Jenseits der Dröhnung

Seit zwanzig Jahren lizensiert der Verein Transfair in Deutschland Produkte aus fairem Handel
Rund 2000 Produkte tragen mittlerweile das Fairtrade-Logo. Foto: TransFair
Rund 2000 Produkte tragen mittlerweile das Fairtrade-Logo. Foto: TransFair
Die "Sandino-Dröhnung" war legendär: Ein viel zu bitterer Kaffee, der Kreislauf und Magen in Wallung brachte, aber als eines der ersten Fairtrade-Podukte das Gewissen beruhigte. Was früher vor allem ein Projekt von linken und kirchlichen Gruppen war, ist nach zwanzig Jahren ein Markt mit zweistelligen Wachstumsraten in Deutschland. Dennoch steckt Fairtrade weiterhin in der Nische, was auch an der Zurückhaltung kirchlicher Einrichtungen liegt.

Auf zur Shoppingtour mit der Familie: Papa braucht eine neue Jeans und Unterwäsche und die Große unbedingt Sneaker in knallrot. Mama drängt auf einen größeren Esszimmertisch, schließlich wird das Baby bald getauft. Bis dahin sollte es seine Koliken loswerden - vielleicht würde eine neue Wärmflasche dabei helfen? Und warme Bettwäsche für sein Bettchen? Der Magen knurrt, ein paar Bananen helfen gegen den Hunger zwischendurch. Fehlt noch was für das Frühstück morgen? Ein großes Glas Nuss-Nougatcreme! Dann noch ein paar Handtücher und ein neuer Volleyball, schließlich geht es bald in den Urlaub an den Strand. Und so, vollbepackt, ist endlich Zeit für die wohlverdiente Pause im Coffee-Shop bei Latte Macchiato, Vanille-Frappuccino und Eis - und einen Blumenstrauß für Zuhause.

Das klingt nach Konsumrausch, könnte aber auch die Welt verbessern. Denn jeder der genannten Artikel ist auch als Fairtrade-Produkt erhältlich. Knapp zweitausend Artikel verzeichnet die Produktdatenbank bei Transfair mittlerweile, und beständig kommen neue hinzu. Die Zeiten, in denen gutes Gewissen allein nach viel zu bitterem Kaffee schmeckte, sind also schon lange vorbei. 1973 kam der erste Kaffee von Kleinbauern aus Guatemala nach Europa. Der war teurer als der konventionelle, doch dafür ging eine feste Prämie aus dem Verkaufserlös an die Bauern. Sie wurden so unabhängiger vom schwankenden Weltmarktpreis und sorgten im Gegenzug für gute Arbeits- und Lebensbedingungen auf ihren Plantagen. Das Konzept des fairen Handels überzeugte nach und nach mehr Konsumenten, auch in Deutschland.

Kritik an Gepa

Vor zwanzig Jahren begann Transfair in Köln mit seiner Arbeit. Der Verein, der von 36 Mitgliedsorganisationen aus Entwicklungshilfe, Kirche, Sozialarbeit, Verbraucherschutz, Bildung, Politik und Umwelt getragen wird, ist in Deutschland für die Vergabe des Fairtrade-Logos zuständig. Die Standards dafür wurden von der Fairtrade Labelling Organizations International (flo) festgelegt.

Die flo-Mitarbeiter überprüfen nach der Beantragung durch den jeweiligen Landwirt vor Ort, ob die ökologischen und sozialen Kriterien eingehalten werden. Diese Zertifizierung ist dann Grundlage für die Entscheidung, ob ein Produkt in den Konsumenten-Ländern mit dem Logo für fairen Handel ausgezeichnet und entsprechend vermarktet werden kann.

Der erste Lizenzteilnehmer war das Handelshaus Gepa, ebenfalls getragen von den beiden großen Kirchen in Deutschland. Das belieferte zunächst vor allem die Weltläden, die gerne auch in kirchlichen Gebäuden eingerichtet wurden. Mittlerweile sind Fairtrade-Produkte aber auch fester Bestandteil in den Regalen der Supermärkte und Discounter. Das bringt Transfair immer wieder auch Kritik ein, denn oft stehen die hiesigen Discounter selbst im Ruf, ihre Mitarbeiter nicht fair zu bezahlen. Zudem tauchen nun neben dem traditionellen Gepa-Sortiment Transfair-Eigenmarken der Discounter auf, wie zum Beispiel Lidls "Fairglobe". Damit will aber die Gepa nicht über einen Kamm geschoren werden und hat jüngst beschlossen, bei den meisten seiner Produkte auf das Fairtrade-Logo zu verzichten und stattdessen das selbstentwickelte "Fair-Plus"-Emblem zu verwenden. So will die Gepa die eigene Marke stärken und die eigenen Qualitätsstandards betonen, die über den fairen Handel hinausweisen. Ein Schritt, der von vielen Experten kritisch gesehen wird, da sie eine Verwirrung der Verbraucher befürchten.

Wachstum durch Supermärkte

Doch bei allen Problemen, die die Ausweitung der Fairtrade-Produkte in die Supermärkte und Discounter mit sich bringen mag - sie hat auch für ein erstaunliches Wachstum gesorgt. Zwei Drittel des Umsatzes wird mittlerweile dort erzielt, und im vergangenen Jahr haben gerade die Eigenmarken der Handelsketten erneut für ein zweistelliges Umsatzplus im fairen Handel gesorgt. 400 Millionen Euro gaben die Deutschen 2011 für Fairtrade aus, 18 Prozent mehr als im Vorjahr. Und für das Jubiläumsjahr ist die Marke von einer halben Milliarde Euro Umsatz angepeilt, was ein weiteres Wachstum von 25 Prozent bedeuten würde.

Diese Wachstumraten halten schon seit mehreren Jahren an, weiß Transfair-Geschäftsführer Dieter Overath. "Fairtrade wächst bereits im achten Jahr in Folge im zweistelligen Bereich. Seit 2002 ist der Gesamtumsatz um das Achtfache gestiegen." Selbst die größte Weltwirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte und sämtliche Turbulenzen rund um den Euro konnten dem stabilen Aufwärtstrend nichts anhaben.

Eine mögliche Ursache ist wohl die Treue der Kunden zum Konzept des fairen Handels: Wer sich entschieden hat, fair einzukaufen, bleibt grundsätzlich dabei - in diesem Punkt geht es Fairtrade also ähnlich wie der Biobranche. Beiden hilft sicher auch, dass ihre Kunden nicht eben zu den Ärmsten zählen. Zwar gibt es in allen sozialen Schichten Kunden, die zu Fairtrade-Produkten greifen. Marktforschungen des "Forums fairer Handel" haben aber gezeigt, dass obere Einkommensklassen überproportional vertreten sind. Und wer zum Beispiel als Lehrer, Pfarrer oder höherer Angestellter des öffentlichen Dienstes über 2500 Euro im Monat verdient, hat durch die Krise keine Einkommenseinbußen erlitten. Außerdem wächst der so genannte Außer-Haus-Bereich kontinuierlich. Nicht nur die Coffee-Shop-Kette Starbucks hat mittlerweile auf fairen Kaffee umgestellt. Auch mehrere Bäckereiketten verkaufen zum süßen Teilchen Kaffee mit dem Fairtrade-Logo.

Trotz aller positiven Trends wird Transfair zumindest in Deutschland allerdings noch lange ein Nischenmarkt bleiben. Denn der Anteil am Gesamtmarkt liegt bei knapp 2 Prozent. Das zeigt auch der internationale Vergleich beim Pro-Kopf-Verbrauch. Jeder Brite gab 2010 im Schnitt pro Jahr zwölf Euro für faire Produkte aus, jeder Schweizer sogar rund 20 Euro. Die Deutschen kamen hingegen im vergangenen Jahr gerade mal auf einen Durchschnittswert von fünf Euro - wohlgemerkt im ganzen Jahr. Dieser Geiz ist allerdings nicht nur auf den fairen Handel begrenzt. Vielmehr ist der deutsche Lebenmittelmarkt insgesamt auf billige Preise ausgelegt. Während in der Schweiz und Großbritannien wenige große Handelsketten den Markt dominieren, ist der deutsche Markt stark zergliedert, Discounter spielen eine bedeutende Rolle, der Preis wird zum entscheidenden Kaufargument. Die Folge: Lebensmittel sind generell billig. In so einem Umfeld fallen dann die höheren Preise für Fairtrade-Produkte viel stärker auf als in anderen Ländern.

Heime knausern

Mit diesem Problem haben allerdings nicht nur diejenigen zu kämpfen, die fair gehandelte Produkte im Supermarkt an den Kunden bringen wollen. Auch Margarita Sigle, die seit sechs Jahren bei Brot für die Welt die Aktion "Fairer Kaffee in die Kirchen" betreut, hat in dieser Zeit immer wieder gehört, dass faire Produkte zu teuer seien. So wiesen unter anderem die Verantwortlichen in vielen Pflege- und Altenheimen der Diakonie darauf hin, dass die Pflegesätze enge Grenzen setzten. 4,80 Euro stehen dort pro Person pro Tag für die Verpflegung zu Verfügung. Aber Sigle weiß auch - wie sich am Beispiel der Stadtverwaltung Neuss gezeigt hat -, dass die Umstellung auf Fairtrade-Kaffee die Kosten pro Tasse wegen der höheren Ergiebigkeit um gerade mal drei Cent erhöht.

Der höhere Preis für faire Produkte ist jedoch nur ein Teil des Problems. "Die Verantwortlichen für die Beschaffungen in diesen Einrichtungen gehen oft ihre gewohnten Pfade", sagt Sigle. Häufig würden sie ihren Lebensmittelbedarf von einem einzigen Lieferanten decken lassen, der nicht immer faire Produkte im Programm hat. Hier zusätzliche Lieferanten mit ins Boot zu holen bedeute Mehraufwand, den viele Einrichtungen scheuen. Und so kam dann auch eine Studie, die das Südwind-Institut im Auftrage von Brot für die Welt und Evangelischem Entwicklungsdienst im vergangenen Herbst veröffentlicht hat, zu dem Schluss: Trotz vieler anderslautender Beschlüsse und Bekenntnisse zu gerechteren Handelsformen - ist die "ökofaire Beschaffung auch in Einrichtungen der deutschen Landeskirchen inklusive diakonischer Einrichtungen und Kirchengemeinden noch immer ein Randthema".

Kaum 10 Prozent der jährlichen Beschaffungssumme in Kirchen und Diakonie werden für Bio-Produkte oder solche aus dem fairen Handel ausgegeben. Dabei gibt es ja Gegenbeispiele und Strukturen, an denen angedockt werden kann. So hat - um beim Kaffee zu bleiben - die Wirtschaftsgesellschaft der Kirchen in Deutschland mit der Gepa einen Rahmenvertrag abgeschlossen, über den kirchliche Einrichtungen in den Genuss eines Rabattes kommen. Und auch über andere Einkaufsplattformen - wie zum Beispiel der ABG im süddeutschen Raum - ist Gepa-Kaffee seit Jahren erhältlich. Sigle kann kurz vor dem Abschluss der Kampagne, die im Herbst ausläuft, durchaus auf Erfolge verweisen: So schenken inzwischen 85 Prozent aller landeskirchlichen und diakonischen Verwaltungen, alle evangelischen Akademien und etliche evangelische Tagungshäuser, die Hotels des Verbandes Christlicher Hoteliers sowie rund vierhundert Einrichtungen der Diakonie jährlich etwa neunzig Tonnen Fairtrade-zertifizierten Kaffee aus. Hinzu kommen noch über zweitausend Kirchengemeinden, die bei ihren Veranstaltungen nur noch fair gehandelten Kaffee anbieten.

Ungenutzte Macht

Aber es geht ja nicht nur um Kaffee, sondern um die ungenutzte Macht der kirchlichen Einrichtungen als Verbraucher. So geben allein die stationären Einrichtungen der Diakonie Jahr für Jahr über 760 Millionen Euro für Lebensmittel aus, insgesamt dürfte das Beschaffungsvolumen bei mehreren Milliarden Euro liegen. Doch viele Mitarbeiter wissen zu wenig, um ihre Macht zu nutzen. So heißt es in der Südwind-Studie mit Blick auf die achttausend kirchlichen Kindertagesstätten, dass es "kaum eine Sensibilisierung für Fragen der ökofairen Beschaffung" gebe. Dabei böte sich hier zum Beispiel durch die Beschaffung von Spielzeug aus fairem Handel ein Aufhänger an, das Thema und die Produkte in die Kitas zu bringen. Auch Küster und Hausmeister müssten sensibilisiert und geschult werden, was zum Beispiel über die Kirchenkreis-Ebene organisiert werden könnte.

Bereits jetzt widmen sich die kirchlichen Akademien dem Thema. So treffen sich am 3. Juli in Bad Boll Mitarbeiter aus kirchlichen Großküchen, um darüber zu diskutieren, wie sie den Anteil an fair gehandelten Produkten in ihrer Einrichtung erhöhen können.

siehe auch Kommentar "Gepa und Transfair" (nur für Abonnenten)

Stephan Kosch

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