David gegen die Banken

Finance Watch will ein Gegengewicht zur Lobby-Arbeit der Finanzbranche schaffen
Folgenreicher Satz: Josef Ackermann bei seinem Vortrag in Frankfurt am Main. Der DAX rutschte an diesem Tag auf ein neuers Jahrestief. Foto: dpa/Frederik von Erichsen
Folgenreicher Satz: Josef Ackermann bei seinem Vortrag in Frankfurt am Main. Der DAX rutschte an diesem Tag auf ein neuers Jahrestief. Foto: dpa/Frederik von Erichsen
Vor gut einem Jahr sendeten 22 Abgeordnete des Europaparlamentes einen über die Parteigrenzen hinausgehenden Hilferuf an die Zivilgesellschaft. Die Finanzlobby sei zu mächtig, hieß es, ihr Einfluss gefährde die Demokratie. Der Appell zeigte Wirkung und führte zur Gründung von "Finance Watch". In diesem Monat will die neue Nicht­regierungsorganisation mit ihrer Arbeit beginnen.

Es war nur ein halber Satz in der 23 Seiten langen Rede. Doch er reichte, um die sowieso schon wieder verunsicherten Börsen vor einigen Wochen noch weiter zu erschüttern. Der Halbsatz lautete: "All dies erinnert an den Herbst 2008." Und es war nicht irgendwer, der sich mit Blick auf die aktuelle Situation in der Finanzwelt an den Beginn der größten Wirtschafts- und Finanzkrise der Nachkriegszeit erinnert fühlte. Es war Josef Ackermann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, der diesen Satz auf einem Branchentreff in Frankfurt vor Bankern und Journalisten sagte.

Dass diesen Worten viele folgten, die darüber Auskunft gaben, was bei den Banken besser sei als vor drei Jahren und sie deshalb eigentlich weniger anfällig für eine neue Krise sein sollten, ging ziemlich unter. Die Nachrichtenagenturen tickerten, dass sich einer der mächtigsten Bankenchefs Europas kurz vor dem Ende seiner Amtszeit an den Beginn der letzten großen Krise erinnert fühlt. Die Eilmeldung lief über die Laufbänder der Nachrichtensender und blinkte auf den der Terminals der Aktienhändler und Analysten - und der deutsche Leitindex dax knickte noch ein wenig weiter ein.

Gewiss war Josef Ackermann nicht der erste, der in den vergangenen Monaten ungute Déjà-Vu-Erlebnisse hatte. Auch Wirtschafts- und Finanzlaien konnten den Schlagzeilen und Fernsehbildern nicht entkommen, die vom selben Tenor geprägt waren, wie die nach der Pleite der Investmentbank Lehman-Brothers im September 2008. Zwar geht es diesmal zunächst nicht um Bankhäuser, sondern um Staaten und deren Währungen. Aber wieder wird auf Pleiten spekuliert, wieder geißelt die Politik die Rücksichtslosigkeit der Märkte, kündigt strengere Regeln an - und wirkt am Ende doch wieder getrieben vom Spiel der Zocker.

Regulierung weichgespült

Sollte das alles nicht längst unmöglich sein? Hatten sich nicht nahezu alle politischen Lager für strenger regulierte Märkte ausgesprochen? Hatten nicht die führenden zwanzig Industrie- und Schwellenstaaten der Welt im Angesicht der Krise sich vorgenommen, eine weniger krisenanfällige, neue Weltfinanzordnung zu schaffen? Warum ist das nicht geschehen?

Sicher auch, weil die Finanzindustrie ein sensibles Gebilde ist und Regulierung im Detail komplizierter sein mag, als zunächst angenommen. Aber wohl auch deswegen, weil dem vor drei Jahren plötzlich erwachten Regulierungswillen der Politik eine mächtige Branche gegenübersteht, die sich nicht zu enge Fesseln anlegen lassen will und entsprechende Lobbyarbeit betreibt.

Zum Beispiel in Brüssel, wo der zuständige EU-Kommissar Michel Barnier in diesem Monat seine Reformpläne für die Finanzmärkte vorlegen will. Diese werden danach im Europaparlament verhandelt. Der Einfluss der Finanzbranche auf die Arbeit der Abgeordneten und der Kommission in Brüssel ist groß. Das zeigt schon ein Blick auf die nackten Zahlen. In den so genannten Expertengruppen, die nach den politischen Vorgaben der Kommission Vorlagen für Gesetzestexte für eine strengere Regulierung erarbeiten sollen, arbeiten insgesamt 260 Männer und Frauen. Etwa 200 davon kommen aus der Finanzbranche, hat die Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory ermittelt, die sich mit Lobbyismus in der EU beschäftigt. Die Branche schreibt also kräftig mit an den Gesetzen, die sie strenger kontrollieren sollen.

Doch auch der weitere Gang dieser Gesetzestexte durch die parlamentarischen Gremien wird engstens begleitet. Siebenhundert Lobbyisten der Branche mit einem geschätzten Jahresetat von rund 50 Millionen Euro suchen den steten Kontakt zu den 736 Abgeordneten.

Foto: dpa/Arne Dedert
Foto: dpa/Arne Dedert

Mächtige Lobby: Die Banken in Frankfurt und anderen europäischen Metropolen haben großen Einfluss auf die Brüsseler Politik.

Einladungen zu Informationsveranstaltungen und Treffen mit Bankvorständen in die City of London gehören ebenso zu ihrem Repertoire wie direkte Besuche bei den Abgeordneten, weiß zum Beispiel Jürgen Klute. Früher hat er im Kirchenkreis Herne als Sozialpfarrer den Kontakt zu den Arbeitnehmern in den Betrieben gesucht; als Abgeordneter der Linkspartei im Europaparlament und Mitglied des Wirtschafts- und Währungsausschusses bitten nun auch schon mal leitende Manager internationaler Investmentbanken um persönliche Gesprächstermine. Es kam schon vor, dass drei Manager aus London gemeinsam mit einem Mitarbeiter aus Brüssel in seinem Büro Platz nahmen, wohlwissend, dass beide Seiten in ihrer politischen Grundhaltung wohl nie zusammenfinden werden. "Aber es geht in diesen Gesprächen auch nicht um politische Meinungsbildung, sondern stets um konkrete Details in den gerade laufenden Verfahren", sagt Klute.

Grundsätzlich sei daran auch in einer Demokratie nichts Verwerfliches, schließlich würden auch Kirchen und andere Gruppen der Zivilgesellschaft ihre Einschätzungen und mögliche Änderungswünsche an die Parlamentarier herantragen. Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen, geht noch einen Schritt weiter und sagt: "Wir brauchen die Hinweise und Vorschläge von Experten, kein Abgeordneter kann alle Details von Richtlinienentwürfen überblicken, die oft mehrere hundert Seiten lang sind." Das Problem ist aber, dass diese Informationen in der Regel nur aus der Branche selbst kommen. Den Europaparlamentariern steht kein unabhängiger wissenschaftlicher Dienst zur Verfügung, wie ihn zum Beispiel die Abgeordneten des Deutschen Bundestages für ihre Arbeit nutzen können und der hilft, die Informationen der Lobbyisten einzuordnen.

Um sich trotzdem ein ausgewogenes Bild machen zu können, sind die Politiker daher auf möglichst unterschiedliche Quellen angewiesen. In der Umwelt- oder Sozialpolitik zum Beispiel kann das funktionieren, denn hier stehen den Einschätzungen der betroffen Wirtschaftsbranchen in der Regel ebenfalls fundierte Expertisen und Studien von Nichtregierungsorganisationen (NGO’s) zur Verfügung.

Appell an die Zivilgesellschaft

In der sowieso schon hochkomplexen Welt der Finanzindustrie hat aber ein solcher Gegenpart bislang gefehlt. Zwar gibt es auch hier einzelne Netzwerke und Initiativen, die sich mit globaler Finanzwirtschaft beschäftigen, wie zum Beispiel die deutsche Weed oder auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac, deren deutsche Sektion von Sven Giegold mitbegründet wurde. Doch wenn es um die Überprüfung ganzer Gesetzestexte oder auch um Praxiswissen aus der Branche geht, stoßen diese an ihre Grenzen. Und an den Universitäten gebe es nur selten Fachleute, die gleichzeitig über ökonomische und gesetzgeberische Kompetenzen verfügen, meint Giegold.

Ausgehend von einer Initiative des Grünen-Abgeordneten Pascal Canfin gingen 22 Abgeordnete, die sich mit dieser Situation nicht abfinden wollten, darunter Giegold und Klute, an die Öffentlichkeit. In einem Appell, der auch von konservativen Abgeordneten unterschrieben wurde, riefen sie im Sommer 2010 die Zivilgesellschaft zu Hilfe – und das mit durchaus dramatischen Worten. Die bestehende Asymmetrie in der Lobbyarbeit der Finanzindustrie, so die Abgeordneten, stelle eine "Gefahr für die Demokratie dar". Zudem verwiesen die Parlamentarier auf eine "enge Nähe zwischen der politischen und der Finanzelite", die mit der engen Verknüpfung der US-Regierung und der Bank Goldmann Sachs vergleichbar sei. Diese Nähe trage dazu bei, dass es eine einseitige Aufmerksamkeit für die Argumente der Finanzindustrie gebe und sie schränke die Fähigkeit der Abgeordneten ein, Entscheidungen frei von Einflüssen zu treffen.

Dieser Aufruf konnte nicht ungehört verhallen, schließlich kommt es nicht alle Tage vor, dass nicht etwa Medien, sondern Parlamentarier selbst vor dem Einfluss von Lobbyisten auf ihre eigene Arbeit warnen und sie als Gefahr für die Demokratie sehen. In ganz Europa berichtete die Presse über den Hilferuf, den in den darauf folgenden fünf Monaten mehr als 160 Abgeordnete und gewählte Repräsentanten verschiedener Parteien und EU-Mitgliedstaaten unterzeichneten. Es war klar: Der Bedarf nach einer Institution, wie sie die Parlamentarier forderten, war da. Nur, war das ein realistisches Ziel? Und wie sollte eine solche Gegenkraft zum Finanzlobbyismus organisiert sein, damit sie ihre Aufgaben erfüllen kann?

120 Vorbereitungstreffen

Um diese Fragen zu beantworten finanzierten die Europaabgeordneten ab Dezember 2010 eine sechsmonatige Pilotphase, 120 mal trafen sich die Repräsentanten der Zivilgesellschaft und trugen ihre Vorschläge zusammen. Am 28. April 2011 wurde Finance Watch dann als internationaler, gemeinnütziger Verein nach belgischem Recht eingetragen, gut vier Wochen später trat in Brüssel die Gründungsmitgliederversammlung zusammen, um den Vorstand zu wählen und den Generalsekretär zu ernennen.

Im Vorstand vertreten sind unterschiedliche Organisationen wie Verbraucherschutzverbände, die Antikorruptionsinitiative Transparency International, der Dachverband der Umweltschutzorganisationen "Friends of the earth", aber auch Einzelmitglieder wie Philippe Loumeau, früher Vorstandsmitglied der Börsen in Montreal und Boston und der deutsche Wirtschaftspublizist Wolfgang Koehler. Die Kirchen sind nicht dabei.

Foto: ddp/Michael Probst
Foto: ddp/Michael Probst

Händler verfolgen den Absturz des Dax

Foto: ddp/Michael Probst
Foto: ddp/Michael Probst

Runter mit den Kursen - und der Stimmung.

Generalsekretär der Organisation wurde Thierry Philipponnat. Er führte bis vor kurzem noch Bewerbungsgespräche mit den Kandidaten, die sich auf noch sechs zu besetzende Stellen beworben hatten. "Wir haben eine Vielzahl von Bewerbungen bekommen, viele davon von Experten aus der Finanzbranche", sagt der Franzose. Dass die meisten seiner künftigen Mitarbeiter bei Finance Watch deutlich weniger verdienen dürften als bei ihren bisherigen Arbeitgebern, stellt offenbar kein grundsätzliches Hindernis dar. "Viele Menschen in der Finanzindustrie stellen fest, dass es im Leben mehr gibt, als nur immer mehr Geld zu verdienen."

Dabei dürfte er aus eigener Erfahrung sprechen, denn Philipponnat war selber lange Zeit in der Finanzbranche tätig. Er war Experte für Termingeschäfte und arbeitete unter anderem bei der französischen Bank BNP Paribas und der Schweizer UBS, aber auch bei der Börse Euronext. "Es ist nicht alles schlecht, in der Finanzbranche", sagt er rückblickend. "Aber es gibt viele Bereiche, die negative Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Ich wollte mich mit größeren Zusammenhängen beschäftigen als immer nur mit der Logik der Finanzbranche."

So warf er seinen Job hin und arbeitete fortan für unterschiedliche NGO’s, zuletzt für Amnesty International Frankreich. Im vergangenen Herbst wurde er auf Finance Watch aufmerksam und interessierte sich für die Aufgabe, diese besondere NGO zu leiten. Es sei seine grundlegende Überzeugung, dass die Zivilgesellschaft die Finanzmärkte überwachen muss, sagt er. "Es geht nicht darum, die Welt in Gut und Böse einzuteilen, sondern darum, wie wir die Balance halten."

Unabhängigkeit als Kapital

Finance Watch soll also ein Gegengewicht sein. Aber kann das gelingen, bei dem offenkundigen Ungleichgewicht? Zwölf Mitarbeiter und ein Etat von zwei Millionen Euro pro Jahr gegen siebenhundert Bankenlobbyisten, die über 25 mal mehr Geld verfügen. – Der Kampf zwischen David und Goliath war dagegen Fairplay. Sven Giegold hält es dennoch für möglich, dass Finance Watch erfolgreich ist. "Das größte Kapital von FinanceWatch ist die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit." Hinter der Organisation stehen eben keine Unternehmen oder Interessenverbände der Finanzbranche, sondern die Bevölkerung, die die Abgeordneten gewählt hat, repräsentiert durch die vierzig Mitgliedsorganisationen.Das gibt den zu erwartenden Studien und Expertisen ein besonderes Gewicht.

Finance Watch muss keine Profitinteressen vertreten, sondern will dem Gemeinwohl dienen, in dem die Banken wieder genau dazu verpflichtet werden: Sie sollen vor allem die Realwirtschaft, also die produzierenden Unternehmen und Dienstleister, mit Kapital versorgen, damit diese es wieder produktiv einsetzen. Dabei sollen die Banken, so steht es in den Grundsätzen der Organisation, nachhaltig, transparent und fair arbeiten. Damit Finance Watch selber diese Grundsätze einhält, vor allem den der Unabhängigkeit und der Transparenz, hat sich die Organisation verpflichtet, sich vor allem über Mitgliedsbeiträge und Spenden zu finanzieren. Allerdings werden keine Spenden eines Unternehmens aus der Finanzbranche angenommen.

Und auch für alle anderen, die spenden dürfen, gilt, dass eine Einflussnahme auf die Arbeit nicht möglich ist. Jede Institution, die spendet, soll auf der Website veröffentlicht werden. Mitte September war dort allerdings noch nicht nachzulesen, wer bislang außer den Europaabgeordneten Geld gegeben hat. Das dürfte vor allem daran gelegen haben, dass es eben noch an entsprechendem Personal mangelte – und nicht etwa an fehlenden Spenden. Finance Watch sei auch was den eigenen Finanz-Etat angehe startbereit, sagt Philipponnat. Im Oktober soll die Arbeit beginnen – pünktlich zur Vorstellung der neuen EU-Richtlinien für die Finanzmärkte.

Finance Watch

Stephan Kosch

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Politik"