Agentinnen des Wandels

In der evangelischen Kirche müssen die Männer umlernen - aber auch die Frauen
Beim Hannoveraner Schützenfest wurde Regina Hallmann 2004 als Zirkus- und Schaustellerpfarrerin der EKD eingeführt. Foto: Jens Schulze
Beim Hannoveraner Schützenfest wurde Regina Hallmann 2004 als Zirkus- und Schaustellerpfarrerin der EKD eingeführt. Foto: Jens Schulze
Was sich ändern wird, wenn Frauen in der evangelischen Kirche stärker Führungspositionen übernehmen, schildert die Generalsekretärin des Kirchentages, Ellen Ueberschär. Sie verweist darauf, dass die Kirche mit Quoten gute Erfahrung gemacht hat, setzt sich aber kritisch mit kirchlichen Feministinnen auseinander.

Die evangelische Kirche, wie wir sie kannten, wird es in wenigen Jahrzehnten nicht mehr geben. Der Wandel ist genauso gewiss, wie vieles andere ungewiss ist. Die Frage ist nur: Kann Kirche den Wandel gestalten oder wird sie gestaltet? Ohne gutes Führungspersonal wird es nicht gehen und dieses wird zu mehr als 50 Prozent aus Frauen bestehen. Die Kirche kann sich heute also aussuchen, ob sie sich schon jetzt darauf einstellt oder den alten Kurs der Trotzdem-Karrieren von Frauen weiterfährt.

In dem vor fünf Jahren gestarteten Reformprozess der EKD ist das Thema Führung inzwischen immerhin entdeckt worden. 2009 fand dazu sogar ein Workshop statt. Es referierten zwei Frauen und zehn Männer. Dem Anteil der Pfarrerinnen wären allerdings vier Frauen und acht Männer und dem Verhältnis der kirchlich Beschäftigten sogar vier Männer und acht Frauen angemessen gewesen. Der Workshop war ein Symptom für die Lücken, die in der Wahrnehmung von Wirklichkeit in den Führungsetagen der Kirche klaffen. Allerorten, selbst in der Wirtschaft, wird über Frauen in Führungspositionen und die zukünftige gleichberechtigte Führungsstruktur gebrainstormt, konzipiert, mentoriert und monitorisiert.

Nur in der evangelischen Kirche wird ein Workshop zum Thema Führung an diesem Thema vorbei gestaltet. Sicher hat der Workshop auch Wichtiges zu Tage gefördert, zum Beispiel, dass der Kampf um Talente unter Haupt- und Ehrenamtlichen längst tobt. Und wer auf dem Auge der Geschlechterthematik blind ist, hat diesen Kampf schon von vornherein verloren. Denn ihm ist das strategische Thema entwischt, an dem sich die Zukunftsfähigkeit der Institution entscheiden wird. Was wird sich ändern, wenn die Führungspositionen zu mehr als 50 Prozent von Frauen ausgefüllt werden?

Mehr Seelsorge

Es wird nicht mehr die eine oder andere Fensterrede geben, es wird weniger Getöse um missionarische Projekte gemacht, dafür aber mehr Aufmerksamkeit der seelsorgerlichen Funktion der Kirche für den Einzelnen und die Gesellschaft gewidmet. Und der Blick auf die, die da sind, wird schärfer werden. Es wird mehr Geburtstagsglückwünsche und andere Aufmerksamkeiten geben - und mehr Fortbildung. Denn Frauen bilden sich fort, Männern nehmen es sich nur vor.

Und es kommt die seelsorgerliche Kirche, die Dietrich Bonhoeffer vorschwebte, die "nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernstnimmt". Der Theologe und Widerstandskämpfer dachte an eine Kirche, die sich vollständig in die Welt hinein begibt und zur Stelle ist, wenn Menschen Anwaltschaft und Seelsorge brauchen. Zu überlasteten Müttern Kontakt aufzunehmen, wäre in einer solchen Kirche mühelos möglich und nicht Gegenstand groß angelegter Strategien.

Aber aufgepasst: Eine Frauenmehrheit oder ein wenigstens ausgeglichenes Verhältnis von Frauen und Männern in Führungspositionen garantiert nicht die Qualität kirchlicher Arbeit. Lange wird es nicht mehr um Quantität gehen, sondern um pure Qualität. Schon jetzt geht es darum. Und da ist auf allen Seiten viel zu tun. Während Frauen weiter lernen, Führung zu übernehmen, müssen sich die Bedingungen dafür Schritt für Schritt verbessern.

Zickenkrieg vorprogrammiert

Unter Frauen wie Männern gehen die Auffassungen darüber auseinander, wohin Geld fließen soll und wo wieviel Personal eingesetzt wird. Der eine oder andere kleinere oder größere Zickenkrieg ist da natürlich vorprogrammiert, wenn er nicht schon heute stattfindet. Kirche wird sich daran gewöhnen müssen, dass Meinungsverschiedenheiten auch unter Frauen ausgetragen werden. Und manche Verfechterin globaler Frauensolidarität wird sich die Augen reiben, wie viel Konkurrenz zwischen Frauen existiert. Es besteht sogar die Gefahr, dass sich statt der Old-Boys-Netzwerke Old-Girls-Strukturen herausbilden.

Ob es so kommt, weiß freilich niemand. Denn jeder Kurs auf Veränderung ist ungewiss und birgt neben Chancen Gefahren. Aber aus Angst vor Veränderung, alles beim Alten zu belassen, ist unevangelisch, ja unchristlich. Unevangelisch, weil Umkehr, die Befreiung von altem Ballast, das Versprechen der Reformation ist, und unchristlich, weil in der Welt, in der wir leben, Versöhnung noch aussteht.

Während die traditionellen Milieus in der Kirche noch stark sind, nimmt ihre Kraft in der übrigen Gesellschaft ab. Um der Zukunft der Kirche willen muss der Mechanismus ausgesetzt werden, der jede Veränderung meidet, die in Traditionskreisen auf Skepsis stößt. Die Chancen, die darin für Kirche liegen, Anschluss an die moderne Frauendebatte zu finden, sind ungleich größer als die Gefahren. Pfarrerinnen, Juristinnen, Gemeindepädagoginnen, Diakoninnen, Musikerinnen sind Agentinnen des Wandels. Das Ziel ist, statt der alten, zerbrochenen Trias Kinder, Küche, Kirche eine neue Trias attraktiv zu machen, das zwar keine Alliteration aufweist, aber realistisch ist: Beruf, Familie, Glauben.

Allianzen mit Männern

Worüber muss geredet werden, und was ist zu tun? Dafür gibt es kein Rezeptbuch. In Zeiten der Ungewissheiten und Ungleichzeitigkeiten gibt es kein klassisches Richtig oder Falsch. Aber es gibt ein paar Stellschrauben, an denen gedreht werden kann und zum Teil schon gedreht wird - und mutig weiter gedreht werden muss: Die erste und wichtigste Stellschraube für den Wandel befindet sich in den Köpfen der Frauen selbst. Außer Bascha Mika, der früheren Chefredakteurin der taz, wird keine behaupten wollen, Feigheit sei die vornehmste aller weiblichen Eigenschaften. Befreiung von hinderlichen Selbstzweifeln kann nicht verordnet werden, aber unheilbar sind sie auch nicht. Im Gegenteil: Sie sind durch Selbstüberwindung und Mut ganz gut zu therapieren. Die Methoden des empowerment sind in anderen Weltregionen wirksam, und ihre Hebelkraft können sie auch bei uns noch stärker entfalten.

Der Wandel in den Frauenköpfen ist das eine, der in den Männerköpfen das andere. Er ist nur zu organisieren durch Allianzen mit Männern, die auch ohne Aufforderung die Frauenordination verteidigen und deswegen auch einmal ökumenische Beziehungen aufs Spiel setzen. Kirchenspaltungen und ökumenische Eiszeiten sind schon wegen geringfügigerer Differenzen riskiert worden.

Die Bedingungen für die berufliche Arbeit junger Frauen in der Kirche müssen erheblich attraktiver werden. Dabei ist das Finanzielle nicht das Wichtigste. Die postmaterialistischen Milieus achten schon heute mehr auf Lebensqualität, auf Work-Life-Balance. Kirchliche Krankenhäuser brauchen Ärztinnen, kirchliche Rechnungsämter Finanzfachfrauen und die Gemeinden brauchen Pfarrerinnen. Und die evangelische Kirche tut gut daran, durch Umsetzung eines vernünftigen Gender-Mainstreaming gerade in den hochverrechtlichen Bereichen der Beschäftigung mutig voranzugehen und nicht abzuwarten, bis ein Gesetz oder eine Gewerkschaft die Regelungen der Kirchen aushebelt. Ein erster Schritt wäre, die vorhandenen Gleichstellungsgesetze mit entsprechenden Sanktionen zu bewehren: Wo sie nicht eingehalten werden, muss das Auswirkung auf die Zuweisung von Mitteln haben.

An die Vorkämpferinnen erinnern

Seit mehr als hundert Jahren treten Frauen in der evangelischen Kirche öffentlich auf. Und sie bilden heute die Mehrheit der Haupt- und der Ehrenamtlichen. Nur noch die Angleichung der Führungsstruktur daran steht aus. All die christlichen Frauenrechtlerinnen, Gemeindehelferinnen, Pfarrfrauen und Pfarramtssekretärinnen und Vikarinnen, die in der Vergangenheit für die Kirche gekämpft und gelebt haben (siehe Seite 25), sind ein gewaltiges Reservoir, um Selbstbewusstsein zu schöpfen. Sie waren die Agentinnen des Wandels und sind es wert, erinnert zu werden. Mit ihren Lebens- und Leidensgeschichten muss Erinnerungspolitik gemacht werden. Denn das stärkt auch die, die heute in der Kirche leben und arbeiten.

Offenbar besteht die Befürchtung, eine Auseinandersetzung unter Frauen würde den kirchlichen Feminismus unglaubwürdig machen, Deshalb sitzen in den engen Zirkeln der Feministischen Theologie die Generationen einträchtig beieinander und verfehlen das "Lebensgefühl heutiger Studierendengenerationen", wie Hans-Martin Gutmann beobachtet hat, der in Hamburg Praktische Theologie lehrt. Die jungen Leute stimmen mit den Füßen ab und bleiben physisch und mental dem feministischen Projekt fern. So findet passiv und unkontrolliert ein Generationenkonflikt statt. Ein Mix aus Enttäuschung und Erpressung ist die zartbittere Haltung der Älteren, die da sagt: "Na, wartet, Ihr werdet schon noch die gläsernen Decken zu spüren bekommen und dann werdet Ihr schon sehen, dass wir recht hatten."

Die Auseinandersetzung mit manchen Blüten der Siebziger- und Achtzigerjahre müsste aber auch stattfinden, um wertschätzen zu können, was Frauen in diesen Jahren erstritten haben und um den Blick dafür frei zu bekommen, was noch zu tun ist. Das wird weniger in geschützten Räumen für Frauen passieren, in denen - angeblich - herrschaftsfrei diskutiert wird, sondern in der offenen Arena. Und soweit sind wir Frauen. Genau dort können wir inzwischen selbstbewusst stehen. Dies nicht als Verrat an der feministischen Sache zu brandmarken, sondern stolz als Ergebnis eines jahrelangen, erfolgreichen Kampfes zu präsentieren, ist der Schwenk, der in manchem Kopf - nicht nur von Kirchenfrauen - gelingen müsste. Der kirchliche Feminismus braucht ein neues Projekt: Das Neuausmessen des Verhältnisses von Theologie, Spiritualität und Politik könnte eines sein, das auch zum Lebensgefühl der heutigen Studierenden passt.

Stuhlkreis und Tücher

Als eine der größten Zukunftsbedrohungen einer weiblich geführten Kirche wird bisweilen die "gestaltete Mitte" angesehen. Nein, auch männliche Kollegen bedienen sich der Raumgestaltung mit bunten Tüchern und weißen Kerzen. Und ich kenne nicht wenige Frauen, die ob einer so gestalteten Mitte die Stirn runzeln. Im übrigen ist dieses Stilinstrument, das besonders in der Verbindung mit dem Stuhlkreis wirkt, genauso legitim, wie das Sitzen in Bänken, wenn Gott doch mit Singen und Tanzen gelobt werden soll.

Wie in der Kirchenpolitik, so auch in der Spiritualität: Frauen brauchen Freiräume und Formen, die sie selbst bestimmen. Aber wenn das Verhältnis von Theologie, Spiritualität und Politik neu vermessen werden soll, ist es wichtig, die Formen zu überprüfen. Die U-30-Theologin Julia Koll hat das getan. Sie möchte das ganze Programm von Gebärden, Tanz und Maria einer "kritischen Theorie der Spiritualität" unterziehen.

Zum Wandel in den Köpfen gehört auch der Abschied von der Idee einer ursprünglichen Solidarität aller Frauen. Die vertraute Denkfigur, dass Frauen anders sind als Männer und das ein Grund zur Solidarität sein soll, muss überprüft werden. Das gilt gerade in einer Kirche, in der die Frauengestalten der Bibel, von Mirjam, der Schwester des Mose, von Elisabeth und von Maria, die einen Hochgesang auf die Gedemütigten anstimmt, eine Leitfunktion haben.

Im beruflichen Alltag werden Frauen heute mit Konkurrenzsituationen konfrontiert, die nicht durch das Paradigma der Frauensolidarität abgedeckt sind. In vielen Gremien der Kirche sind Frauen, die eine Führungsposition bekleiden, das einzige weibliche Mitglied. Die Strategien, sich Respekt zu verschaffen, sind auf diese geschlechterpolitische Unwucht ausgerichtet. Wenn sich Frauen dann doch einmal als Konkurrentinnen begegnen, sind keine Verhaltensmuster ausprobiert, geschweige denn eingeübt, mit dieser Situation umzugehen. Das Paradigma von der vorgängigen Frauensolidarität trägt in diesen Situationen nicht. Es ist auch die Angst vor solchen Situationen, die Frauen vor Führungspositionen zurückschrecken lässt.

Mit Quoten hat Deutschlands Protestantismus viele gute Erfahrungen gesammelt. So darf in Kirchenleitungen die Zahl der Laien die der Ordinierten nicht deutlich unterschreiten. Und auch in den Synoden gibt es klare Quoten für das Verhältnis von Ehrenamt und beruflicher kirchlicher Arbeit. Es gibt reformierte und lutherische Frauen und Männer und für ihre gleichberechtigte Präsenz gibt es in den unierten Kirchen auch Quoten. In der evangelischen Kirche weiß man und frau also, wie es geht. Es ist nicht schwer - und Mittel zum Zweck. Der ist dann erreicht, wenn das Lamento über den Unsinn einer Quote aufhört und die Voraussetzung dafür geschaffen ist, dass Leistung verglichen werden kann. Erst wenn nicht mehr über die formale Gleichberechtigung diskutiert werden muss, lassen sich die mentalen, sozialen und politischen Barrieren einer Chancengleichheit für Frauen in der Kirche erkennen und abbauen. Literatur Ellen Ueberschär: Fürchtet Euch nicht! Frauen machen Kirche, Kreuz Verlag, Freiburg i. Br. 2012, 160 Seiten, Euro 14,99.

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Ellen Ueberschär

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