Nur ausleihen!

Erste Biographie Hans Scholls
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Ellermeiers Buch bietet viele Informationen, weist aber leider auch viele Mängel auf.

Die Geschwister Scholl gehören zu den bekannten Widerstandskämpfern der Nazizeit. Nach ihnen wurden Schulen, Straßen und Plätze benannt, im Unterschied zu ihrem schwäbischen Landsmann Georg Elser. Doch eine Biographie Hans Scholls hat es bisher nicht gegeben. Dass sich die Historikerin Barbara Ellermeier daran versucht hat, ist löblich.

Sie liefert keine Heiligengeschichte, sondern schildert einen Menschen mit seinen Licht- und Schattenseiten: 1933 in die Hitlerjugend eingetreten und dort zum Fähnleinführer aufgestiegen, bleibt Hans Scholl dem NS-Studentenbund fern, als er 1939 in München das Medizinstudium aufnimmt. Intelligent, gutaussehend, charmant und distanziert, gesellig und einsam, ist Scholl ein charismatischer (An-) Führer - und ein Suchender.

1940 in Frankreich stationiert, kauft er Bücher einiger katholischer Schriftsteller. Unter ihnen ist Paul Claudel, dessen Werk ihn bis zu seiner Ermordung 1943 begleitet. Mindestens genauso wichtig für die religiöse Entwicklung des Protestanten wird die Begegnung mit dem katholischen Intellektuellen Carl Muth in München. Weihnachten 1941 schreibt der 23-Jährige dem 74-Jährigen: "Mir ist in diesem Jahre Christus neu geboren."

Fehlende Klarheit

Ellermeiers Buch bietet viele Informationen, weist aber leider auch viele Mängel auf. So fehlt ein Vorwort. Das hätte der Leserführung gedient - und die Verfasserin gezwungen, ihre Gedanken und Ausführungen zu ordnen. Zur Klarheit hätte auch beigetragen, hätte Ellermeier Hans Scholls Leben chronologisch erzählt. Stattdessen beginnt sie 1937, als der 19-Jährige im Gefängnis sitzt, angeklagt wegen "Fortsetzung der bündischen Jugend". Nun könnte man diesen abrupten Einstieg damit rechtfertigen, dass die Inhaftierung ein wichtiger Einschnitt in Hans' Leben ist. Sie verändert, verbessert die Beziehung zum regimekritischen Vater. Und im Gefängnis habe sich Hans Scholl "entschlossen Medizin zu studieren", schreibt Ellermeier. "Das Leid dort hat ihn angerührt" (Seite 17). Doch auf Seite 310 schreibt sie: "Als Hans Scholl sich für das Medizinstudium entschieden hat, versprach er sich davon eine kürzere Militärzeit."

Welche Quellen Ellermeier benutzt, bleibt oft unklar. So heißt es auf Seite 338: Dass Hans Scholl der führende Kopf der Münchner Widerstandsgruppe war, "wird Josef Furtmeier später bestätigen". Aber wann genau und wie und gegenüber wem ist die Bestätigung erfolgt, mündlich oder schriftlich, gegenüber einem Historiker oder einem Freund? Und dann die Sprache der Verfasserin: Da "sinken Dänemark und Norwegen zusammen wie vom Äther betäubt". Dabei ist die Sache ganz einfach: Beide Länder müssen 1940 kapitulieren. Und ungelenk schreibt Ellermeier statt Münchner Juden "die jüdische Bevölkerung von München".

Bei Hoffmann und Campe, eigentlich ein renommierter Verlag, scheint niemand bemerkt zu haben, dass Ellermeier zu Wiederholungen neigt. Auf Seite 50 schreibt sie, Hans Scholl wolle an die Front, um dort "Läuterung" zu suchen. Zitiert wird, was er "auf ein loses Blatt" gekritzelt hat. Und sechs Seiten später taucht das Zitat erneut auf.

Auf Seite 72 zitiert Ellermeier Robert Scholl, Hans' Vater, der schon 1940 sagt: "Ich rechne mit einem sehr langen Krieg." Auf Seite 120 heißt es, es ist 1941: "Der Vater ist neuerdings überzeugt, dass der Krieg doch etwas länger dauert." Warum "neuerdings" und "etwas" länger?

Leider ist Ellermeiers Buch das einzige über Hans Scholl. Wer sich für diesen beeindruckenden jungen Mann interessiert, sollte es in einer Bücherei ausleihen.

Barbara Ellermeier: Hans Scholl. Biographie. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2012, 432 Seiten, Euro 24,99.

Jürgen Wandel

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