Aufbruch mit Axt

100. Geburtstag von Max Frisch
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Knapp 70 Minuten lang zieht die Hörbuch-Adaption von Max Frischs Klassiker "Der Graf von Öderland" in den Bann. Atmosphärisch verdichtet folgt Szene auf Szene, die nur gelegentlich von Musikeinspielungen unterlegt sind und den hintergründigen Charakter des Stückes unterstreichen.

"Warum brechen wir nicht einfach auf?", fragt der Erzähler Max Frisch (gesprochen von dem Schweizer Schauspieler Hanspeter Müller-Drossaart) zu Beginn dieses als Hörspiel neu aufgenommenen Klassikers in der Szene "Genua 1946". Es genüge schon, jede Art von Hoffnung abzuwerfen, die nur Ausreden oder Aufschub bedeute - diese verfängliche Hoffnung auf den Feierabend, das Wochenende oder das nächste Mal. Er nimmt damit das Thema des Hörspiels vorweg.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Der Kassierer einer Bank erschlägt ohne ersichtlichen Grund einen ihm unbekannten Mann mit einer Axt. Der Oberrichter, der den Fall zur Anklage bringen soll, kann sich eines plötzlichen Verständnisses für die wüste Tat nicht erwehren und verschwindet. Unterschlupf findet der flüchtige Oberrichter in einer Holzfällerhütte, in der die Tochter Inge die Ballade vom Grafen Öderland singt. Dieser zieht mit der Axt in der Hand mordend durchs Land. Der Oberrichter identifiziert sich mit der Sagengestalt, greift die Axt und flieht mit Tochter Inge.

Knapp 70 Minuten lang folgt die Hörerin den Szenen dieses geheimnisvollen Stückes, das - einem Brechtschen Lehrstück gleich - sie in seinen Bann zieht. Atmosphärisch verdichtet folgt Szene auf Szene, die nur gelegentlich von Musikeinspielungen unterlegt sind und den hintergründigen Charakter des Stückes unterstreichen: "Wenn unsereins tun und lassen könnte, was er möchte ..." Eine sprachliche Meisterleistung, brillant inszeniert - ein Hörspiel, das auch nach mehrmaligem Hören neue Gedanken anstößt.

Max Frisch: Der Graf von Öderland. Christoph Merian Verlag 2011.

Kathrin Jütte

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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