Radikal originell

Thomas Ruster: Was ist wirklich?
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Diese Darstellung des christlichen Glaubens kommt steil von oben: Wenn es Gott gibt, dann wird nur der den Tatsachen gerecht, der sich dieser Wirklichkeit stellt.

Viele haben es schon unternommen, das Glaubensbekenntnis zu erklären. Doch nur wenige sind dabei so originell und radikal wie der katholische Theologe Thomas Ruster von der Universität Dortmund. Vor der Lektüre lohnt ein Blick auf die letzten zwei Seiten. Dort nennt Ruster seine theologischen Gewährsleute: Da finden sich so unterschiedliche Gestalten wie der Gollwitzer-Schüler Friedrich-Wilhelm Marquardt, der seine Theologie im Hören auf das Judentum entwickelte, und der katholische Neoscholastiker Matthias Joseph Scheeben aus dem 19. Jahrhundert. Was die beiden verbindet, ist vermutlich allein die Tatsache, dass sie heute nicht eben zu den angesagtesten Köpfen ihrer Zunft zählen. Das verbindet sie auch mit Thomas Ruster, der sich mit fester Überzeugung zwischen alle Stühle setzt und sich nicht darum schert, ob dabei seine Reputation unter Fachkollegen leidet.

Rusters Darstellung des christlichen Glaubens kommt steil von oben: Wenn es Gott gibt, dann wird nur der den Tatsachen gerecht, der sich dieser Wirklichkeit stellt. Dies ist für Ruster das "biblische Wirklichkeitsverständnis". Die Bezugnahme auf die Bibel, in deren Horizont auch das Credo gedeutet wird, gibt seinem Ansatz etwas sehr Protestantisches. Ruster will dabei den Glauben nicht so interpretieren, dass moderne Zeitgenossen dazu einen Zugang finden, sondern so, dass Christen sich damit als Kontrastgemeinschaft positionieren können. Die Moderne sieht er von einer "Ordnung der Selbsterhaltung" geprägt, die rechtfertige, dass Menschen auf Kosten anderer lebten. Christen sollten sich diesen modernen Rationalitäten verweigern. So kommt Ruster von sperrigen dogmatischen Themen immer wieder zu ethischen Fragen: Eine zinsfreie Wirtschaft, keine Tiere zu essen und auf das Autofahren zu verzichten sind ethische Konkretionen eines Lebens, das nicht auf Kosten anderer geht. Diese Radikalität, die unbeirrbar fragt, was sein sollte, und nicht, was ethisch in den Kirchen noch vermittelbar ist, verdient Respekt.

Die Tradition bewahren

Was die sperrigen dogmatischen Fragen angeht, bleiben Rusters Aussagen oft schillernd. Er will die Tradition bewahren, nicht verabschieden. Lieber riskiert er, wörtlich verstanden zu werden. So weist er bei der Jungfrauengeburt darauf hin, dass der Glaube an Gottes Macht nicht bei den Naturgesetzen stehen bleiben dürfe, bei Gott sei kein Ding unmöglich. Sollen wir also an einen Gott glauben, der von außen in die Welt eingreift? An anderer Stelle deutet Ruster Gottes Transzendenz durchaus modernitätskompatibel mit dem jüdischen Philosophen Steven Schwarzschild: Gott sei "the ought", das Sollen. Er stehe für das, was noch nicht ist, aber sein sollte. Im Gebot transzendiere Gott die Welt.

Mutet der Ansatz von Ruster auch protestantisch an, so ist er mitunter katholischer, als es einem Protestanten lieb sein kann: Im Gottesdienst der katholischen Kirche sieht Ruster eine Gegenwelt zu der "Ordnung der Selbsterhaltung". Mit Hilfe des Streites über die Abendmahlslehre erklärt Ruster den Unterschied zwischen katholischem und evangelischem Weltverhältnis: Die Katholiken wollten die Welt entsprechend der göttlichen Ordnung wandeln, die sie im Gottesdienst feierten, während die Protestanten sich damit begnügt hätten, dass sich die Gegenwart Christi im Gottesdienst ereigne. So hätten sie die Welt in ihre vermeintlich eigene Gesetzlichkeit entlassen.

Man muss Ruster nicht in allem zustimmen, aber man muss zugeben, dass er enorm anregend ist. Wer sein christliches Hirn einmal durchlüften will, der sollte Ruster lesen.

Thomas Ruster: Glauben macht den Unterschied. Das Credo. Kösel Verlag, München 2010, 220 Seiten, Euro 17,95.

Christoph Fleischmann

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