Großer Mann

Großartige Biographie
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Dietz Langes Buch ist mit 474 Seiten ist ein "dicker Schinken". Aber wer sich davon nicht abschrecken lässt, wird belohnt. Er bekommt Einblicke in die Religionswissenschaft, die Theologie, die Schwedische Kirche und eine wichtige Periode der Ökumene.

Nathan Söderblom (1866-1931) ist zweifellos eine der faszinierendsten Gestalten in der Kirchen- und Theologiegeschichte sowie der religionswissenschaftlichen Forschung des vorigen Jahrhunderts." Mit diesem Satz beginnt Dietz Lange sein Buch. Und recht hat er. Söderblom, Professor, vierzehnfacher Ehrendoktor, Erzbischof von Uppsala und 1930 Friedensnobelpreisträger, war ein Genie. Und in Lange, der an der Universität Göttingen Systematische Theologie lehrte, hat er einen kongenialen Biographen gefunden. Lange schreibt verständlich und beleuchtet alle Aspekte von Söderbloms reichem Leben und Werk. Sicher, mit 474 Seiten ist das Buch ein "dicker Schinken". Aber wer sich davon nicht abschrecken lässt, wird belohnt. Er bekommt Einblicke in die Religionswissenschaft, die Theologie, die Schwedische Kirche und eine wichtige Periode der Ökumene. Und dabei wird nicht nur Geschichte lebendig. Denn weil Söderblom seiner Zeit weit voraus war, kann er auch Impulse für die Gegenwart geben.

Im Verhältnis der Religionen und Konfessionen drohen heute zwei Gefahren, Leisetreterei, die bestehende Unterschiede ausklammert, oder Abgrenzung. Für Söderblom sollen dagegen Zusammenarbeit und Wettstreit (schwedisch: samarbete und samverkan) das Miteinander der Religionen und Kirchen bestimmen. Und auch für die Kirchenreform kann man von Söderblom lernen. So schlug der Erzbischof vor, in kleinen Dörfern darauf zu verzichten, dass Pfarrer jeden Sonntag predigen müssen. Auch reine Abendmahlsgottesdienste sollten erlaubt sein.

Söderblom wird in einem Pfarrhaus geboren. Von dem dort herrschenden Pietismus löst er sich als Student, auch unter dem Einfluss des liberalen deutschen Theologen Albrecht Ritschl. Seine Leidenschaft für die Ökumene wird bei einer Reise in die USA geweckt. Mit der sozialen Frage wird Söderblom als Auslandspfarrer konfrontiert. Ihn beeindruckt der französische Sozialdemokrat Jean Jaures. Und das Interesse an der Sozialpolitik wächst durch die Begegnung mit dem "Evangelisch-Sozialen Kongress" Deutschlands und dessen Gründer Friedrich Naumann. Söderbloms Frankophilie verdeutlicht ein amüsanter Vorfall. Als er 1912 in Leipzig Professor für Religionsgeschichte wird, wird ihm eine Wohnung in der Sedanstraße angeboten. Doch er zieht woanders hin.

Drei Monate vor Beginn des Ersten Weltkrieges wird Söderblom Erzbischof von Uppsala und damit leitender Geistlicher der lutherischen Staatskirche Schwedens. In seinen siebzehn Amtsjahren habe Söderblom "alle 240 Gemeinden seiner Diözese besucht, manche davon mehrmals", berichtet Lange. Und häufig lässt er sich dabei, gut ökumenisch, von einem ausländischen Bischof begleiten. Schon im September 1914 erlässt Söderblom einen Friedensappell an die Kirchen der kriegsführenden und neutralen Staaten. 1916 fordert er die Vereinigten Staaten von Europa und regt 1919 einen Weltkirchenrat an. Eine wichtige Stufe auf dem Weg zu dessen Gründung 1948 ist die Stockholmer Kirchenkonferenz von 1925. Söderbloms erfolgreiche Bemühungen, ehemalige Feinde zusammenzubringen, werden ein Jahr später auch von Politikern gewürdigt. 1926 darf er in Genf die Predigt zu Beginn der Sitzungsperiode des Völkerbundes zu halten, in der Deutschland aufgenommen wird.

Als Söderblom zum Erzbischof von Uppsala gewählt worden war, gratulierte ihm der deutsche Theologe Ernst Troeltsch mit den Worten: "Hätten wir nur auch solche Erzbischöfe." 97 Jahre danach ist man versucht, in diesen Seufzer einzustimmen.

Dietz Lange: Nathan Söderblom und seine Zeit. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, 480 Seiten, Euro 49,95.

Jürgen Wandel

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