Werbung für die Klosterschule

Albert Ostermaiers metaphernreicher Roman "Schwarze Schafe"
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Wunderbar ironisch bearbeitet Ostermaier das Bild, das wir Gewöhnlichen und Sterblichen von einem Schriftsteller als jungem Mann besitzen: übersensibel, etwas überspannt, ein eingebildeter Kranker. Und hintersinnig feiert der Autor die protestantische Skepsis seiner Freundin, die dem Spuk schließlich ein Ende macht.

Dieser Roman ist eine metaphernsatte Werbung für die in Verruf geratene Klosterschule. Man leidet als Schüler milde unter den Lateinstunden, das ja, aber reich beschenkt durch die buchstäblichen Lektüren von Vergil und anderen Klassikern, lernt man hier das Handwerkzeug für eine spätere Dichterkarriere, die sich wie von selbst zu einer Schriftstellerkarriere auswächst. Albert Ostermaier, der ehemalige Klosterschüler, kennt seine Klassiker, auch die biblischen Großerzählungen vom Barmherzigen Samariter und vom Verlorenen Sohn, mit denen er souverän spielt. Und er weiß, wie man charismatische Personen, seinen väterlichen Freund, den Abt, porträtiert und wie man das Heilige als mysterium tremendum et fascinans in Worte fasst.

Spannend an diesem Künstlerroman ist, wie Ostermaier die Durchbruchserfahrung zum Schriftsteller als Enttäuschungsdrama in zwei Akten inszeniert: Er kämpft damit, wie er die Erwartungen seiner Eltern, die in ihrem einzigen Kind den künftigen Firmenchef ihres Unternehmens sehen, enttäuschen muss, weil die Berufung zum Schriftsteller größer ist. Er kämpft an zweiter Front mit dem Abt, der ihn in die Fänge einer falschen Ärztin treibt, die ihm einredet, er sei an einem Herpesvirus erkrankt, habe nur noch ein halbes Jahr zu leben und müsse in Amerika von Spezialisten operiert werden - eine Scheinoperation, deren dabei erschwindeltes Geld offenbar Bedürftigeren zugute kommt. Auch der Heiligenschein des Abtes wird von einer schwarzen Sonne verschattet.

Gefakte Todesangst

Ostermaier ist nicht geizig mit Metaphern, die oft gelingen und selten verrutschen. Stilistisch imitiert er den oft leicht überinstrumentierten Stil einer Predigt. Wunderbar ironisch bearbeitet er das Bild, das wir Gewöhnlichen und Sterblichen von einem Schriftsteller als jungem Mann besitzen: übersensibel, etwas überspannt, ein eingebildeter Kranker. Und hintersinnig feiert Ostermaier die protestantische Skepsis seiner Freundin, die dem Spuk schließlich ein Ende macht.

Ostermaier weiß sehr genau, wo die Fallstricke bei einem Künstlerroman liegen: "Ich hasste autobiographische Romane, Pubertätsgeschichten. Nach Törless war das alles sinnlos, denn Törless blieb unerreicht, nur die Wirklichkeit des Beschriebenen wiederholte sich immerzu brutal und unmittelbar, aber wer konnte das ähnlich gut aufzeichnen." Obwohl Ostermaier das weiß, erzählt er unterwegs aber doch die üblichen Pubertätsgeschichten, wie man etwa eine Band gründet und mit den Gitarrenriffs die Fans erzittern lässt.

Als Durchbruchserfahrung, "die doch jeder Schriftsteller für seine Schriftstellerwerdung" braucht, konzentriert sich Ostermaier allerdings lieber auf die gefakte Todesangst und vergibt dabei die Möglichkeiten, die sich ihm im Ringen mit den Erwartungen seiner Eltern geboten hätten. An dieser Stelle bleiben viele Möglichkeiten ungenutzt. "Das Leiden gehört doch zum Dichter." Richtig. Ostermaier hätte durchaus etwas intensiver leiden können.

Albert Ostermaier: Schwarze Sonne scheine. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, 288 Seiten, Euro 22,90.

Klaas Huizing

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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