Mehr Selbstbestimmungsrecht

Warum der Friedhofszwang aufgehoben werden sollte
Bestattet im Friedhofswald in Braubach (Rheinland-Pfalz). Foto: epd/Petra Steuer/JOKER
Bestattet im Friedhofswald in Braubach (Rheinland-Pfalz). Foto: epd/Petra Steuer/JOKER
Für eine gesetzliche Aufhebung des Friedhofszwangs plädiert Hans-Peter Wetzel, Rechtsanwalt in Überlingen und Mitglied der FDP.

Das Bestattungsrecht ist wie jedes andere Rechtsgebiet ein Abbild unserer Gesellschaft. Die Gesetze werden von den Politikern der jeweiligen Gesellschaft beschlossen. Ein Blick in die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte zeigt dies. Durch den technisch-medizinischen Fortschritt im 19. Jahrhundert entstand neben der Erdbestattungs- eine neue Feuerbestattungskultur; es bestand also gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Wie sehr die Bestattungskultur und damit auch das Bestattungsrecht von der jeweiligen Gesellschaft geprägt wird, zeigt die jüngere deutsche Geschichte: Die DDR propagierte ausdrücklich die Feuerbestattung. Eine neue Einstellung zur Totenkultur sollte in Absage an das Erbe des Christentums stehen.

Mittlerweile ist die zunehmende Individualisierung unserer Gesellschaft eine Tatsache. Die Einstellung zu Sterben und Tod hat sich gewandelt. Neben dem Erdbegräbnis setzt sich die Feuerbestattung immer mehr durch. Sie beträgt mittlerweile nach jüngsten Umfragen 66 Prozent. Ebenso entwickelt sich die anonyme Bestattung, die Beisetzung der Totenasche in Ost- oder Nordsee, im Friedwald oder das Verstreuen der Asche an einem auf einem öffentlichen Friedhof dafür vorgesehenen Platz.

Bekannt geworden sind in den vergangenen Jahren auch vollkommen neuartige Bestattungsarten im Ausland: Das Verstreuen der Asche auf höchsten Berggipfeln, Gletschern oder in stillen Bergtälern, die Ascheverstreuung in einem Lavastrom eines Vulkans. Selbst in einen Edelstein kann man sich die Asche pressen lassen. Und auch eine Bestattung der Asche im Weltall ist ebenso möglich wie das Verstreuen der Asche aus einem Heißluftballon heraus.

Der Fantasie der Menschen sind kaum Grenzen gesetzt. Die Einstellungen der Menschen zu den Kirchen haben sich ebenfalls geändert, auch müssen wir die bei uns lebenden Muslime berücksichtigen. Diese Mitbürger erwarten zu Recht, dass sie ihre Angehörigen bei uns nach ihren Glaubensgrundsätzen auf ihrem letzten Gang begleiten und beerdigen dürfen. Wir können vor diesen Entwicklungen nicht die Augen verschließen. Wir müssen zeitgemäße Antworten geben, andernfalls suchen sich die Menschen einfach andere Wege, um ihr individuelles Ziel zu erreichen. Unterschiedliche Regelungen finden sich bereits in europäischen Nachbarländern. So besteht in den Niederlanden kein Friedhofszwang für die Urnenbestattung. In Skandinavien sind die Friedhöfe in hohem Anteil von Feuerbestattungen und anonymen Bestattungen geprägt. Aschekapseln sind keine Pflicht.

Auch die Schweiz hat ein sehr liberales Bestattungswesen. Eine Naturbestattung wird zum Beispiel auf einer Alp praktiziert, wo man die Asche verstreut. Es gibt auch keinen Friedhofszwang für die Urnenbestattung. Die Urne wird jedem persönlich übergeben, er kann sie mit nach Hause nehmen. Die Asche kann in jedem oberirdischen Gewässer verstreut werden. So auch in Großbritannien. Und in Italien, beispielsweise in Ligurien, soll es künftig erlaubt sein, die Asche von Verstorbenen im Meer, in einem Fluss oder in den Bergen zu verstreuen.

Persönlichkeitsrecht endet nicht mit dem Tod

Dieser Überblick zeigt, dass es keinen rechtlichen Zwang für die Urnenbestattung auf dem Friedhof geben sollte. Unser Selbstbestimmungsrecht muss größere Bedeutung haben. Dies ist Ausfluss des Persönlichkeitsrechts eines jeden Menschen, das in den Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes gewährt wird. Nach herrschender Meinung endet das Persönlichkeitsrecht nicht mit dem Tode. Wir dürfen über Hab und Gut in einem Testament verfügen. Wir dürfen darin unseren Ehegatten oder die Kinder enterben und zum Beispiel die Geliebte als Erbin einsetzen. Einzige Schranke hierbei ist das Gebot der Sittenwidrigkeit.

Es zieht auch keine rechtlichen Sanktionen nach sich, wenn wir freiwillig aus dem Leben scheiden. Wir dürfen Vorsorgevollmachten errichten und auch Patientenverfügungen. Wenn es aber um den allerletzten Gang, nämlich um unsere Beerdigung geht, werden Schranken aufgebaut, die heute nicht mehr zeitgemäß sind.

Das Argument, dass wir dann, wenn Urnen nicht mehr auf Friedhöfen beerdigt werden müssen, keinen Trauerort mehr haben, überzeugt mich ebenfalls nicht: Dies ist bereits heute bei der Urnenbestattung in der Nord- oder Ostsee ebenfalls nicht der Fall. Außerdem ist es Ausfluss meines Selbstbestimmungsrechts, darüber zu entscheiden, ob mein Leichnam einen Trauerort haben soll. Diese Entscheidung sollte der Gesetzgeber den Menschen überlassen, die heute aufgeklärt genug sind, um selbst die Wahl zu treffen.

Wenn wir den Friedhofszwang aufgeben, geben wir den Menschen mehr Selbstbestimmungsrecht. Sie können entscheiden, was mit ihrem Leichnam zu geschehen hat. Ob der "Rest" von uns, in Form der Asche, zu Hause aufbewahrt oder über ein oberirdisches Gewässer verstreut werden soll, sollte jedem Menschen selbst überlassen werden.

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Hans-Peter Wetzel

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