Universelles Gebet

Kožená und Rattle
Bild
Die außergewöhnlich klare und dabei mit einem faszinierenden dunklen Timbre beschenkte Stimme der gebürtigen Tschechin wird zum integralen Bestandteil des Klangkörpers.

Hätte, könnte, wäre - es hilft alles nichts, manche Fehler sind einfach nicht wieder gutzumachen. Wenn sich die fatale Gewissheit ausbreitet, etwas verpasst zu haben, das man eigentlich nicht verpassen durfte, bleiben nur Traurigkeit, Ärger und vielleicht auch ein bisschen Selbstanklage.

In diese Kategorie gehören wohl die Konzerte, die die Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle zu Beginn des Jahres mit der Mezzosopranistin Magdalena Kožená gaben. Für alle, die wie der Schreiber dieser Zeilen nicht dabei waren, hat die Deutsche Grammophon nun wenigstens einen kleinen Trost parat: Der Live-Mitschnitt mit dem Titel Love And Longing dokumentiert zumindest den größten Teil des Konzertprogramms.

Die Musikgeschichte spart ja nicht an Beispielen, in denen Musiker-Ehen für eine Seite ein Krampf oder ein Trauerspiel waren. Dass es auch anders geht, zeigt die geradezu symbiotische Verbindung von Simon Rattle und Magdalena Kožená, hörbar auf dieser 60-Minuten-CD. Die außergewöhnlich klare und dabei mit einem faszinierenden dunklen Timbre beschenkte Stimme der gebürtigen Tschechin wird zum integralen Bestandteil des Klangkörpers - man unterscheidet nicht mehr zwischen Solisten und Begleitung, vielmehr wird alles eine Musik.

Beginnend mit den 1894 von Antonín Dvorák komponierten Biblischen Liedern, Psalmvertonungen in tschechischer Sprache, breitet sich der Klang wie ein betörender Duft aus. Das flehentliche "Gott, erhöre mein Gebet" könnte man wohl kaum schöner interpretieren. Vielleicht ist es gerade gut, dass man die Worte nicht versteht; so wird die Musik selbst ein universelles Gebet. Den passenden Gegenpart bilden Gustav Mahlers Rückert-Lieder zum Abschluss, die, acht Jahre nach Dvoráks Werk entstanden, als weltlichere Variation daherkommen und ein noch ausgeprägteres Wechselspiel von Licht und Schatten bieten.

Zentrales Stück der CD ist jedoch Maurice Ravels Shéhérazade. Der zurückhaltende deklamatorische Stil ist das perfekte Bindeglied für die beiden spätromantischen Werke. Und wenn sich Magdalena Kožená in den impressionistischen orientalischen Bildern versenkt, die Rattle und sein Orchester so ungemein lebendig malen, ist der Titel der Scheibe doch nicht so verkehrt: Viel mehr als in den Texten noch spiegeln sich Liebe und Sehnsucht in dieser wunderbaren Musik.

Magdalena Kožená und die Berliner Philharmoniker: Love And Longing. Deutsche Grammophon 00289 479 0065.

Ralf Neite

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kultur"