Hoffnung auf die Jüngeren

Christen und Muslime in den USA: Dialog - und viel Hetze gegen den Islam
Religiöser Protest in Washington. Foto: dpa/Diane Bondareff
Religiöser Protest in WAshington. Foto: dpa/Diane Bondareff
Ein Jahrzehnt nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 haben Muslime in den USA ein schlechteres Image als unmittelbar danach. Die christliche Mehrheit erscheint in punkto Zusammenleben und Toleranz nicht immer im besten Licht, trotz der vielen interreligiösen Dialoge, beobachtet Konrad Ege, Journalist in Washington.

All-American Muslim heißt eine Reality Show, die ab November auf amerikanische Bildschirme kommt. Man darf gespannt sein. Denn Muslime gibt es sonst nicht im Unterhaltungsprogramm. Der Kabelsender TLC verspricht einen "tiefen Einblick" in das "wenig bekannte und oft missverstandene Leben" der Muslime. All-American Muslim begleite fünf muslimische Familien in Dearborn (Bundesstaat Michigan), der Stadt mit der größten Moschee der USA. Eine Frau sei traditionalistisch und trage Kopftuch, eine andere habe Tätowierungen und Piercings und sei mit einem Katholiken verheiratet. Ein Muslim sei Football-Trainer, ein anderer Polizist.

Die Nationale Kathedrale in Washington, die Congregational Church in Belmont (Kalifornien), die Grace Episcopal Church in Amherst (Massachusetts), die St. Johns Methodistenkirche im texanischen Austin und Dutzende weiterer Gemeinden feierten Ende Juni einen außergewöhnlichen Gottesdienst. "Den Glauben miteinander teilen - einander verstehen im Gebet", lautete das Motto der vom nationalen Verband "Interfaith Alliance" angeregten Gottesdienste. Imame lasen aus dem Koran, Pastoren aus der Bibel, Rabbiner aus der Thora. Man wolle Verbindungen unter den Glaubensgemeinschaften stärken und Vorurteile abbauen, auch die "in den arabischen und muslimischen Welten, dass in den USA einige wenige Randfiguren den Ton angeben, die den Koran verbrennen". Doch konservative Blogs schlugen Alarm: Dem Islam die Kirchentüre zu öffnen, sei ein Betrug am christlichen Glauben.

Der Bundesstaat Oklahoma im Mittleren Westen der USA: Endlose Weizenäcker, Prärie, Cowboys, glühende Sommerhitze und bitterste Winterkälte, hier und da eine Ölpumpe, Städte mit mehr Kirchen als Bars. Aber offenbar fühlen sich die Menschen dort durch die Scharia, das islamische Recht bedroht. Vergangenen November stimmten sie zu 70 Prozent für eine Initiative, um die Anwendung der Scharia grundsätzlich zu verbieten. Unklar war, wo die Scharia wirklich angewendet wird. Und nur rund 30.000 der 3,7 Millionen Einwohner von Oklahoma sind Muslime. Aber das Gesetz werde dringend gebraucht, warnte dessen Urheber Rex Duncan, ein republikanischer Landtagsabgeordneter. Denn am Horizont drohe die Scharia.

Gegenwärtig befassen sich Gerichte mit einer Klage muslimischer Bürger, das Landesgesetz verstoße gegen die in der US-Verfassung vorgeschriebene staatliche Religionsneutralität.

Muslime gegen Todesstrafe

Im türkisgrün gestrichenen Hinrichtungsraum des Gefängnisses von Huntsville haben die Henker des Staates Texas im Laufe der Jahre hunderten Menschen die tödliche Giftspritze verabreicht. Am 20. Juli 2011 starb dort der 41-jährige Mark Stroman, Häftlingsnummer 999409. Ein Nachbeben von 9/11. Stroman, der es in der Schule nur bis zur achten Klasse gebracht hatte, zog nach den Terroranschlägen mit seiner Schrotflinte los. Er wollte Araber und Muslime erschießen und tötete einen Tankstellenbesitzer aus Indien und einen Verkäufer aus Pakistan. Stromans drittes Opfer überlebte. Der muslimische Einwanderer aus Bangladesh, Rais Bhuiyan, arbeitete in einem Lebensmittelladen in Dallas. Stroman kam durch die Tür, wollte wissen, wo Bhuiyan herkomme. Und ehe der Bangladeshi antworten konnte, schoss ihm Stroman ins Gesicht.

2011 sprach sich Bhuiyan gegen die Vollstreckung des Todesurteils aus. Auch die Witwen der beiden Mordopfer seien dagegen. Die Welt werde nur besser, wenn Menschen bereit seien, einander zu vergeben. Doch Gouverneur Rick Perry, ein Liebling konservativer Evangelikaler, lehnte Bhuiyans Bitte ab.

Gleich nach dem 11. September 2001 gab es Hunderte Vorfälle, bei denen muslimisch oder arabisch aussehende Bürger belästigt, bedroht und drangsaliert wurden. Beim Bürgerrechtsverband "Council on American-Islamic Relations" gingen angeblich in der ersten Woche mehr als 350 Berichte ein. Doch Feindseligkeit und Hass waren damals nicht die überragenden Emotionen. Nicht einmal in New York City. Die Kirchen waren voll. Man betete für die Opfer und ihre Familien, und um Frieden. "Das Gesicht des Terrors ist nicht der wahre islamische Glaube", betonte Präsident George W. Bush sechs Tage nach den Anschlägen. "Islam ist Frieden. Diese Terroristen (...) repräsentieren das Böse und Krieg." Und empörte Amerikaner, die muslimische "Mitbürger einschüchtern, repräsentieren nicht das Beste an Amerika. Sie sollten sich schämen."

"Amerikanische Muslime" statt "Muslime in den USA"

Szene in der Malcolm-Shabazz-Moschee in New Yorks Stadtviertel Harlem im Oktober 2001: Männer und Frauen getrennt beim Mittagsgebet. Imam El Hajji Izak-El Mu'eed Pasha verurteilt die Anschläge. Sie widersprächen dem Koran. Zu Besuch kommt ein eher unscheinbarer Mann. Er stellt sich als Michael Bloomberg vor und sagt, er mache Wahlkampf und wolle Bürgermeister von New York, Nachfolger des amtierenden Rudy Giuliani werden. Nach den furchtbaren Anschlägen müssten alle New Yorker zusammenhalten. Er bitte um Stimmen hier in der Moschee. Bloomberg, Multimillionär, aber Neuling auf dem politischen Parkett, gewann im November 2001 die Bürgermeisterwahl.

Yvonne Yazbeck Haddad, Professorin für Islam und Christlich-Muslimische Beziehungen an der Georgetown-Universität in Washington, befasst sich auch beruflich mit der Frage, was sich seit den Terroranschlägen des 11. September im Zusammenleben der Christen und Muslime verändert hat. Eines könne man definitiv sagen, erklärt Haddad: Davor hätten sich in den USA lebende Muslime meist als "Muslime in Amerika" verstanden. Heute fühlten sie sich dagegen eher als "amerikanische Muslime", als Bürger, die sich am politischen und gesellschaftlichen Leben beteiligen. Vor dem 11. September seien viele Muslime mit einer gewissen Abgeschiedenheit zufrieden gewesen. Sie wollten den Koran lehren und unter den Muslimen Gemeinschaft schaffen.

Interreligiöser Dialog wurde oft als Versuch interpretiert, Muslime zum Christentum zu bekehren. Das sei jetzt ganz anders, sagt Haddad: Muslimische Verbände suchten das Gespräch mit anderen Glaubensgemeinschaften.

Feindseligkeit gewachsen

Blickt man auf den Rest der Gesellschaft, auf das christliche Amerika, fällt die Antwort auf die Frage nach der Veränderung seit 9/11 vielschichtig aus. Sie habe schon viele interreligiöse Veranstaltungen besucht, erzählt Haddad, kürzlich eine in Seattle mit mehreren Hundert Teilnehmern. "Der Dialog findet nicht nur in den oberen Etagen statt." Sie treffe ganz "normale Leute" bei diesen Veranstaltungen, die einfach am Islam interessiert seien. Doch Versöhnung ist in der US-Gesellschaft nicht tonangebend.

Die Feindseligkeit gegenüber Muslimen sei heute ausgeprägter als gleich nach 9/11, kommentiert John Esposito, Direktor des Religionsforschungsinstituts "Prince Alwaleed bin Talal Center for Muslim-Christian Understanding" in Washington. Und eine Umfrage des Fernsehsenders ABC im Herbst 2010 bestätigte diese These. 49 Prozent der US-Amerikaner (und 67 Prozent der Republikaner) hätten eine negative Ansicht vom Islam, 37 Prozent eine positive. Im Oktober 2001 dagegen hätten 47 Prozent den Islam positiv betrachtet, 39 Prozent negativ. Was die Frage aufwirft, wie stark der Dialog wirklich von den oberen Etagen durchsickert.

Konservative evangelikale und fundamentalistische Prediger warnen vor dem Islam, der die christliche Zivilisation und den Staat Israel gefährde. Islamfeindliche Hetzkampagnen, zum Beispiel gegen das muslimische Kulturzentrum in Manhatten (die "Ground Zero-Moschee"), werden von konservativen Politikern und wohlorganisierten Gruppen mit Namen wie "Stoppt die Islamisierung Amerikas" angefeuert.

Politiker hetzen mit

"Islamophobie" in den USA sei etwas anders als in Europa, erklärt Esposito. In Europa hetzten eher politische Randfiguren, in den USA dagegen national bekannte Politiker der Republikanischen Partei, die George W. Bushs Ermahnung offenbar vergessen haben.

Präsidentschaftsanwärter Newt Gingrich, ehemals Sprecher des Repräsentantenhauses, hat behauptet, Muslime wollten mit einem "versteckten Jihad" die "westliche Zivilisation durch eine radikale Einführung der Scharia" ersetzen. Und der republikanische Kongressabgeordnete Pete King vertritt die Auffassung, 80 Prozent der rund 2000 Moscheen in den USA würden von "radikalen" Imamen geleitet.

King veranstaltet Anhörungen über eine islamische Gefahr und eine "Radikalisierung" amerikanischer Muslime. Sein Kollege Allen West befasst sich mit der "seit 50 Jahren anhaltenden Infiltrierung Amerikas durch die Muslimische Bruderschaft". Und der republikanische Präsidentschaftskandidat Herman Cain sprach sich gegen den Bau einer Moschee in Tennessee aus: Das Vorhaben sei ein "Missbrauch der Religionsfreiheit".

Viele Kirchen bereiten zum Jahrestag Sondergottesdienste vor. Der Tag sei "für Christen in den USA eine Zeit des Gebets und des Gedenkens", schrieb der ökumenische "Nationale Kirchenrat der USA" in seinen liturgischen Handreichungen für Gemeinden. Barack Obama und George W. Bush werden gemeinsam an einer Gedenkfeier teilnehmen. Die Islamfeindlichkeit in der US-Gesellschaft werde wohl nicht so schnell nachlassen, bedauert John Esposito vom "Talal Center for Muslim-Christian Understanding". Professorin Haddad warnt, dass die missliche Wirtschaftslage "und die beiden Kriege, die nicht mit großartigen Siegen enden", von Islam-Hassern ausgenutzt würden. Gesellschaften und vor allem Politiker suchten einen Sündenbock.

Das passt auch zu den wilden rechtspopulistischen Beschimpfungen, Barack Obama sei gar nicht in den USA geboren und er wolle die Verfassung aufheben. Viele Amerikaner halten Obama ohnehin für einen Muslim. 18 Prozent sagten das bei einer Erhebung des Pew Centers im August 2010. Große Hoffnung setze er auf die jüngere Generation, sagt Esposito. Junge Menschen seien seinen Erfahrungen nach großzügiger und hätten mehr Erfahrung mit Menschen aus anderen Gesellschaftskreisen.

Konrad Ege

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