Keine Verbindung?

Die DITIB-Landesverbände möchten als Religionsgemeinschaft anerkannt werden
Die DITIB-Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh: im traditionellen osmanischen Stil erbaut. Foto: dpa/Roy Gilbert/Revierfoto
Die DITIB-Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh: im traditionellen osmanischen Stil erbaut. Foto: dpa/Roy Gilbert/Revierfoto
Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, kurz DITIB genannt, fasst unter ihrem Dach knapp 900 Ortsgemeinden bundesweit zusammen. Ihre Landesverbände möchten in Deutschland als Religionsgemeinschaft anerkannt werden. Aber wie weit geht ihre Abhängigkeit vom türkischen Staat? Andreas Gorzewski, evangelischer Theologe und Islamwissenschaftler, schildert die nicht immer übersichtliche Lage.

Der hessische Landesverband der islamischen Organisation "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion" kurz DITIB genannt, hat seinen Sitz in einem unscheinbaren Gebäude im Frankfurter Bahnhofsviertel. Eingerahmt von einer Grillstube und einem indischen Importshop bietet ein DITIB-Laden religiöse Literatur und Bestattungsdienste an. Eine schmale Hofeinfahrt führt zu einer Teestube. Darüber liegt der Gebetsraum der DITIB-Zentrumsmoschee. Noch ein paar Stockwerke höher hat Fuat Kurt sein Büro. Er ist der Vorsitzende des Landesverbandes und zuständig für 83 Moscheevereine. "Ich würde mir wünschen, dass wir es als DITIB schaffen, als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden, damit man mit dem Staat in vielen Dingen kooperieren kann", sagt der 52-jährige Bauingenieur.

Die DITIB-Hessen will - wie die anderen DITIB-Landesverbände auch - islamischen Religionsunterricht erteilen. Damit ist im Normalfall eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft verbunden. Derzeit hat keiner der großen Moscheeverbände diesen Status. Kurt hatte seinen Antrag bereits Anfang 2011 gestellt. Seitdem läuft das Verfahren. Dabei steht neben Struktur und Aufgaben des DITIB-Landesverbands auch dessen Beziehung zur türkischen Religionsbehörde Diyanet auf dem Prüfstand. Zur Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion - auf Türkisch DITIB abgekürzt - gehören bundesweit 896 Vereine. Der DITIB-Dachverband mit Sitz in Köln ist wie die Landesverbände und die angeschlossenen Moscheen ein Verein nach deutschem Recht. In vielen Bereichen ist die DITIB Ansprechpartnerin der deutschen Behörden. Allerdings werden dem Dachverband immer wieder seine Verbindungen zur türkischen Religionsbehörde vorgeworfen.

Verlängerter Arm

Anders als die DITIB selbst sehen Kritiker in diesem Dachverband den verlängerten Arm der Diyanet, dem "Amt für Religiöse Angelegenheiten in der Türkei". Sie beziehen sich dabei unter anderem auf den DITIB-Vorstandsvorsitz. Zumindest bis Anfang März stand an der Spitze der DITIB immer ein türkischer Theologe der Diyanet mit Diplomatenpass. Darüber hinaus werden die Imame an den DITIB-Moscheen von der Türkei entsandt und bezahlt. Außerdem kann die türkische Religionsbehörde laut Satzung des DITIB-Dachverbands die Wahl des siebenköpfigen Vorstands in Köln beeinflussen. So stellt der DITIB-Beirat, dessen Vorsitz der Diyanet-Präsident in Ankara innehat, mindestens zwei Kandidaten je Vorstandssitz auf. Wer gewählt wird, entscheiden jedoch die Delegierten der Moscheevereine hierzulande. Diese Delegierten sind in den meisten Fällen seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Migranten.

Die Bundesländer wollen aber nur mit Organisationen über Religionsunterricht verhandeln, die nicht unter dem Verdacht ausländischer Einflussnahme stehen. Das hatte der hessische Justiz- und Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) deutlich gemacht, als Kurt seinen Antrag einreichte. Im Mittelpunkt der Antragsprüfung stehe die Frage der Verfassungstreue und der Unabhängigkeit von Einflüssen des türkischen Staates, hatte Hahn erklärt. Auch Nordrhein-Westfalen machte in der Begründung zum neuen Gesetz für den islamischen Religionsunterricht deutlich, dass nur eigenständige und unabhängige Organisationen als Partner des Landes in Frage kämen. Ein Ziel der seit 2009 aufgebauten DITIB-Landesverbände ist es, dieser Forderung entgegenzukommen. Außerdem sollen sie die Betreuung der knapp neunhundert Mitgliedsvereine verbessern. Die Landesverbände bilden die mittlere Organisationsebene zwischen Dachverband und lokalen Moscheevereinen.

Unwirsche Reaktion

Doch wie unabhängig sind die neuen Landesverbände? Kurt reagiert unwirsch auf solche Fragen. Er sei kein Beamter des türkischen Staates und an keine Weisung gebunden, betont er. In seinem Büro weist nur ein Klappkalender der Turkish Airlines auf die Türkei hin. Wie alle Vorsitzenden der Landesverbände mache er seine Arbeit ehrenamtlich. "Wir fällen unsere Entscheidungen frei nach unserem besten Wissen und Gewissen", sagt Kurt, der seit 33 Jahren in Deutschland lebt.

Das sieht Erol Tezel genauso. Auch er ist Bauingenieur. Der 47-Jährige leitet den Kölner Regionalverband. Wegen der großen Zahl an Mitgliedsvereinen ist NRW in vier Regionalverbände geteilt. "Ich habe mit den türkischen Behörden überhaupt keine Verbindung", erklärt Tezel im Büro der Eyüp-Sultan-Moschee in Kerpen. Früher war er Vorsitzender dieser kleinen Hinterhofmoschee in einer umgebauten Autowerkstatt. Im Büro der Moschee steht ein Wimpelgesteck mit deutscher, türkischer und DITIB-Flagge. An der Wand hängt ein Bild des türkischen Republik-Gründers Atatürk. Die Türkei koordiniere lediglich die Entsendung der Imame, mische sich aber nicht in die konkrete Arbeit der Landesverbände ein, sagt Tezel.

Auch Maschinenbau-Ingenieur Erdinç Altunta¸s, Vorsitzender des Stuttgarter Regionalverbandes, pocht auf seine Unabhängigkeit. Altunta¸s ist nach eigenen Worten kein Fall bekannt, wo ein Imam oder Religionsattaché die Arbeit der Landesverbände beeinflussen wollte. In Deutschland verwurzelte Ingenieure wie Kurt, Tezel oder Altunta¸s vermitteln nicht den Eindruck, als würden sie eventuelle Vorgaben aus Ankara abnicken. Tezel hat noch nicht einmal einen türkischen Pass.

Mitsprache erlaubt

Allerdings erlauben die Satzungen der Landesverbände dem Dachverband und indirekt auch der Diyanet eine beschränkte Mitsprache. Demnach ist der Vorstand des Dachverbandes jeweils Aufsichtsrat der Landesverbände. Nach den ursprünglichen Landessatzungen empfiehlt der Aufsichtsrat jeweils mindestens zwei Kandidaten für die Posten in den Landesverbandsvorständen. Die DITIB-Hessen hat diesen Passus mittlerweile in eine offene Kann-Bestimmung geändert. Allerdings haben die Landesverbände auch ihrerseits Einfluss auf den Kölner Dachverband. Bis zum Februar hatten die Vertreter der Landesverbände im siebenköpfigen Vorstand des Dachverbandes sogar eine Mehrheit. Auch Kurt und Altunta¸s gehörten dem vorherigen Dachverbandsvorstand an. Altunta¸s wurde im Februar wiedergewählt.

Eine andere Möglichkeit zur Mitsprache haben die Religionsattachés an den türkischen Generalkonsulaten. Die DITIB-Imame unterstehen als türkische Beamte im Ausland den Attachés. Da die Imame ursprünglich allein durch ihre Funktion in den Mitgliederversammlungen der Landesverbände stimmberechtigt sind, haben sie durchaus ein Wort mitzureden. Die DITIB-Hessen hat mittlerweile auch diesen Punkt ihrer Satzung geändert. Eine Mehrheit gegenüber den Delegierten der Moscheevereine dürften die Imame jedoch nirgends haben. Somit könnten die Attachés oder die Religionsbehörde, selbst wenn sie das wollten, rein rechnerisch keine Entscheidung aus eigener Kraft erzwingen.

Bislang sind die türkischen Imame - die DITIB nennt sie "Religionsbeauftragte" - für die Landesverbände unverzichtbar. Eine Religionsgemeinschaft braucht theologisches Fachpersonal. Nur mit ihnen kann sie religiöse Dienste anbieten und glaubwürdig gegenüber Staat und Öffentlichkeit auftreten. Das können die Ingenieure, Ärzte und Selbstständige in den Vereinsvorständen nicht leisten. In Deutschland ausgebildete Imame fehlen jedoch. Die dafür nötigen islamisch-theologischen Fakultäten sind noch im Aufbau. Den Import von Imamen sieht Kurt deshalb als Übergangslösung an. "Sobald an deutschen Universitäten muslimische Theologen ausgebildet werden, die der deutschen und türkischen Sprache mächtig sind, und wir deren Gehälter finanzieren können, würden wir in unseren Moscheevereinen diese muslimischen Theologen als Imame anstellen", sagt Kurt. Dabei dürfte die Finanzierung ein Problem werden. Sollte die Diyanet eines Tages keine Beamten mehr entsenden und bezahlen, müsste die DITIB selbst für die Gehälter aufkommen. Mit den niedrigen Mitgliedsbeiträgen der Moscheevereine wäre das kaum möglich.

Gebrochen Türkisch

Hierzulande aufgewachsene Imame sind für die Moscheen noch aus einem anderen Grund wichtig: Viele türkischstämmige Kinder sprechen Türkisch nur noch gebrochen. Den Religionsbeauftragten, die für vier bis fünf Jahre entsandt werden, fehlen jedoch die nötigen Deutschkenntnisse. "Bei der Hilfestellung für Kinder gibt es Probleme, dass der Imam nicht immer den richtigen Draht findet", beklagt Tezel. "Wenn der Imam nicht alles versteht, auch die Witzchen, die man so macht, dann nehmen ihn die Kinder nicht so ernst." Türkisch müssen die Imame aber genauso beherrschen. Der Bezug zum eigenen Herkunftsland oder dem der Eltern ist vielen Besuchern der DITIB-Moscheen wichtig. Viele ältere Migranten sprechen nur wenig Deutsch. In den Moschee-Teestuben in Frankfurt, Kerpen und anderswo laufen türkische TV-Programme. Türkische Folklore, Musik und andere Kulturangebote nehmen in der Vereinsarbeit einen großen Raum ein.

Für DITIB-Vertreter steht die Bewahrung der Türkei-Verbundenheit einer Integration in die deutsche Gesellschaft nicht entgegen. Viele Moscheen bieten Deutsch- und Integrationsangebote an. Nach Tezels Worten ist die Öffnung zur Gesellschaft unerlässlich. "Wenn ein Imam hier ein Wort gegen die Integration sagen sollte und Hetze betreiben würde, bin ich der Erste, der zum Attaché geht und sagt, der soll gehen", sagt Tezel energisch.

Keine vorgegebene Marschroute

Die Imame sollen eine Brückenfunktion zwischen türkischstämmigen Migranten und deutscher Öffentlichkeit einnehmen. Dafür müssen sie sich in beiden Kulturkreisen bewegen können. Tezel empfiehlt, dass die islamischen Studien an deutschen Universitäten für künftige Imame auch Pflichtsemester in der Türkei umfassen sollten. Das käme den Bedürfnissen der deutschen und der türkischstämmigen Bevölkerung entgegen.

Wie die Beziehungen zwischen Landesverbänden, Dachverband und Diyanet bewertet werden, bleibt letztlich Ansichtssache. Auf der einen Seite stehen Vorbehalte vor möglicher ausländischer Einflussnahme. Auf der anderen Seite stehen der Mangel an deutschsprachigen Imamen, Geldknappheit sowie familiäre Bindungen an die Türkei. Mit den neuen Landesverbänden wird ohne Zweifel die Deutschlandbindung der Organisation weiter gestärkt, ohne gleichzeitig die Verbindungen zur Türkei zu kappen. Eine zentral vorgegebene Marschroute für die Landesverbände ist nicht zu erkennen.

Das machen die unterschiedlichen Strategien bei der Einführung des islamischen Religionsunterrichts deutlich. In Niedersachsen kooperiert der DITIB-Landesverband mit dem Verbund SCHURA-Niedersachsen. Auch in Nordrhein-Westfalen willigte die DITIB im Rahmen eines Beiratsmodells ein, mit anderen islamischen Verbänden zusammenzuarbeiten. In Hessen beantragte die DITIB dagegen im Alleingang die Erteilung von Religionsunterricht. Das Fach soll laut Kurt allen Muslimen offenstehen, würde aber in der Verantwortung der DITIB-Hessen liegen. Im Sommer will sich das hessische Kultusministerium dazu äußern. Kurt gibt sich zuversichtlich. "Ich glaube nicht, dass man unseren Antrag ablehnt", sagt der aus Trabzon stammende Darmstädter. Er wäre dann Chef einer offiziell anerkannten Religionsgemeinschaft.

Andreas Gorzewski

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