Vergebung

Starke Kraftquelle
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Wer denkt, Vergebung von Massenmord, Vergewaltigung und Töten von Kindern sei unmöglich, wird von den Zeugnissen dieses Buches regelrecht überwältigt. Und er muss erkennen, dass es keinen anderen Weg zum Frieden gibt.

Die Lektion dieses Buches ist bitter und verheißungsvoll zugleich: verheißungsvoll, weil die vielen erzählten Zeugnisse von gelungener Vergebung - und das Buch besteht weithin aus solchen Beispielen - unwiderleglich beweisen, dass Vergebung möglich ist und dass aus Vergebung Frieden und Freiheit erwachsen. Und bitter, weil "der Akt der Vergebung immer von derjenigen Person ausgehen muss, der Unrecht geschah, also vom Opfer einer größeren Verletzung". Vergeben bedeutet nicht Schwäche des Vergebenden. Es bedeutet auch nicht, "das, was geschehen ist, übersehen oder einer bösen Tat ein falsches Etikett aufkleben. Vielmehr heißt Vergebung, dass die böse Tat keine trennende Schranke mehr für die Beziehung zueinander bleibt."

In unserer Kultur, "in der vor allem Selbsterhalt und Individualismus betont werden, sieht man auf die Vergebung nur verächtlich herab". Missbrauchsopfern, die vergeben, wird gelegentlich sogar Komplizenschaft vorgeworfen. Der Autor, evangelischer Pfarrer in den usa, berichtet auch von einigen Fällen, in denen der Vergebende angefeindet wurde, weil bestimmte Verbrechen nicht vergeben werden dürften. Aber wer, wenn nicht das Opfer, habe das Recht zum Vergeben? Vergebung hängt nicht vom Verbrecher ab.

Doch wie können Eltern einem Mann vergeben, der ihr Kind missbraucht und ermordet hat? Wie soll ein Polizist dem Jugendlichen vergeben, der ihn durch gezielte Schüsse zum Krüppel schoss, so dass er sein restliches Leben gelähmt im Rollstuhl verbringen muss? Wie soll ein Tutsi einem Hutu vergeben, der seine ganze Familie ausgerottet hat? Und wie soll eine Frau, die als Kind gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester vom KZ-Arzt Mengele in Auschwitz für medizinische Versuche missbraucht wurde, ihrem Peiniger vergeben? Die Beispiele ließen sich fortsetzen.

Vergebende Helden

Auch im Alltäglichen gibt es Verrat und Verletzungen, die unverzeihlich erscheinen. Und genau um diese Verletzungen geht es. Wut und Rachegelüste halten das Opfer in Unfreiheit. Ein überlebender Tutsi, dessen ganze Familie ermordet worden ist, erklärt: "Für mich sind die wahren Feinde diejenigen, mit denen wir alle zu kämpfen haben: die Wut und Bitterkeit, die wir tagsüber mit uns herumtragen, und die Furcht und Angst, mit der wir nachts schlafen." Und die wahren Befreier sind Vergebung und Liebe. Der Autor meint, Menschen, die Schweres erlitten haben, sollten "Geschichten über die Vergebung zu hören bekommen", damit sie von ihnen berührt und ermutigt werden. Die stärkste Kraftquelle sei immer das Bewusstsein, selbst auf Vergebung angewiesen zu sein, selbst Vergebung erfahren zu haben.

Wer am Anfang noch denkt, Vergebung von Massenmord, Vergewaltigung und Töten von Kindern sei unmöglich, wird von den Zeugnissen dieses Buches regelrecht überwältigt und muss erkennen, dass es keinen anderen Weg zum Frieden gibt. Die Vergebenden dieses Buches sind Friedensstifter und Helden. Ohne Zweifel.

Aber, und damit ist das Buch wohl doch typisch amerikanisch: Es berichtet von keinem Fall, wo Vergebung nicht zustande gekommen sei. Ein solcher nüchterner Bericht hätte dem Buch gut getan. Denn wenn Vergebung ein Geschenk ist, wie der Autor nicht müde wird zu betonen, dann wird es auch Schicksale geben, bei denen dieses Geschenk nicht angekommen ist.

Johann Christoph Arnold: Wer vergibt, heilt auch sich selbst. Kreuz Verlag, Freiburg i. Br. 2010, 217 Seiten, Euro 12,95.

Jürgen Israel

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