Eigenwillige Reformatorin

Elisabeth von Sachsen kämpfte mit Diplomatie und Lebenslust für die Sache der Evangelischen
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Elisabeth von Sachsen ist eine der herausragenden fürstlichen Persönlichkeiten der Reformationszeit. Als Frau musste sie sich gegen mancherlei Widerstände behaupten - und die wuchsen noch, als sie vor 475 Jahren ihre eigene Reformation in Szene setzte. Christopf Münchow, Oberlandeskirchenrat i.R., erinnert an sie.

Im Dezember 1537 schreibt Herzogin Elisabeth von Sachsen von ihrem Witwensitz Rochlitz an den Rat der Städte ihres Herrschaftsgebietes. Zur Behebung der Missstände ordnet sie an, dass diejenigen Priester heiraten, die mit "verdächtigen Weibspersonen Unzucht treiben und Kinder zeugen" und sich dessen nicht enthalten wollen. Zur Ehe will sie nicht drängen. Und ihr liegt zudem daran, dass die Gläubigen das Abendmahl "in beider Gestalt" empfangen, also Brot und Wein, "weil es Gott selbst eingesetzt und also verordnet hat". Künftig soll der Kelch nicht länger dem Pries-ter vorbehalten bleiben und die Gemeinde nicht wie beim Abendmahl "in einer Gestalt" allein die Hostie empfangen. Sie legt fest, dass kranken Personen, die "in ihrem Gewissen das Sakrament in einer Gestalt zu empfangen Beschwerung hätten", das Abendmahl in einer Gestalt gereicht werden soll. Gesunde sollen darlegen, was sie verhindert, in einer Gestalt das Abendmahl zu empfangen, oder was sie beschwert, das Abendmahl unter beiden Gestalten zu empfangen. Wie es die Laien andächtig empfangen wollen, soll es ihnen gegeben werden. Priester, die ohne Darlegung ihres Grundes das Sakrament in beider Gestalt nicht reichen wollen, sollen künftig nicht mehr geduldet sein. Die Herzogin möchte niemanden in ihrem Herrschaftsgebiet gegen sein Gewissen zum Glauben oder davon weg drängen: "Jedermann soll in seinem Gewissen ungehindert frei stehen." Sie geht behutsamer vor als knapp zwei Jahre später ihr Onkel, Herzog Heinrich der Fromme von Sachsen. Der führte die Reformation nun auch im albertinischen Teil Sachsens mit dem Zwang zur lutherischen Lehre und dem rigorosen Verbot unevangelischer Zeremonien ein, nachdem Herzog Georg der Bärtige gestorben war, der Reformen wünschte, aber die Reformation Luthers von Dresden aus vehement bekämpfte. Mit Augenmaß reformiert Herzogin Elisabeth das ihr als Witwe zustehende Territorium Rochlitz im Umkreis der Zwickauer Mulde in Mittelsachsen. Fast zwanzig Jahre hatte sie zuvor als Gemahlin des Thronfolgers Herzog Johann am streng altgläubigen Dresdner Hof gelebt. Sie wurde am 4. März 1502 in Marburg geboren. Elisabeth ist drei Jahre alt, als ihr Vater, Landgraf Wilhelm II. von Hessen, mit Herzog Georg von Sachsen die Ehe mit dem fünf Jahre älteren Herzog Johann verabredete. Dabei wird Rochlitz als Witwensitz bestimmt. Die Heirat wird formell 1515 in Hessen vollzogen, das Beilager ein Jahr später. Erst 1517 kommt sie nach Dresden. Es zieht sie immer wieder nach Hessen, zumal der Vater auf dem Totenbett der siebenjährigen Tochter und dem zwei Jahre jüngeren Bruder ans Herz gelegt hatte, für einander einzustehen. Die Zeit in Dresden ist für sie bedrückend. In der Obhut ihrer verwitweten Mutter, Landgräfin Anna, war sie freiheitlich aufgewachsen. Doch sie hatte auch erlebt, wie die Mutter um eine angemessene finanzielle Ausstattung und um die testamentarisch bestimmte Regentschaft kämpfen musste, da die hessischen Räte meinten, man würde eher im Blut bis an die Sporen waten, ehe man sich einer Frau unterwerfe. Am Dresdner Hof herrscht ein strenges Klima. Die Hofmeisterinnen, die ihr beigegeben werden, verzweifeln an ihrer Spontaneität und Quirligkeit. Eine berichtet, dass Elisabeth fluchen könne, als habe sie drei Heere zu befehlen. Und wenn sie wegen ihrer Redensarten ermahnt wird, kontert sie, es seien hessische Sprichwörter. Die Ehe bleibt kinderlos. Das ist für Elisabeth katastrophal. Sie wird auch verspottet. Häufig ist sie krank, weint oft und leidet an Schlaflosigkeit. Dennoch bewahrt sie sich ihre Lebenslust. Der junge Herzog lässt sich in den Wirren am Hof nicht gegen sie instrumentalisieren. Als der Vorwurf des Ehebruchs sich zu einem Politikum ausweitete, in das ihr Bruder, Landgraf Philipp, und weitere Fürstenhäuser zur Ehrenrettung einbezogen sind, schenkt auch er den Vorwürfen keinen Glauben. In Dresden beginnt ihr umfangreicher Briefwechsel. Die meisten der erhaltenen Briefe richten sich an ihren Bruder und an den Cousin Johann Friedrich, nach 1532 sächsischer Kurfürst - teils offen, teils geheim und mit dem Zusatz versehen, den Brief zu zerreißen oder zu verbrennen. Dem ungestümen Bruder schüttet sie ihr Herz aus, mahnt, rät ihm zu Besonnenheit. Sie will die evangelische Sache voranbringen, den Frieden erhalten und Schaden von den Evangelischen abwenden, auch später in den Briefen an ihren Neffen, Herzog Moritz, zuletzt Kurfürst. Mit ihm verbindet sie seit dessen Aufenthalt in Dresden in jungen Jahren ein Vertrauensverhältnis. Briefe, der offene Disput, manchmal geheime Nachtgespräche, also letztlich das Wort und ihre Überzeugungskraft sind ihre Möglichkeiten, die sie offensiv nutzt. Angesichts vieler Konflikte zwischen den beiden sächsischen Herrscherhäusern und im Kontakt mit Hessen und Mecklenburg liegen ihr der Zusammenhalt der evangelischen Fürstenhäuser und die Entschärfung von Konflikten am Herzen. Sie fädelt die Heirat Ihres Bruders mit Christine, der Tochter Georgs, ein. Sie vermittelt später neben anderen auch die Hochzeit zwischen Moritz und Agnes, der Tochter ihres Bruders. Zu harschen Auseinandersetzungen kommt es, weil sie am Dresdner Hof aus ihrer evangelischen Gesinnung keinen Hehl macht. Ab 1526, vielleicht schon früher, äußert sie sich zu jedermann zustimmend über die "Martinischen". Das weckt den Zorn des Schwiegervaters, der Schwiegermutter und der herzoglichen Räte. Sie fürchten, sie könne den jungen Herzog auf ihre Seite ziehen. Sie liest Schriften Luthers, singt lutherische Lieder. Sie hält es für ausreichend, einmal in der Woche die Frühmesse zu hören: "Es ist besser, ich schlaf bei meinem Herrn im Bette, als dass ich in der Kirche schlafe ... Eine Weile bin ich zu fröhlich, dann anderweil sehe ich zu missmutig drein. Ich kann es selten recht machen. Da ich die Nacht nicht schlafen kann, muss ich am Morgen schlafen, ich möchte sonst verrückt werden." Zu ihrer Verteidigung gebraucht sie wie sonst oft den Satz: "Gott wird es wohl gut machen nach seinem göttlichen Willen." Elisabeth wird angekreidet, dass sie nicht zur Kommunion geht, weil sie das Abendmahl unter beiderlei Gestalt will, und nicht beichtet, weil sie es auf evangelische Weise tun möchte. Luther selbst ist sie nie begegnet. Dessen Meinung gefällt ihr "sehr wohl, aber der Missbrauch, der daraus kommt, gefällt mir nicht". Ihr missfällt sein grober Ton: "Ist er doch auch ein Mensch und nicht Gott." Zur Aussöhnung mit dem Schwiegervater kommt es erst nach dem Tod seiner Frau und seiner Tochter Anfang 1535. Es entwickelt sich ein herzliches, fürsorgliches Verhältnis. Doch als ihr Gemahl Anfang 1537 am Schlag stirbt, wendet sich das Blatt. Elisabeth muss, wie schon ihre Mutter, kämpfen, damit sie eine angemessene Ausstattung und ab März 1537 die Herrschaft Rochlitz "mit aller Obrigkeit" und nicht nur als Witwensitz erhält. Sie kümmert sich um eine ordentliche Verwaltung, führt ein genaues Ausgabenbuch. Eine Getränkesteuer soll die Trunksucht mildern - und verbessert ihre Einnahmen, wie auch der extensive Holzeinschlag, über den die Amtleute klagen. Elisabeth versteht sich als Reichsfürstin und kämpft für diesen Status. Bei den reformatorischen Aktivitäten folgt sie ihrem Gewissen und dem Rat ihres Bruders, der aus Kassel einen evangelischen Hofprediger schickt. Der die Reformation vorantreibende Kurfürst Johann Friedrich vermittelt ihr Anton MUSA aus Jena. Er wird Pfarrer in Rochlitz. Später macht sie ihn zum Superintendenten. In den Städten, in denen Herzog Georg frühe evangelische Bewegungen unterdrückt hatte, sorgt sie auf deren Wunsch für evangelische Geistliche. Und die von Georg vertriebenen Evangelischen können zurückkehren. Klöster lässt sie unangetastet. Bei den Pfarreien, die dem Meißner Domkapitel oder dem Merseburger Bischof direkt unterstehen, agiert sie diplomatisch. Drohung mit der Reichsacht Georg ist wütend. Er droht ihr das Wittum zu entziehen. Er ruft das Reichskammergericht an, die Reichsacht über Elisabeth zu verhängen, da sie zu einer Religionsveränderung nicht berechtigt sei. Doch Georg stirbt am 17. April 1539. In ganz Sachsen kann nun die Reformation Fuß fassen. Elisabeth behauptet ihre Selbständigkeit und verwehrt den eilig eingesetzten Visitatoren den Zutritt zu ihrem Gebiet. Von Rochlitz aus unterstützt sie die Ausbreitung und Konsolidierung der Reformation. Sie wird bei innerprotestantischen Konflikten um Vermittlung gebeten. Sie bemüht sich um Befriedung, wie schon 1534, als sie zum Frieden von Kadan beiträgt, der nach dem Sieg ihres Bruders Philipp über König Ferdinand die Restitution Herzog Ulrichs von Württemberg in sein Territorium und den Beginn der Reformation in Württemberg ermöglicht. Die Doppelehe ihres Bruders - Philipp der Gutmütige - macht Elisabeth krank, auch wenn Luther ihr zugestimmt hat. Sie tobt, weint, redet ihm ins Gewissen. Es dauert lange bis zur Aussöhnung. 1542 kommt es zwischen Herzog Moritz in Dresden und Kurfürst Friedrich in Torgau zum Konflikt über die Türkensteuer aus dem Wurzener Territorium des Meißner Bischofs. Ein Bruderkrieg steht ins Haus. Elisabeth fleht den Bruder um Vermittlung an. Sie beschwört die Kontrahenten: "Allmächtiger Gott, ist das evangelisch?" Sie will die Not der Bevölkerung verhindern. Auch Luther schaltet sich ein. Die Vermittlung Phi-lipps ist erfolgreich. Der Bruderkrieg der sächsischen Heere kann abgewendet werden. Im Schmalkaldischen Krieg - Elisabeth war 1538 dem Bund beigetreten - kommt es zur Katastrophe. Es wird ihr zugestanden, dass ihr Territorium neutral bleibt. Und sie versucht, Moritz vom Paktieren mit dem Kaiser abzuhalten, und warnt vor einem Angriffskrieg gegen die Kaiserlichen. Aus dieser heiklen Zeit bis zur Schlacht bei Mühlberg sind über achtzig ihrer Briefe erhalten. Ende des Jahres 1546 besetzt Markgraf Alkibiades von Brandenburg-Kulmbach mit kaiserlichen Truppen Rochlitz. Anfang März 1547 erobert Kurfürst Johann Friedrich das Schloss und befreit Elisabeth. Ihr wird Verrat vorgeworfen, weshalb ihr Moritz später das Wittum entzieht. Sie flieht, kommt schließlich nach Kassel und muss zurückgehalten werden, persönlich die Freilassung ihres vom Kaiser inhaftierten Bruders zu fordern. Als Äquivalent für 15.000 Gulden, die sie Hessen geliehen hatte, wird ihr der hessische Teil von Schmalkalden zugesprochen, wo sie ab 1548 im Hessenhof wohnt und sich klug um die Bewohner ihrer Herrschaft sorgt. Elisabeth betreibt weiter die Freilassung Philipps. Als er wieder frei ist, sorgt er für seine Schwester, deren Gesundheit sich Jahr um Jahr verschlechtert. Der Bruder sendet ihr Wildbret, Fische, Wein und Quitten. Ihrem Wunsch gemäß kann er einen Papagei auftreiben. Er will einen Arzt nur schicken, wenn sie dessen Anordnungen folgt. Elisabeth entgegnet, das nicht sagen zu können. Ihr Wille und der Drang nach Selbstständigkeit sind ungebrochen. Zuletzt schreibt sie ihrem Bruder vom Vertrauen zu Gott und setzt hinzu: "Fliehe den Krieg, denn er ist von Übel." Elisabeth stirbt am 6. Dezember 1557. Ihr Grabstein in der Elisabethkirche zu Marburg erinnert an eine eigenständige, zielbewusste und dem Willen Gottes vertrauende Fürstin. Ihr gebührt ein besonderer Platz unter den Frauen der Reformationszeit.

Christoph Münchow

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