Forschermut

Wohmann-Biografie
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Diese erfrischend wildgewachsene Biografie ist ein idealer Einstieg für Lesende, die das Werk der Autorin kennenlernen möchten, zugleich eine Ergänzung für die, die sich an ihr nicht sattlesen können. Man spürt: Hingabe, Forschermut und eine einfühlende und nicht nachlassende Geduld haben es entstehen lassen.

Gabriele Wohmann, die im Mai achtzig Jahre alt wird, hat eine Biografie bislang stets verhindert. Und nun? Da liegt sie also vor, die erste Lebensbeschreibung über eine der wichtigsten deutschen Autorinnen, sogar von ihr autorisiert. Ein völliger Sinneswandel? "Ich habe trotzdem nicht alles verraten", hat Wohmann kurz vor Erscheinen gesagt. Es ist der Nicht-Verrat, der das Buch besonders macht. Trotz fehlenden Enthüllungseifers kommt die Publizistin Ilka Scheidgen der Porträtierten nahe. Sie tut erst gar nicht so, als ob sie allein von außen blickte, sie sagt, dass es sich um Freundschaft handle. Dennoch wirkt Wohmann auch wieder fern, obwohl sie mitunter kindlich offen spricht. So spielt die Porträtierte mit schönem Ernst, und man ahnt: Bei ihr und ihrer Literatur handelt es sich um keine Festung, die sich erobern ließe. Folgerichtig nähert sich Scheidgen der Autorin nicht taktisch oder streng nach Plan. Stattdessen inszeniert sie ein zauberhaftes Viel-Stimmen-Stück. Da sind Zitate aus Hörspielen, Filmen, Romanen, Erzählungen, Buchbesprechungen, Briefen, Essays, Preisreden und wissenschaftlichen Arbeiten deutscher, aber auch amerikanischer und französischer Germanisten. Geschickt fügt sie Passagen und Beobachtungen aus vielen persönlichen Gesprächen ein, dazu treten Fotos und Kommentare von Reiner Wohmann, dem Mann von Gabriele Wohmann und Werkkundigen par excellence. Scheidgen lässt die Stimmen nebeneinander klingen, bringt sie manchmal in Reibung. Dann wieder bündelt sie, erklärt zeitgeschichtliche Hintergründe, vereinfacht angenehm. So wird ein fantastisch unentwirrbar ineinandergefügtes Werk und Leben überschaubar in sieben Kapitel unterteilt. Unaustauschbar schön ist auch Scheidgens Urteilskraft, etwa wenn sie das Gesamtwerk aus weniger bekannten Gedichten deutet. Überzeugend arbeitet sie heraus, dass es gerade Wohmanns Hinwendung zum Privaten ist, die ihre überindividuelle und gesellschaftliche Relevanz begründet. Auch die protestantischen Wurzeln und den religiösen Antrieb der Pfarrerstochter hebt die Biografin anders als das Tagesfeuilleton hervor, ohne Wohmann damit gleich zu einer christlichen Autorin zu machen. Diese erfrischend wildgewachsene Biografie ist ein idealer Einstieg für Lesende, die das Werk der Autorin kennenlernen möchten, zugleich eine Ergänzung für die, die sich an ihr nicht sattlesen können. Es ist eines jener selten gewordenen Bücher, die nicht geschrieben sind, um eben mal ein Buch zu schreiben. Man spürt: Hingabe, Forschermut und eine einfühlende und nicht nachlassende Geduld haben es entstehen lassen. Höhepunkt sind die Passagen des Nicht-Verrats, in denen Wohmann sich entzieht, was Scheidgen nicht kaschiert, sondern sogar markiert: Man kann es als Verweis lesen, auf das, was keine Chronik fassen wird. Die Entziehung ist ein Ausdruck von Beziehung. Biografin und Porträtierte beziehen sich auf Wohmanns Werk, auf die Literatur ganz allgemein oder wie immer man diesen Sehnsuchtsraum auch nennen will. Wohmann hat einen sagenhaften Kosmos mit unzähligen Figuren geschaffen, in den längst schon die Biografin Eingang gefunden hat, allerdings so, wie es nur Wohmann kann: Indem sie verhüllt, um dadurch zu enthüllen: Dass es ohne Liebe auch nicht geht.

Ilka Scheidgen: Ich muss neugierig bleiben. Kaufmann Verlag, Lahr 2012, 240 Seiten, Euro 19, 85.

Georg Magirius

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Foto: Romy Damm

Georg Magirius

Georg Magirius ist ein zum Pfarrer ausgebildeter evangelischer Theologe. Im Jahr 2000 hat er sich als Schriftsteller und Seelsorger selbstständig gemacht. Zuletzt von ihm erschienen: „Stille erfahren“ (Herder Verlag). www.georgmagirius.de


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