"Das Weißeste/Zeit"

Die Malerin Helga von Loewenich lässt sich mit ihren Gemälden auf Gedichte ein
"Eros", zum Werk Sapphos, zu sehen in der Hölderlin-Ausstellung. Fotos: Kataloge "Annäherung" und "Wort. Bild"
"Eros", zum Werk Sapphos, zu sehen in der Hölderlin-Ausstellung. Fotos: Kataloge "Annäherung" und "Wort. Bild"
Helga von Loewenich malt seit ihrer Jugend Bilder zu Gedichten - die aber sind nicht etwa Übersetzungen von Lyrik in Bildsprache, vielmehr handelt es sich um Dialoge, die sich öffnen, wenn der Betrachter mitmacht. Helmut Kremers hat die Künstlerin besucht.

"Jedes Bild ist eine Behauptung", sagt Helga von Loewenich. Wir sitzen in ihrem kleinen Atelier. Das liegt in einem jener Berliner Industriebauten, die heute, längst umgewidmet, in ästhetischer wie praktischer Qualität die Moderne alt aussehen lassen. Vor dem Fenster ragt ein Fabrikschornstein aus gelben Ziegeln.

Das Quartier passt zu ihr. Helga von Loewenich ist Malerin. Zu meiner Rechten steht ein kleinfomatiges Bild, farbige Quadrate gruppieren sich um ein weißes Zentrum, ein Weiß wie das Licht, das, wenn man ans Fenster tritt, blendet, bevor die Farben wieder einschießen, eine Lithographie zu einem Aquarell, das einem Gedicht von Rose Ausländer gewidmet ist: "Deine Farbe // Meine Farbe ist weiß / sie hat alle Farben / Schreib mir / schreib deine Farbe // Ich warte blau / ich warte grün ich / warte rot."

Liebe, ließe sich rasch deuten, engt das Blickfeld ein, aber sie bringt auch Farbe ins Leben. So rasch zu assozieren ist erlaubt, ist erwünscht - aber nur, wenn es unter dem Vorbehalt des Experimentierens geschieht. Sonst bleibt es voreilig, schrammt nur die Oberfläche.

Als Dritter im Dialog

Helga von Loewenich ist keine Illustratorin. Ihre Bilder treten mit Gedichten in einen Dialog, in den als Dritter einzutreten der Betrachter eingeladen ist. In ihren Ausstellungen steht - meistens - jedem ihrer Bilder ein Gedicht zur Seite. Es ist die Herausforderung, die den Schöpfungsakt zum Bild veranlasst hat. Auch das Gedicht ist ja so eine Behauptung.

Wer Lyrik goutiert, weiß, dass ein Gedicht, wenn's denn einschlägt, Gedanken, Gefühle und Assoziationen auslöst. Hier aber stellt sich ein Bild dazwischen.

Oder andersherum: Wer die bildende Kunst liebt, will sich vielleicht im gewohnten Modus ästhetisch-emotionaler Rezeption einem Bild nähern - und sieht sich dem Gedicht ausgesetzt. Das schafft eine neue Lage. Denn Wort und Bild liefern keinen bequemen Schlüssel zum Verständnis des Gesehenen, des Gelesenen. Hier gilt es, auf beides - das Bild, das Wort, auf deren Dialog oder Konfrontation - zu antworten.

Jedes Bild eine Behauptung? Ließe sich auch sagen, es habe eine Bedeutung? Von Loewenich zögert: Ja, in dem Sinne, dass das Bild nun einmal da sei. Aber natürlich komme es darauf an, was der Betrachter daraus macht. Eine Behauptung sei immer auch eine Herausforderung. Der Betrachter kann sie ignorieren oder annehmen.

Ein Rätsel

Das Bild also, spinne ich den Faden weiter, ist für den Betrachter zunächst eine Art Rätsel. Bei Hölderlin heißt es: "Ein Rätsel ist Reinentsprungenes." Was der Betrachter daraus macht, ist immer sein Eigenes, denn sich selbst entkommt keiner. Hölderlin: "Wie du anfingst, wirst du bleiben, ... / das meiste nämlich / Vermag die Geburt, / Und der Lichtstrahl, der / Dem Neugebornen begegnet ..." ("Der Rhein").

Mit der Bedeutung ist es natürlich so eine Sache. Die gegenwärtige bildende Kunst scheut Festlegungen. Davon leben die Katalogschreiber, die darauf ihr Als-ob oder Dennoch bauen oder wenigstens ein gesellschaftspolitisches Anliegen finden müssen. Wieviel schwerer wird das, wenn Bild und Lyrik aufeinander bezogen werden, beide ihre Autonomie beanspruchen und doch etwas Drittes bilden.

Doch wie ist von Loewenich eigentlich zu dieser anspruchsvollen und komplizierten Kunstform gekommen? Oder, um noch einfacher zu beginnen: Wie eigentlich zur Malerei?

Fotos: Kataloge "Annäherung" und "Wort. Bild"
Fotos: Kataloge "Annäherung" und "Wort. Bild"

"Deine Farbe", zu dem Gedicht gleichen Titels von Rose Ausländer.

Fotos: Kataloge "Annäherung" und "Wort. Bild"
Fotos: Kataloge "Annäherung" und "Wort. Bild"

"Vulkan", zu dem gleichen Titel von Hölderlin.

Ein Damaskus habe es da nicht gegeben, aber schon in ihrer Schulzeit habe sie Malerin werden wollen, habe auch auf der Schule - die stand in Heidelberg - schon ein wenig geglänzt mit ihren Malereien. Als Dreizehnjährige sei sie mit einem Onkel mit dem Auto durch Italien gereist; sie sah Florenz und Neapel und endlich Ischia, ein anderes, leichteres Leben, ein anderes Licht, eine kleine Offenbarung. Der Onkel hatte sich seine Italiensehnsucht als Soldat geholt. Was aber der Krieg und die Nazizeit bedeuteten, dies musste sich Helga von Loewenich erst mühsam aneignen.

Und ein wenig mag es für sie wie für viele sensible junge Menschen ihrer Zeit ein Schock gewesen sein, zu erfahren, einem Volk anzugehören, das ungeheuerliche Verbrechen begangen hat. Daraus hat sie den Schluss gezogen: Es kommt auf das Tun an. Aber ist denn das Malen eines Bildes eine Tat? In den Sechzigern stand für sie außer Frage: Die Arbeit in Ausschwitz ist mehr; sie fand im Rahmen der Aktion Sühnezeichen dorthin. Nicht nur ging es ihr darum, sich zur deutschen Schuld zu bekennen, sondern auch um Lebensintensität - und die ist, davon war und ist sie immer noch überzeugt, nur im Kontakt mit Menschen zu erreichen.

Nähe zur Religion

1969 lernte sie in Prag den polnischen Historiker und Publizisten Władysław Bartoszewski kennen (er dürfte vielen noch als Polens Außenminister - bis 2001 - im Gedächtnis sein), geboren 1922, einst KZ-Insasse und Widerstandskämpfer. Der ging ganz unbefangen mit den Worten "Sie kommen aus Westdeutschland?" auf sie zu und verwickelte sie in ein Gespräch. Das hat sie tief beeindruckt. Von der jüdischen Sache kam sie nicht mehr los. Noch heute ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin des Jüdischen Museums in Berlin. Jüdische Dichter, überhaupt die Rolle jüdischen Geistes für die deutsche Kultur und die des jüdisch-deutschen Geistes für das neue Israel in seinen ersten Jahrzehnten sind ihr wichtig geblieben.

So kam sie mit dem jüdischen Bilderverbot in Berührung und musste sich als Malerin damit auseinandersetzen. Lernte, dass es ein Schweigen des Bildes gibt, jenseits des Verbots von Götzenbildern, das ja immer ein Herüberziehen Gottes und des Göttlichen ins Materielle ist, selbst wenn im Zeitalter der "Animation" keine Götzenbildnerei mehr auf Holz, Stein und Leinwand angewiesen ist.

Ja, natürlich gebe es Überschneidungen zwischen Religion und Kunst, vielleicht liegen sie in dem oft von Seiten der Kunst geleugneten Bestreben, sich dem Absoluten anzunähern. - Ob da nicht am ehesten an die Mystik zu denken sei? - Mystik? Das rieche ihr zu sehr nach qualmenden Kerzen. Erst als ich an Meister Eckehard erinnere, an sein Seelenfünklein, an sein immer dem Schweigen dicht benachbartes Kreisen um das Unsagbare, kann sie zustimmen, vielleicht auch nur, damit auch ich mein Eigenes daraus machen kann.

Die Nähe zur Religion wurde ihr schon spürbar, als sie 1970 Marie Luise Kaschnitz kennenlernte, die sie ermutigte, Bilder zu einer Reihe ihrer Gedichte zu malen, etwa zu "Auferstehung": "Manchmal stehen wir auf / Stehen wir zur Auferstehung auf / Mitten am Tage ...". Das faszinierte sie. Seitdem ließ sie sich immer wieder durch Gedichte von Dichtern faszinieren, die darin rigoros sind, dass sie den berüchtigten Boden der Tatsachen sehr gut kennen und sich doch weigern, an ihm kleben zu bleiben.

Der Kunstmarkt

Auf diesem harten Boden agiert allerdings der Kunstmarkt. Wie steht es mit ihm? Natürlich wird ein Werk wie das Helga von Loewenichs nicht die Gipfel der internationalen Auktions-Charts stürmen, so deutungsoffen ist es nun doch nicht. Wir kommen auf Gerhard Richter als Gegenbeispiel zu sprechen: Ja, sie schätzt seine Werke, aber so ein - sagen wir: handwerklich-großzügiges - Arbeiten an großen Flächen sei nicht ihre Sache. Und überhaupt sei sie nicht willens, den größeren Teil ihrer Zeit für die Promotion ihres Werkes zu verwenden.

Fotos: Kataloge "Annäherung" und "Wort. Bild"
Fotos: Kataloge "Annäherung" und "Wort. Bild"

"Bukowina II" , Objekt zu dem Gedicht gleichen Titels von Rose Ausländer.

Fotos: Kataloge "Annäherung" und "Wort. Bild"
Fotos: Kataloge "Annäherung" und "Wort. Bild"

"Meer" zu dem gleich betitelten Gedicht von Rose Ausländer.

Fotos: Kataloge "Annäherung" und "Wort. Bild"
Fotos: Kataloge "Annäherung" und "Wort. Bild"

"Patmos", zu Hölderlins Ode gleichen Titels.

Dabei ist sie erfolgreich: Zahlreiche Ausstellungen, auch im Ausland, Ankäufe für den Bundestag - viele Künstler können nur davon träumen (eine Liste ihrer Ausstellungen findet sich auf ihrer Internetseite).

Die meisten von Helga von Loewenichs Werken sind Aquarelle. Aber sie ist keine Aquarellistin, die etwa die Farbe hintupft und, wo das wiederzugebende Licht es erlaubt oder nahelegt, auch das Weiß des Papiers als "Farbe" einsetzten. Sie huldigt nicht der Improvisation, auch nicht als höchst kunstvolle und streng gebundene Vortäuschung des Flüchtigen, wie in der Tradition japanischer Malerei. Ihre Farben sollen den sehr bewussten Reflexionsvorgang, der sie beim Malen begleitet, nicht verleugnen. Wie wichtig er ihr ist, wird deutlich, wenn sie gesprächsweise ihre Überlegungen zu einem bestimmten Bild erläutert. Sie malt gewisser maßen auch mit dem Kopf. Geistige und handwerkliche Anstrengung bedingen einander. Das Ziel: et was freizusetzen, das die Reflexion hinter- und unter sich lässt. Das ist für sie Kunst. Ihre Kunst. Das Geschaffene steht als Behauptung da, aber es ist auch das Ergebnis einer Entscheidung, ein Zustimmen, ein Aufatmen.

Lakonischer Kommentar zu Hölderin

Von Loewenich bezieht für ihre Arbeit handgeschöpftes Papier aus einer kleinen Manufaktur in Frankreich. Bis zu dreißig Schichten Farbe trägt sie auf, bis ein Bild fertig ist. Die Farbflächen können schließlich wie die glatte oder körnige Oberfläche eines opaken Steins wirken oder aber irisierend transparent, mit Durchblicken auf ein Dahinter und Darunter. Niemals aber schaut der Geist der Schwere aus den Bildern. Leichtigkeit und Festigkeit zeigen sich innig einander verbunden.

Von Loewenichs Objekte - auch die gehören zu ihrer Passion - atmen denselben Geist wie die Bilder. Sieht man eines als Abbildung im Katalog, lässt sich auf den ersten Blick gar nicht entscheiden, ob es sich um ein Trompe-l'œil, einen malerischen Augentrug, handelt, oder wirklich um ein dreidimensionales Objekt - etwa wenn helle Buchrücken mit den Namen Manes Sperber, Paul Celan, Rose Ausländer zusammengerückt sind (zu dem Gedicht "Bukowina II" von Rose Ausländer).

Anders das Objekt, das sich in ihrer gegenwärtig noch laufenden Ausstellung zu Hölderlin-Gedichten im Hölderlinturm in Tübingen findet: Es ist robust, archaisierend. "Das gebrochene Rad", ein lakonischer Kommentar zu Hölderlins Leben.

Fotos: Kataloge "Annäherung" und "Wort. Bild"
Fotos: Kataloge "Annäherung" und "Wort. Bild"

"Das Weißeste", zu Rose Ausländers Gedicht gleichen Titels (hier das einzige Ölgemälde).

Die meisten ihrer Bilder sind abstrakt, immer wieder aber finden sich auch Anklänge an deutbare Gegenständlichkeiten, so in ihrem Bild zu Hölderlins Gedicht "Vulkan": ("Jetzt komm und hülle, du freundlicher Feuergeist, Den zarten Sinn der Frauen in Wolken ein ..."): Ein Spitzkegel ist da zu sehen - überschwebt von "freundlichen Genien"? Andeutend, dass das Freundliche immer nur temporär und vielleicht nur hoffnungsvolle Projektion ist? Dem versöhnlichen Schluss - "... doch liebt die Liebe" - verpflichtet?

Das Geheimnis bleibt gewahrt

In der Hölderlin-Ausstellung findet sich auch eine "Hommage an Sappho"; einige Bilder zu Texten der griechischen Lyrikerin von der Insel Lesbos (gest. um 570 v. Chr.). Die Erinnerung an Hölderlins Weise, das Land der Griechen mit der Seele zu suchen, liegt auf der Hand. Doch von Loewenichs Sappho-Bilder zeigen eine ganz eigene Farb- und Formensprache, anders als die zu Hölderlin: Fast gegenständliche expressionistische Landschaftsbilder, bis hin zu einem in roten Streifen oszillierenden Sonnenuntergang, "Eros" betitelt, verhaltener Nachglanz einstiger Ekstase. Die gründet bei Sappho freilich in bitterer Melancholie, wie sich zeigt, wenn sie an die letzten Dinge rührt (jedoch in den Bildern findet sich kein dominantes Schwarz): "Wenn du stirbst, ist es aus, / Keine Erinnerung und keine Sehnsucht / fragt später nach dir ..."

Vor diesen düsteren Anwehungen musste sich Sappho in Lebenstrunkenheit stürzen: "Allerdings - Schönheit dagegen - / Ich hab doch selber nichts Besseres ..." Hier bestätigt sich noch einmal: das Bild geht so wenig im Gedicht auf, wie es eine Übersetzung desselben ist. Das Rätsel kann gelöst werden, das Geheimnis bleibt gewahrt.

Ins Offene treten

Hölderlins Frage aus der Ode "Der Rhein" ist vielleicht die eines jeden Künstlers und vielleicht die eigentlich menschliche: "Wo aber ist einer, / Um frei zu bleiben / Sein Leben lang, und des Herzens Wunsch / Allein zu er fül len ...". Ihr Motto, sagt Helga von Loewenich, könne, wenn sie denn eins führte, auch von Hölderlin stammen: "Komm! Ins Offene, Freund" - Anfang des Gedichtfragments "Gang aufs Land".

Wer ins Offene und unversehen ins Licht tritt, der sieht für einen Moment nur Weiß, bevor die Farben wieder einschießen. Ins Offene treten: das ist auch ein Hinübersteigen. Am Ende bleibt vielleicht nur das Weiße, "Das Weißeste" gar, wie ein Gedicht von Rose Ausländer überschrieben ist: "Nicht Schnee / Weißer die Zeichen / die der Einsiedler / auf die Tafel der Einsamkeit schreibt // Das Weißeste / Zeit."

Informationen

Ausstellung: Helga von Loewenich, "Wort.Bild. Begegnungen mit Friedrich Hölderlin". Hölderlinturm Tübingen, bis Ende 2011. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 10-12 und 15-17 Uhr, Samstag/Sonntag 14-17 Uhr. Der Katalog ist über die Hölderlingesellschaft zu beziehen, Euro 22,-.

Homepage der Künstlerin

Helmut Kremers

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