männer "nur" noch "Weltmeister der Herzen" werden das heißt allenfalls glanzvolle Vor- und Zwischenrunden zustande bringen , stapeln sich bei den Frauen die Lorbeerkränze. Sie sind inzwischen siebenfacher EM- und zweifacher WM-Titelträger. Und bei der WM 2011 könnte der Ball die Männer noch an anderer, empfindlicher Stelle treffen: Rekordnationalspielerin Birgit Prinz benötigt nur noch ein einziges Törchen, um die nationalen Torjägerlegenden Gerd Müller und Miroslav Klose als WM-Torschützenkönige zu überflügeln.

Ob nun WM der Fußballer oder der Fußballerinnen, eines bleibt immer gleich: Die Zuschauer wollen leidenschaftliche Spiele sehen, wollen dramatische Szenen erleben, die die ganze Welt berühren. Vor allem jedoch wollen sie Tore sehen; außergewöhnliche Tore, über die man noch in Jahrzehnten spricht. Treffer von der Art, wie sie sich der Dribbelkünstler Mehmet Scholl erträumte: "Die schönsten Tore sind die, bei denen der Ball flach oben rein geht."

Reinhard Lassek

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