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Aktualität der Wissenschaft
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Ein Plädoyer für die Aktualität der Wissenschaft und eine spannende Geschichte zwischen Europa und Orient.

Wie stellt man sich einen Wissenschaftler im 19. Jahrhundert vor? Sitzt er nicht den überwiegenden Teil seiner Zeit hinter dicken Folianten und forscht? - Wissenschaft für Spezialisten und Weltferne? Wie anders wissenschaftliche Forschung sich bisweilen vollzieht, erzählt Christfried Böttrich. Es ist beinahe eine Kriminalgeschichte rund um einen der bedeutendsten Handschriftenfunde. Ein Auf und Ab. Engagement und Missgunst, Machtinteresse und der Wunsch nach Förderung der Wissenschaft, Kalkül und der Wille, etwas Unwiederbringliches zu erhalten, liegen miteinander im Wettstreit. Die Geschichte der alten Handschrift mit Teilen des Alten und Neuen Testamentes ist unlösbar mit Constantin Tischendorf verbunden. 1842, im Alter von 27 Jahren, formuliert er sein Lebensziel: die griechischen Universalcodices des Neuen Testaments zu veröffentlichen, alte Versionen erneut in die wissenschaftliche Erforschung einzubeziehen und die Kirchenväter wieder neu in den Blick zu nehmen. Dieser Aufgabe stellt er sich nicht nur am heimischen Schreibtisch. Er geht auf Reisen und besucht die Orte, an denen die alten Schriften noch im Original zu finden sein könnten. Zwei Jahre später fischt er aus einem Abfallkorb in der Bibliothek des Katharinenklosters am Berg Sinai einige Blätter. Er erkennt sofort: Sie sind mehr als unnützer Abfall. Sie gehören zu einem griechischen Alten Testament. Insgesamt fand er während dieses Aufenthaltes 129 Blätter, die aus dem 4. Jahrhundert stammen. Den Mönchen war zu dieser Zeit nicht bewusst, welchen Wert die Blätter besaßen. Was er nicht berichtet: Dass er 43 Blätter des kostbaren Manuskriptes mit nach Deutschland gebracht hat, um sie der Forschung zugänglich zu machen. Es ist sein Fund, seine wissenschaftliche Entdeckung. Während der junge - und frisch verheiratete - Professor in Leipzig seine Reise auswertet und die Ergebnisse dem wissenschaftlich interessierten Publikum zugänglich macht, erhält das Kloster einen weiteren Besuch eines Gelehrten: Archimandrit Profirij Uspenskij. Auch er hält offensichtlich die Blätter in den Händen, erkennt ihren Wert aber nicht. Eine komplizierte Beziehung nimmt ihren Anfang. Kompliziert wie die Wege, die die verschiedenen Teile der Handschrift gehen werden. Einen Eindruck der verwinkelten Pfade vermitteln allein die Orte, an denen die Teile heute aufbewahrt werden: Leipzig, St. Petersburg, London und das Kloster selbst. Wie es zu dazu kam, wie die Entwicklungen aus heutiger wissenschaftlicher Sicht zu deuten und welche Schlussfolgerungen heute möglich sind, wie viele Blätter und Fragmente innerhalb von 116 Jahren gefunden wurden, davon berichtet Christfried Böttrich in seinem flüssig geschriebenen Buch. Ein Plädoyer für die Aktualität der Wissenschaft und eine spannende Geschichte zwischen Europa und Orient.

Christfried Böttrich: Der Jahrhundertfund. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2011, 192 Seiten, Euro 19,90.

Bettine Reichelt

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