Kampf um den Acker

"Land Grabbing" hat viele Gesichter. Aber kann es auch Gutes bewirken?
Wegen der Ethanolgewinnung werden Wälder gerodet. Foto: Brot für die Welt
Wegen der Ethanolgewinnung werden Wälder gerodet. Foto: Brot für die Welt
In Sierra Leone soll auf 10000 Hektar Zuckerrohr angebaut werden. Der Ackerboden steht dann nicht mehr der lokalen Bevölkerung zur Verfügung, sondern einem Konzern, der dort Agrarsprit für den europäischen Markt herstellen wird. Ein Trend mit Chancen und vielen Risiken, wie Carolin Callenius von "Brot für die Welt" weiß.

Im Norden von Sierra Leone nahe der Stadt Makeni wird der Schweizer Konzern Addax Bioenergy in den nächsten 50 Jahren auf 10 000 Hektar Zuckerrohr anbauen. Spätestens in drei Jahren soll die Produktion in Betrieb sein: Dann dient das Land der Herstellung von Biosprit und -strom. Während die 93 000 Kubikmeter Ethanol in die EU exportiert werden, bleiben bis zu 50 Prozent des erzeugten Stroms im Land. Soweit die Fakten. Was aber bedeutet das für die Menschen, die vor Ort leben und bislang das Land nutzen konnten?

Die Enttäuschung bei den Bauern ist groß. Ihr Einverständnis wurde mit Entwicklungsversprechungen geködert, mit den Aussichten auf feste, gut bezahlte Arbeit, auf asphaltierte Straßen in den Dörfern, Gesundheitsstationen oder Schulen. Doch davon findet sich in den Verträgen nichts. Dabei wurden die rechtlichen Vorschriften der Regierung eingehalten: der Konzern zahlt einen Pachtpreis von zwölf Dollar pro Hektar an die Landbesitzer sowie weitere neun Dollar an die verschiedenen Landverwaltungs-ebenen (District Council, Chiefdom Administrator) und an die Regierung.

Das Netzwerk für das Recht auf Nahrung, ein Zusammenschluss von vierzig Menschenrechtsorganisationen in Sierra Leone, kritisiert, dass mit dieser Aufteilung der Zahlungen vor allem das Einverständnis der Entscheidungsebenen erwirkt werde, für die Bauern selbst aber wenig übrig bleibe. Die Bauern selbst beanstanden, dass die Pachtzahlung so niedrig sei, dass sie mit dem bisherigen Maniokanbau besser dastünden. Weder die Pachtzahlungen noch die Einkommen, die sie als Landarbeiter auf den Plantagen verdienen können, seien ausreichend, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Zumal nur ein Bruchteil der versprochenen Arbeitsplätze eingerichtet wurde, die meisten davon nur für schlecht bezahlte Saisonarbeitskräfte.

Frauen besonders betroffen

Besonders betroffen von diesen Landtransfers sind die Frauen. In dem traditionellen System der Landvergabe haben sie keine verbrieften Ansprüche auf Land. Dennoch wird ihnen oft in der Praxis vom männlichen Haushaltsvorstand Land zur Bewirtschaftung überlassen. Fallen diese Flurstücke aber in das Projektgebiet, erhalten sie weder eine Kompensation noch die Pachtzahlungen.

Auch sind die Frauen die Leidtragenden, wenn Wasserquellen versiegen. Addax hat vertraglich ein Exklusivrecht an der lebenswichtigen Ressource in dem Projektgebiet und kann unbeschränkt Wasser entnehmen, bestehende Wasserläufe aufstauen oder ihren Verlauf verändern. Zuckerrohr ist eine Pflanze, die sehr viel Wasser benötigt. Zur Bewässerung der Felder wird vor-aussichtlich vor allem der Rokel genutzt werden. Er ist der größte Fluss Sierra Leones, und aus ihm wird in der Trockenzeit bis zu 26 Prozent des Wassers auf die Zuckerrohrfelder fließen. Dadurch wird vermutlich der Wasserstand des Rokels sinken und das Wasser für Landwirte und Anwohner knapp werden.

Das Beispiel der Landvergabe zum Zuckerrohranbau in Sierra Leone macht deutlich, was sich in der Literatur zu Land Grabbing und in Berichten von Betroffenen häufig in verschiedener Ausgestaltung wiederfindet: Die Risiken dieser großflächigen Landvergabe tragen die Menschen vor Ort.

Eine Million Hektar verpachtet

Für die bäuerlichen Familien, Hirten, Fischer und Indigenen ist der Zugang zu Land, Wasser und anderen natürlichen Ressourcen die wichtigste Überlebensgrundlage. Insofern gibt es auch bei legalen Landvergaben menschenrechtliche und moralische Bedenken. "In keinem Fall darf ein Volk seiner Existenzmittel beraubt werden", heißt es im ersten Artikel des UN-Menschenrechtspakts für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Es ist die Aufgabe des Staates, die Zugänge zu diesen natürlichen Ressourcen zu respektieren und zu schützen. Denn insbesondere für die armen und verwundbaren Bevölkerungsgruppen bedeutet der Verlust von Land, Wasser, Weidegrund oder Wald vielfach die Verletzung des Menschenrechts auf Nahrung und Wasser, des Rechts auf Wohnen, Eigentum und Gesundheit.

Besonders pikant ist, dass fragwürdige Investitionen wie die von Addax sich an problematischen Standorten häufen. Auch in Sierra Leone wurden viele solcher Pachtverträge abgeschlossen. Sie umfassen eine Gesamtfläche von bis zu einer Million Hektar oder 18 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche des Landes. Es besteht die Gefahr, dass dies Folgen für die Ernährungssicherheit des Landes haben wird, denn in Sierra Leone reicht schon heute die produzierte Nahrung für die Versorgung der Bevölkerung nicht aus. Sierra Leone importierte 2010 beispielsweise 80.000 Tonnen Reis. Gleichzeitig ist es ein Land, in dem die Landwirtschaft noch einen zentralen Stellenwert hat. Nach wie vor sind hier 75 Prozent der ländlichen Bevölkerung beschäftigt.

Investitionen steigen

Wie in Sierra Leone, so lässt sich auch weltweit beobachten, dass in den vergangenen fünf Jahren das Interesse an Agrarland und der Landwirtschaft zugenommen hat. Eine zentrale Rolle spielen dabei Großinvestitionen von über 1000 Hektar. Wenngleich die Datenlage sehr schwierig ist, weil die meisten Verträge nicht öffentlich gemacht werden, sprechen die neuesten Schätzungen von bis zu 203 Millionen Hektar Land, welche zwischen 2000 und 2010 an Großinvestoren gegeben wurden oder über welche Verhandlungen geführt werden. Das entspricht einer Fläche, die größer ist als die Agrarfläche der Europäischen Union. Etwas mehr als die Hälfte dieser Fläche liegt in Subsahara-Afrika. Madagaskar war Schauplatz des ersten und eklatantesten Falles, über den 2009 in den Medien berichtet wurde. Der koreanische Konzern Daewoo wollte über 1, 3 Millionen Hektar Ackerland für 99 Jahre pachten. Auf mehr als der Hälfte der Ackerfläche des Landes wollte er Mais für die Lebensmittelversorgung der koreanischen Bevölkerung und Ölpalmen für Agrosprit anbauen. Der Vertrag platzte, aber der Wettlauf um Land ging ungebrochen weiter. Die Hotspots des Land Grabbings in Afrika sind heute Länder wie Sudan, Äthiopien und Ghana.

Land Grabbing hat viele Gesichter. Akteure sind vor allem private internationale Konzerne, para-staatliche Investoren wie arabische Staaten, China und Japan, der internationale Finanzsektor mit Banken und Fonds aus den USA und der EU und sehr häufig auch nationale Eliten.

Scheinbar grüne Alternativen

Nachdem über Jahrzehnte der Agrarsektor für Geldgeber uninteressant schien, boomen nun die großflächigen Investitionen. Angetrieben werden sie von der weltweit steigenden Nachfrage nach Lebensmitteln und den steigenden Preisen auf dem Weltmarkt. Groß ist der Hunger auf Fleisch in Ländern, die wirtschaftlich boomen. Immer mehr Flächen werden für Futtermittel benötigt.

Ackerflächen werden darüber hinaus für vermeintlich "grüne" Alternativen zu fossilen Energieträgern benötigt: Treibstoffe aus Zuckerrohr, aus Ölpalmen oder Mais sollen das Erdöl ersetzen. Dafür werden in Ländern wie zum Beispiel den USA und Brasilien hohe Quoten zur Beimischung mit fossilem Treibstoff festgesetzt. Auch die EU will, dass bis 2020 zehn Prozent der Kraftoffe im Verkehrsbereich aus erneuerbaren Energien stammen. Es wird erwartet, dass 80 bis 90 Prozent dieses Ziels durch Biotreibstoffe erreicht wird.

Dafür, so schätzt die Netherlands Environment Assessment Agency, werden 20 bis 30 Millionen Hektar erforderlich sein, davon 60 Prozent außerhalb der eigenen Grenzen. Insofern wundert es nicht, dass weltweit die neuen Land-investitionen überwiegend auf das Konto von Agrartreibstoffen gehen. Rund 60 Prozent der Landinvestitionen weltweit und sogar 66 Prozent in Afrika sind für die Herstellung von Energiepflanzen vorgesehen.

Darüber hinaus geschieht Land Grabbing auch zu Zwecken des Bergbaus, für Gewerbegebiete, Tourismus, Abholzung und neuerdings auch für die Anlage von Naturschutzflächen als Ausgleich für Treibhausgas-Emissionen. Fruchtbare Bö-den sind ein knappes Gut geworden.

Nicht nur Landräuber

Die Motivation für die Staaten, Ackerflächen an Investoren zu verpachten, liegt darin, dass großflächig viel Land ungenutzt ist oder wenig genutzt wird. Das Hamburger GIGA-Institut im Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien wehrt sich gegen die Vereinfachungen in der Diskussion. Weder das "Bild des gierigen 'Landräubers', der Land stiehlt und Produkte exportiert, noch das Bild des wohltätigen Investors, der sich vor allem um die Entwicklung der ländlichen Räume Afrikas sorgt", seien richtig.

Nicht alle Landinvestitionen müssen notgedrungen auch Land Grabbing sein. Damit aus entwicklungspolitischer Sicht die Chancen zum Tragen kommen, müssen die Menschen vor Ort von den Investitionen profitieren. Dafür ist es notwendig, dass sie an der Wertschöpfung partizipieren, durch gut bezahlte, dauerhafte Arbeitsplätze, neue Vermarktungschancen oder den Aufbau einer Infrastruktur, wie Straßen, Elektrifizierung und soziale Einrichtungen für die Bevölkerung. Und durch eine Umverteilung von Staatseinnahmen, die, wenn vertraglich so geregelt, über Import- und Exportzölle, Steuern und Abgaben in die Staatskasse fließen. Denn Investitionen in die kleinbäuerliche Landwirtschaft und ländliche Entwicklung sind dringend erforderlich.

Das größte Problem liegt sicherlich in der Landvergabe. Denn große Teile des scheinbar verfügbaren Landes, dient der Bevölkerung auf unterschiedliche Weise - etwa als Weideland, als Ausgleichsflächen oder zum Sammeln von Wildfrüchten, - und erfüllt häufig wichtige Umweltfunktionen. Aufgrund der überwiegend vorherrschenden tra-ditionellen Form des Landbesitzes (Customary Tenure) sind die Ansprüche der Landnutzer oft nicht registriert, so dass sich Gebietsansprüche überlappen und Rechtsunsicherheit herrscht. Ein verlässliches, korruptionsfreies Landvergabesystem ist eine Grundvor-aussetzung, damit die Landvergabe fair erfolgen kann. Auf internationaler zwischenstaatlicher Ebene sind es Verhandlungen im UN-Komitee für Welt-ernährungssicherheit (CFS), in die derzeit große Hoffnungen gesetzt werden. Nächstes Jahr sollen internationale Leitlinien, die "Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Landnutzungsrechten, Fischerei und Forstwirtschaft", verabschiedet werden. Sie verstehen sich als Empfehlungen zu nationalen Landpolitiken und sollen vor allem politische Standards enthalten, die Staaten leiten, damit negative Auswirkungen und Menschenrechtsverletzungen bei der Landvergabe vermieden werden.

Damit aber solche Standards auch von den Staaten umgesetzt und von Parlamenten und Zivilgesellschaften kontrolliert werden können, braucht es neben dem Umsetzungswillen der jeweiligen Regierung vor allem Transparenz in der Vergabepraxis und demokratische Strukturen. Denn Wissen um den Inhalt der zwischen Regierungen und Investoren geschlossenen Verträge ist für die Betroffenen notwendig, um Investitionen zu bewerten.

Bevölkerung beteiligen

Ein wichtiges Kernelement bei der Landvergabe ist die Beteiligung der Bevölkerung. Betroffene Gruppen, die bisher das Land nutzen, müssen von Anbeginn an einbezogen und über Chancen und Risiken informiert werden. Um eine freie Entscheidung treffen zu können, brauchen die Bauern mehr Wissen. Bislang wird ihre Unkenntnis oft ausgenutzt. Außerdem kann die Möglichkeit, ihre Rechte gegebenenfalls gerichtlich einzufordern, ihre Verhandlungsmacht stärken. Neben Schutzrechten müssen Standards für etwaige Umsiedlungen und Regeln für Entschädigungen festgelegt werden.

Saturninio Borras Jun. und Jennifer Franco haben dazu das Konzept "Landsouveränität" als Leitbild entwickelt. Neben dem Souverän, dem Staat, wird die ländliche Bevölkerung als Souverän über die natürlichen Ressourcen angesehen. Sie muss über den Zugang zu Land und die Kontrolle und Nutzung des Landes, auf dem sie lebt, eigenständig verfügen. Das Konzept bringt einen Perspektivwechsel. Über die Allokation von Land und Wasser entscheiden Menschen aufgrund ihrer vielfältigen Ziele, die deutlich über Profitmaximierung oder die maximale Produktivität einer Fläche hinausgehen.

Was aber, wenn - wie im Falle Sierra Leones - die Bauern und Bäuerinnen die Chancen und Risiken überhaupt nicht überblicken können?

Studien zum Thema:

Mike Anane, Cosmos Yao Abiwu. June 2011. "Independent Study Report of the Addax Bioenergy Sugarcane-to-Ethanol Project in the Makeni Region in Sierra Leone". Committee on World Food Security. July 2011. "Land Tenure and International Investments in Agriculture. A Report by the High Level Panel of Experts". Rome Jann Lay und Kerstin Nolte. 2011. "Neuer 'Landraub' in Afrika?" GIGA - German Institute of Global and Area Studies. Institut für Afrika-Studien. Focus Nr. 1/2011 Afrika

Brot für die Welt
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Carolin Callenius

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