Tod eines Baumwollbauern

Wäre es ohne sie noch schlimmer gekommen? Mit der Gen-Saat kam das Unglück
Prabhu Wankhede mit dem Foto seines Bruders Prafull. Foto: Jörg Böthling
Prabhu Wankhede mit dem Foto seines Bruders Prafull. Foto: Jörg Böthling
Seit 1997 haben sich tausende indischer Kleinbauern das Leben genommen. Besonders betroffen ist die Region Vidarbha. Dort dominiert der Gen-Riese Monsanto mit seinem Saatgut den Markt. Wer ist schuld an der Krise? Christian Selbherr, Redakteur beim missio magazin, der Zeitschrift des katholischen Hilfswerkes missio in München, ist der Frage nachgegangen.

Einer muss ja immer übrig bleiben, damit die Geschichte erzählt werden kann. Und so sitzt Prabhu Wankhede vor dem Haus seiner Eltern im kleinen indischen Dorf Sonegaon. Er erzählt die Geschichte seines Bruder Prafull, der vor einem Monat starb. Es ist die Geschichte eines großen Traumes, der einfach so an der harten Wirklichkeit zerplatzt ist. Weil das Schicksal auf einen kleinen Bauern in der indischen Provinz keine Rücksicht nimmt.

Hoffen auf das Glück

Ein eigenes Baumwollfeld! So wie all die anderen in der Gegend. Das wünschte sich Prafull Wankhede. Er wollte kein Tagelöhner mehr sein, den die Grundbesitzer herumkommandieren können. Kein Knecht, sondern sein eigener Herr. "Jeder kann jetzt Baumwolle anbauen", haben sie im Werbefernsehen gesagt. Mit dem neuen Saatgut aus Amerika sei das kinderleicht. Prafull Wankhede glaubte es. Er lieh sich Geld von der Bank und von einer Hilfsorganisation, dazu noch ein dickes Bündel Rupien von einem Geldverleiher. Prafull kaufte ein kleines Stück Land und hoffte auf sein Glück. Doch alles ging schief. Die Ernte blieb aus, aber die Schulden waren noch da. "Mein Bruder wusste nicht mehr weiter", sagt Prabhu. Da beschloss er, mit 27 Jahren, seinem Leben ein Ende zu setzen. "Er trank das giftige Pestizid. Erst nachdem wir stundenlang gesucht hatten, fanden wir ihn." Tot.

Foto: Jörg Böthling
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Immer noch werden große Mengen von Pestiziden verspritzt ...

Foto: Jörg Böthling
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... von den Gefahren, die von den hochgiftigen Chemikalien ausgehen, ist nicht die Rede.

Jetzt ist Sonegaon in der Region Vidarbha ein "Selbstmord-Dorf", und Prafull Wankhede ein "Suicide Man". So reden die Nachbarn. Die einheimischen Zeitungen und TV-Sender berichten fast täglich über Selbstmorde unter Indiens Baumwollbauern. Denn deren Zahl ist außergewöhnlich hoch. Die Schätzungen gehen ins Sechsstellige. Warum sind die Selbstmordraten so hoch? Warum sind vor allem Baumwollbauern betroffen? Und was haben die Selbstmorde damit zu tun, dass fast überall nur noch Gen-Baumwolle aus dem Imperium des US-Konzerns Monsanto gepflanzt wird?

Ausgerechnet Baumwolle

Ausgerechnet Baumwolle! Für Indien ist sie ein nationales Symbol der Freiheit. Mahatma Gandhi rief seine Landsleute auf, die britischen Textil-Importe zu boykottieren. Indien sollte dem Mutterland nicht länger nur den Rohstoff liefern und dann die fertigen Produkte kaufen müssen. Jeder Inder könne seine Baumwollhemden selber herstellen, fand Gandhi. Dabei ist schon der Baumwollanbau an sich fast eine Wissenschaft. Klimaschwankungen setzen der Pflanze zu, allerlei Schädlinge und Krankheiten bedrohen sie. Besonders hartnäckig ist der so genannte "Kapselwurm" - eine Raupe, die später zwar zum schönen Schmetterling wird, sich vorher aber gierig durch die weiße Baumwollblüte frisst.

Dagegen boten die US-amerikanischen Wissenschaftler aus dem Monsanto-Konzern eine scheinbar geniale Lösung an. Es war ihnen gelungen, der Baumwolle ein Gen einzupflanzen, das den gefräßigen Kapselwurm automatisch fernhalten würde. Der "Bazillus thuringensis", kurz "Bt", sollte quasi wie ein eingebautes Pestizid wirken.

Passenderweise war die moderne Bt-Saat namens "Bollgard" auch gleich immun gegen das Herbizid "Roundup", das aus demselben Unternehmen stammt. Ein unschlagbares Paket also.

Foto: Jörg Böthling
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Die Idylle von fröhlicher Landarbeit ist trügerisch.

Begleitet von ordentlichem Werberummel priesen Staat und Konzern das neue Produkt ab 2002 in Indien an. Bollywood-Stars machten Reklame, ein Spot zeigt heldenhafte Zeichentrick-Pflanzen, die sich erfolgreich gegen böse Kapselwürmer zur Wehr setzen.

Mit Bt-Baumwolle werde der Ertrag auf 20 Quintal ansteigen, hieß es. Obwohl konventionelle Bauern höchstens fünf oder sieben Quintal einfahren (ein Quintal entspricht 100 Kilogramm). Mehr Geld für weniger Aufwand, eine verlockende Botschaft. Endlich würde auch die Landbevölkerung am indischen Wirtschaftswunder teilhaben und der aufstrebenden Mittelschicht aus den Großstädten nachfolgen.

Vier mal so teuer

War das alles nur ein Traum? Ausgelöscht wie das Leben von Bauer Prafull? "Die Selbstmorde sind nur die Spitze des Eisbergs", sagt Vijay Jawandhia, einer der bekanntesten Bauernvertreter Indiens. Das ganze System sei in der Krise. "Die Bauern, die noch leben, leben nur, weil sie nicht sterben. Wir müssen den Bauern helfen, bevor sie Selbstmord begehen."

Denn entgegen aller Versprechungen sind zwar die Kosten für den Baumwollanbau rasant gestiegen, aber die Erträge blieben fast gleich. Das Gen-Saatgut kostet fast vier Mal soviel wie herkömmliche Saaten. Außerdem kann man die Samen nach der Ernte nicht wieder aussäen. "So müssen die Bauern jedes Jahr neues Saatgut kaufen. Inzwischen ist zu 90 Prozent Bt-Baumwolle auf dem Markt", erklärt Jawandhia. Die Natur ist schlauer als der Mensch, denn längst hat der Kapselwurm sich an das Bt-Gen angepasst und befällt wieder die Pflanzen. So sind immer wieder neue Gen-Produkte nötig. Monsantos Marke "Bollgard" wurde von "Bollgard II" abgelöst. "Bollgard III" folgt bald.

Foto: Jörg Böthling
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Der "Kapselwurm", die Raupe eines Baumwollschädlings (oben); Werbung für Monsantos Pestizid "Roundup".

Foto: Jörg Böthling
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Noch immer spritzen die Bauern literweise Pestizide auf ihre Felder. Dadurch laugen die Böden aus und verlangen immer wieder neue chemische Hilfsmittel. Von den Gefahren, die für spielende Kinder von den hochgiftigen Präparaten ausgehen, reden die Leute nicht. Viele können die Gebrauchsanweisung gar nicht lesen.

"Die Landwirtschaft ist sehr viel risikoreicher geworden", sagt Jawandhia. Auch das Klima spielt oft nicht mehr mit; der Monsunregen bleibt viel zu lange aus. Zur Erntezeit im Oktober und November kamen erfolgreiche Bauern früher auf bis zu sieben Pflückgänge. "Dieses Jahr sind es nur drei", sagt eine Bäuerin auf ihrem Feld.

Jeder Selbstmord wird gezählt

Wer sein Feld auf Kredit bestellt hat, leidet besonders unter der Krise. 80.000 Rupien Schulden hatte Prafull Wankhede am Ende angehäuft. Unerbittlich forderten vor allem die privaten Geldverleiher ihre Darlehen samt Zins und Zinseszins von ihm zurück. Unter diesem Druck zerbrechen viele. Wie viele Suizide es genau sind, weiß Kishor Tiwari aus der Stadt Nagpur. Er war neben dem Journalisten P. Sainath einer der ersten, der überhaupt auf das Problem der Bauernselbstmorde aufmerksam machte.

Akribisch führt er darüber Buch und gibt den toten Bauern und ihren Hinterbliebenen eine Stimme. Ein großes Stoff-Transparent zeigt seine Heimatregion Vidarbha. Das Baumwollgebiet ist über und über mit Totenköpfen markiert. Dazu Datum und Opferzahlen. Für 2008 sind 1680 Tote eingetragen. Von 2004 bis Ende 2009 hat Tiwari 7160 Suizide notiert. Seitdem ist von der "Saat des Selbstmordes" die Rede. Monsanto und die Gentechnik trieben die Bauern in die Schuldenfalle und dann in den Tod, heißt es. Aber was sagt der Konzern selber dazu?

Foto: Jörg Böthling
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Baumwolltransport.

Schon die erste Anfrage beantwortet die Pressestelle mit einer klaren Aussage: Ja, dieses Jahr sei sehr schlecht gewesen für Indiens Bauern. Aber wenn die Farmer nicht die Monsanto-Saat verwendet hätten, dann wäre alles noch viel schlimmer gekommen.

Tatsächlich ergibt sich ein Gesprächstermin. Denn man will über das soziale Engagement reden, mit dem der Konzern sich für die leidenden indischen Bauern einsetzen will. Dazu wartet Pressesprecherin Michelle d'Souza in der Niederlassung in Mumbai. Wer den Weg in den fünften Stock des unscheinbaren Bürokomplexes nicht kennt, wird den Konzern unter all den Versicherungen, Immobilien- und Investment-Büros nicht finden. In der langen Reihe mit Firmenschildern fehlt der Name Monsanto.

Konzern verweist auf glückliche Bauern

Gerne und ausführlich erklärt sie, dass man mit dem Projekt "Share" indische Kleinbauern in über tausend Dörfern unterstützen wolle, etwa durch Fortbildungskurse und Trainingsprogramme zum Umgang mit den neuen Technologien. Vom Projekt "Sunshine" sollen Maisbauern im nördlichen Staat Gujarat profitieren. Und ein weiteres Programm will Kinderarbeit bei der Ernte eindämmen. Fünf Millionen bedürftigen Farmern wolle man in Indien helfen, teilt der Konzern mit.

Santanu Dasgupta kommt hinzu. Er ist Wissenschaftler und trägt einen weißen Forscherkittel mit dem "Bollgard II"-Emblem. Dasgupta sagt, das große Fernziel sei eine Pflanze, die alles in sich vereine: sowohl den Schutz vor Schädlingen als auch die Widerstandsfähigkeit gegen Trockenheit und Dürre.

Pressesprecherin d'Souza schildert, wie Baumwollbauern von ihrem Glück berichteten, welches sie mit der Bt-Saat gefunden hätten, "wenn sie ihre Kinder auf die Schule schicken können, oder wenn sie sich einen Traktor kaufen können". Ähnliche Beispiele finden sich auch auf der Internetseite des Konzerns.

Foto: Jörg Böthling
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Fertig für den Export: Baumwollballen.

Foto: Jörg Böthling
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Die Eltern der Brüder Wankhede vor ihrem Haus.

Vijay Jawandhia sagt: "Für jede dieser Erfolgsgeschichten gibt es hundert andere, die von Misserfolg handeln." Und Kishor Tiwari wird wütend: Der Konzern bezahle alle, nur um in der Öffentlichkeit gut dazustehen. "Sie haben ihre eigenen Wissenschaftler, Politiker, Journalisten und NGOs", sagt Tiwari.

Bei so viel geballter Finanz- und Marketingkraft stehen Aktivisten wie Jawandhia und Tiwari schnell als verschrobene Einzelkämpfer da. Jawandhia, der wackere Bauernführer, und Tiwari, der Mann, der die Selbstmorde zählt. Aber noch wollen beide nicht aufgeben. Jawandhia fordert vor allem ein Ende des Pestizid-Wahns. Biologische Alternativen seien in Indien lange bekannt. Der einheimische Niembaum liefert Blätter, die zusammen mit Tabakblättern und Chilischoten gegen Schädlinge wirken. Damit die Biomittel erschwinglich sind, müssten die staatlichen Subventionen für Chemikalien fallen. "Lasst die Bauern selbst entscheiden", sagt Jawandhia. "Wenn die chemischen Mittel verschwinden, dann wird auch die Gentechnik wieder verschwinden."

Den Konzern verklagen

Kishor Tiwari sagte vor kurzem auf einer Kundgebung in Nagpur, dass "Monsanto mit seiner Killersaat" aus Indien verschwinden solle. Wenn die Regierung nichts unternimmt, hat Tiwari vor, den Konzern sogar zu verklagen.

212 Selbstmorde hat er bis Anfang Mai 2010 schon wieder registriert. Alles Fälle wie der von Prafull Wankhede. Als dessen Bruder seinen Bericht beendet hat, sitzt er noch eine Weile still auf dem Sofa. Mit beiden Händen umfasst er das Bild seines Bruders. Tränen laufen ihm über die Wangen. Hinter ihm türmt sich ein kleiner weißer Berg auf. Eine Notration Baumwolle.

Als ob die schlechten Zeiten erst noch kommen würden.

Text: Christian Selbherr / Fotos: Jörg Böthling

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