Gott in Beziehung

Theologische Erkenntnis
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Die Lektüre des Buchs bringt in heute bedrängenden Fragen Gewinn an theologischer Erkenntnis. Zugleich ist sie ein kultureller Genuss.

Dieses neue Buch des Tübinger Systematikers und Religionsphilosophen gibt wichtige Hinweise bezüglich der sich derzeit verändernden Situation der Theologie. Vorbei ist jetzt die Zeit der jahrzehntelangen Isolierung der evangelischen Theologie unter den Wissenschaften. Schwöbel zeigt, dass eine den dreieinigen Gott - den "Gott in Beziehung" - wirklich radikal bedenkende Theologie auch die Begründungsfragen von Philosophie und Kulturwissenschaften tangiert und somit gemeinsame Fragen bearbeitet.

So wird die Hoffnung in den Raum gestellt, die evangelische Theologie werde sich in "kommunikativen Beziehungen" zu anderen Wissenschaften weiterentwickeln und gleichzeitig ihre trinitarische Identität wahren. Dafür gibt dieses - aktuelle englische und amerikanische Diskussionen mit einbeziehende - Buch Beispiele aus mehreren Themenkreisen.

Begonnen wird mit Samuel Phillips Huntingtons Behauptung, dass die von der Geschichte her religionsgeprägten Zivilisationen und Kulturen der heutigen Erde theologisch verbrämte Kriege miteinander führen müssen. Dieser Behauptung steht noch Jan Assmanns These zur Seite, alle monotheistischen Religionen seien per se nicht friedensfähig. Schwöbel weist diese Ansichten, die ja auch das Christentum betreffen, zurück: Dieses werde durch seine Trinitätslehre, die Gott streng als Liebe aussage, immer wieder aus solchen Verirrungen zurückgerufen. Schwöbel wagt sogar die Zuspitzung: "Nur eine radikal monotheistische Theologie kann eine wahrhaft trinitarische Theologie sein, und nur eine wahrhaft trinitarische Theologie kann eine radikal monotheistische Theologie sein."

Ein nächster größerer Themenkreis untersucht die Beziehung des Christentums zur Toleranz und zum Pluralismus. Muss jede dogmatisch selbstbewusste Religion notgedrungen intolerant sein? Das Christentum, so Schwöbels Ergebnis, dürfe dies von seinem dogmatischen Innersten her gar nicht sein. Es müsse sich immer wieder selbst bezwingen, zur Toleranz hin. Was den gegenwärtigen innergesellschaftlichen Pluralismus auf der sich globalisierenden Erde anbetrifft, so wirft dieser die Frage auf: Ist menschliche Gemeinschaft bei zutiefst unterschiedlichen geistig-religiösen Lebensorientierungen überhaupt möglich? Für das Christentum, sagt Schwöbel, sei diese Frage durch das trinitarische Vorbild der "Einheit als Gemeinschaft in Vielfalt" gelöst.

Identität erfordert Gespräche

Dieser sich auch für die innerchristliche Ökumene anbietende Ansatz ist aber kein formelhaftes Denkmodell, das vom Schreibtisch aus an die Front geschickt wird, sondern ist an ein von Schwöbel weiter vorangetriebenes Grundverständnis von menschlicher Sprache gebunden. Es hat ja jüngst schon so viele Vorschläge für Verständigungen durch Miteinander-Sprechen gegeben - etwa den des Philosophen Jürgen Habermas ("herrschaftsfreier Dialog"). Aber was ist "Dialog"? Was ist "Diskussion"? Was ist "Gespräch"? Zumal dann, wenn Gespräch auch Gottesprädikat ist? Oder wenn in der Gottesbeziehung auch das Menschsein zum Gespräch wird?

Gespräch als Praxis und als Erfahrung ist bei Schwöbel der umfassende Horizont, innerhalb dessen die je eigene Freiheit und Identität in Beziehung zur "Selbstverwirklichung der Freiheit des Anderen" gerät. Ist dies aber so, dann muss auch Identität neu begriffen werden: "nicht als etwas schlechthin Gegebenes, sondern als in der Beziehung zum Anderen zu gestaltendes Gegebenes". Das Gewinnen von Identität erfordert durch Gespräche eröffnete "Spielräume". Außerdem mutet es uns "Freiheitsgebrauch" zu.

Damit sind auch die weiteren Themenkreise des Buches angezeigt: richtiges Freiheitsverständnis/richtiger Freiheitsgebrauch und persönliche Wahrheitsgewissheit angesichts der persönlichen Wahrheitsgewissheit anderer. Immer geht es darum, was Verantwortung in unterschiedlichen Beziehungen für die eigene Identität bedeutet. Letztlich wird hier versucht, die Bedeutung des Ersten Gebotes für eine postmoderne Gesellschaft neu zu entfalten. Denn letztere scheint von einer "Wiederkehr der Götzen" geprägt zu sein. Dass Schwöbels Vorstöße auch mit einer Referenz an Friedrich Hölderlins "seit ein Gespräch wir sind" verbunden worden sind, sei am Rande vermerkt. Die Lektüre des Buchs bringt in heute bedrängenden Fragen Gewinn an theologischer Erkenntnis. Zugleich ist sie ein kultureller Genuss.

Christoph Schwöbel: Gott im Gespräch. Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2011, 498 Seiten, Euro 39,-.

Christof Gestrich

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