Der Bischof zeigt Gesicht

Die evangelische Kirche sollte in den Sozialen Netzwerken den Dialog pflegen
Direkter Draht: Auch im Internet kommt es auf den persönlichen Kontakt an. Foto: dpa/Jim Weber
Direkter Draht: Auch im Internet kommt es auf den persönlichen Kontakt an. Foto: dpa/Jim Weber
Gebete über Twitter, Bischöfe bei Facebook, E-Learning: Die Kirche ist in den Sozialen Netzwerken des Internets aktiv. Worauf sie dabei achten sollte und warum manche Angebote dem Medium nicht entsprechen, erläutert Thomas Zeilinger, der sich auch als Lehrbeauftragter an der Universität Erlangen-Nürnberg mit der kirchlichen Kommunikation im Internet auseinandersetzt.

Gut 600 Fans verzeichnete die Facebook-Seite des bayerischen Landesbischofs Heinrich Bedford-Strohm Ende Januar. Seit Dezember vergangenen Jahres postet Heinrich Bedford-Strohm fast täglich mit Wort und Bild auf Facebook und stellt sich dem Dialog mit Nutzerinnen und Nutzern des so genannten "Sozialen Netzwerks".

"Facebook passt nicht zum Bischof." Ralf Meister, der als ehemaliger Sprecher des Worts zum Sonntag durchaus medienkundige hannoversche Landesbischof, stieg 2011 nach seinem Amtsantritt aus dem Sozialen Netzwerk aus. Im Januar 2012 erläuterte er bei der Tagung "Werte und Religion in der digitalen Medienwelt" in Potsdam, dass ihn die Nutzung von Facebook zeitlich überfordere.

Überfordert zu sein: Dieses Gefühl beschleicht viele mit Blick auf die Social Media und deren Möglichkeiten für die Kirche. Mitte Januar konstatierte ein kompletter Vikarskurs in Hofgeismar, von den Möglichkeiten des Web 2.0 für die Kirche überfordert zu sein. Zuvor hatten sich die angehenden Pfarrerinnen und Pfarrer zehn Tage lang mit dem Thema beschäftigt. Dabei hat jede und jeder der zehn Vikarinnen und Vikare selbstverständlich eine eigene Facebook-Seite. Doch so genau weiß keine und keiner, ob und wie man die persönliche Facebook-Präsenz im Blick auf den Beruf nutzen sollte, zum Beispiel im Gespräch mit Konfirmanden.

Überfordert durch Facebook

Das Gefühl der Überforderung und der Unsicherheit auf neuem, unbekanntem Gebiet ist der eine Grund, der viele kirchlich Engagierte im Umgang mit den Social Media skeptisch macht. Der andere ist der problematische, oft von kommerziellen Interessen getriebene Umgang in Sozialen Netzwerken mit Datenschutz und Persönlichkeitsrechten. Der Alt-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber meldete sich Ende Januar von Facebook ab, als das Netzwerk ankündigte, eine Chronikfunktion für alle Nutzer verpflichtend zu machen (siehe Interview).

Der bayerische Bischof Bedford-Strohm, einst Hubers Assistent in Heidelberg, wagt sich trotz dieser Bedenken ins noch keineswegs endgültig vermessene Territorium der Social Media. Mit seiner Präsenz in Facebook repräsentiert er eine Kirche, die aktiv auf das Medium zugeht und versucht, neue Kommunikationsmöglichkeiten zu erkunden. Während die Facebook-Seite eines Landesbischofs vom Promi-Faktor crossmedialer Aufmerksamkeit profitiert, erkunden im Schatten der Leuchttürme - und mitunter abseits kirchenleitender Strategieüberlegungen - Christen an vielen Orten aktiv das Web 2.0. Vor allem Gruppen aus dem seit jeher modernen Medien gegenüber aufgeschlossenen evangelikalen Bereich nutzen Facebook und andere Soziale Netzwerke intensiv: sowohl für die innergemeindliche als auch für die missionarische Kommunikation.

So ist es kein Wunder, dass eine der in Sozialen Netzwerken besonders aktiven Gruppen der verfassten Kirche in einer vom Pietismus geprägten Region zuhause ist: Die Evangelische Jugend Württemberg bespielt mit einem eigenem Social-Media-Referenten in Verbindung mit dem cvjm unterschiedliche Social-Media-Kanäle bis hin zum Videoportal YouTube. Allerdings bleibt die Zahl der Abonnenten mit etwa 130 im überschaubaren Rahmen. Und ebenso viele Videos wurden seit 2008 auf die Plattform geladen, die Facebook-Präsenz verzeichnet mehr als 2300 Fans.

Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

Auch ohne Bischof mit Facebook-Seite reagiert die hannoversche Landeskirche auf die neuen Kommunikationsmöglichkeiten: Der Kirchenkreis Osterholz-Scharmbeck bei Bremen stellt seit Februar 2012 ein "E-Learning-Projekt" auf die Beine, um Konfirmandenunterricht und Internet miteinander zu verbinden. 250 000 Euro kostet das auf fünf Jahre angesetzte und vom Innovationsfonds der Landeskirche unterstützte Projekt. Dabei sollen die Konfirmandinnen und Konfirmanden auch lernen, ihre Zeit im weltweiten Netz einzuteilen. Mit der Förderung medienpädagogischer und theologischer Begleitung nimmt das Projekt eine Forderung auf, die im kirchlichen Raum immer wieder zu vernehmen ist: Damit der oder die Einzelne im digitalen Netz nicht verloren gehe, brauche es mediale Bildung und eine Kultur des Umgangs mit den neuen Möglichkeiten und Gefahren Sozialer Netzwerke, so wiederum Ralf Meister, Bischof ohne Facebook-Seite.

Kirche in Sozialen Netzwerken, das erinnert an die von Ernst Bloch als Kennzeichen der Moderne konstatierte "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen": Begeistert nutzen die einen, was die anderen skeptisch betrachten. Begeisterung hier und Abwehr dort zeigen, dass sich eine Kultur des Umgangs in, mit und unter dem neuen Medium erst herausbilden muss.

Herausbilden und herausfinden kann Kirche das aber nur, wenn sie in den Social Media mitspielt und deren Möglichkeiten und Gefahren aktiv erkundet. Deswegen sind neugierig-kritische Kundschafter gefragt, nicht misstrauische Sittenwächter. Nicht ob sich Kirchen in Social Media engagieren, sondern wie sie es tun, verdient Aufmerksamkeit: konstruktive Gestaltung wie kritische Beurteilung.

Person statt Institution

Manche kirchliche Aktivität in Sozialen Netzwerken wirkt so, als ginge es darum, nur nicht den Anschluss zu verpassen. Entgegen solch defensiver, extrinsischer Motivation sind kirchliche Aktivitäten in Sozialen Netzwerken gut beraten, intrinsisch zu fragen, wo die eigenen inhaltlichen Motive liegen, die es ins Netz einzubringen gilt. Weil die Verkündigung der Kirche nicht sich selbst, sondern der von ihr zu bezeugenden Botschaft gilt, kann sich die kirchliche Präsenz in Sozialen Netzwerken nicht in kirchlicher Selbstdarstellung erschöpfen. So sehr gerade Plattformen wie Facebook & Co. zur Selbstdarstellung einladen, so wenig kann und darf sich eine Kirche des Wortes damit begnügen.

Die im Web 2.0. mögliche Kommunikation, die unmittelbare Reaktion auf wie auch immer geartete Inhalte, und das jedem Nutzer und jeder Nutzerin leichtgemachte Erstellen von eigenen Inhalten verleihen dem reformatorischen Grundsatz vom allgemeinen Priestertum aller Getauften neue Relevanz. Wenn Jede und Jeder Sender/in und Empfänger/in von Botschaften sein kann, dann werden privilegierte Sender- und Sprecherpositionen hinfällig. Weil in den Social Media die Kommunikation von Person zu Person im Mittelpunkt steht, muss die Kirche dort zukünftig mehr durch Personen und weniger als Institution repräsentiert sein. Vielleicht muss die Frage, was Kirche in Sozialen Netzwerken treibt, in einigen Jahren zur Frage umgeschrieben werden, was Christinnen und Christen in Sozialen Netzwerken treiben.

Das Projekt eines regelmäßigen Mittagsgebets via des sozialen Kurzmitteilungsdienstes Twitter (www. twittagsgebet.de) illustriert Möglichkeiten wie Probleme, die die sozialen Medien der kirchlichen Verkündigung eröffnen. Im Januar 2012 folgten etwa 650 Personen dem von der Inter-netarbeit der badischen Landeskirche betriebenen Kanal, der täglich zur Mittagszeit ein Gebet in maximal 140 Zeichen bereitstellt. Ein Team von vier bis fünf Personen sorgt dafür, dass jeden Tag ein Gebet für die Abonnenten auf ihrem Computer oder ihrem mobilen Endgerät bereitsteht. Mehr als dreihundert Gebetsimpulse finden sich inzwischen auf dem Kanal. Die Gebete erzielen vor allem unter der Woche Aufmerksamkeit, berichtet Pfarrer Oliver Weidermann, Initiator des Projekts. Die Gebetsimpulse erreichen so Menschen in einem Raum, an dem sie sich ohnehin aufhalten, betten sich also via Twitter in den sozialen Alltag der Nutzer und Nutzerinnen ein.

Logik einseitiger Verlautbarung

Zugleich hat auch dieses Projekt Teil an der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen bei der Nutzung Sozialer Netzwerke durch die Kirche. Denn auch hier ist der Grundgedanke noch nicht wirklich umgesetzt, dass die Nutzerinnen und Nutzer selbst Inhalte beitragen. Bei näherer Betrachtung folgen viele kirchliche Web 2.0-Initiativen noch immer dem Modell einseitiger Information von einem Sender an viele Empfänger. So manche kirchliche Initiative wirft sich zwar rasch das schmucke Gewand eines Social-Media-Auftritts über, zeigt aber unter der glänzenden Oberfläche die Logik einseitiger Verlautbarungskommunikation. Wie multimedial professionell und unterhaltsam auch im Einzelfall das Kleid gewoben sein mag: Es kann doch nicht darüber hinweg täuschen, dass nicht Austausch und Partizipation, sondern der einseitige Weg vom Sender zum Empfänger das Paradigma der zugrundeliegenden Kommunikation bildet. Im Web 1.0 statischer Webseiten konnte die einzelne Webseite noch als Sendeturm gesehen werden, von dem aus zentral eine Botschaft ausgesandt wird. Im Zeitalter sozialer Mitmachnetze kennzeichnen dagegen der Dialog und die vielfältig generierten Inhalte die neue Logik.

Übrigens entpuppen sich manche im Gewand des Web 1.0 auf traditionellen Webseiten daherkommende kirchliche Aktivitäten durchaus als genuine soziale Mitmachnetze. Hier sind es vor allem Kollaborations-Plattformen für Mitarbeitende, die von der gemeinsamen Interaktion der Vielen mit Vielen leben: www.rpi-virtuell.net für den Bereich der Schule oder www.kollegiale-beratung.net für den Bereich sozialpädagogischer Arbeit zeigen dies anschaulich. Einfach und durchschlagend für die Erstellung nutzergenerierter Inhalte erwies sich in Bayern www.evangelische-termine.de, eine Veranstaltungs-Datenbank für Kirchenkreise, Kirchengemeinden und andere Einrichtungen der Landeskirche in Bayern. In ihr sind bayernweit die Termine kirchlicher Veranstaltungen gebündelt. Sie werden dezentral eingegeben und gepflegt und können ebenso zielgenau gefiltert abgerufen werden, am Computer oder mobil. Diese bereits in Zeiten des Web 1.0 gestarteten interaktiven Netzprojekte zeigen, wo anzusetzen ist, um als Kirche das Netz 2.0 aktiv mitzugestalten: Bei der Bildung und Qualifizierung der ehren-, neben- und hauptamtlich in der Kirche Engagierten.

Bei vielen kirchlich Engagierten, nicht nur den angehenden Pfarrerinnen und Pfarrern, wachsen Wunsch und Bedarf, sich in den Sozialen Netzwerken zu orientieren. Das heißt zunächst noch häufig, sich schlicht handwerklich und technisch zurechtzufinden. Diesen Bedarf kennt Pfarrer Miklos Geyer, Leiter des Bereichs "Vernetzte Kirche" beim Evangelischen Presseverband Bayern: "Unsere Schulungen im Bereich Social Media sind meist ausgebucht. Zudem erhalten wir verstärkt individuelle Beratungsanfragen. Wir kommen dem Bedarf kaum hinterher." Mit dem Projekt "Vernetzte Kirche" hatte die bayerische Landeskirche vor zehn Jahren begonnen, Mitarbeitende für das Internetzeitalter fit zu machen. Nun erleben die Protagonisten, dass das soziale Mitmachnetz für viele Kirchenmitglieder und Mitarbeiter zwar attraktiv, zugleich aber auch verwirrend vielfältig und komplex ist. Bildung und Orientierung für das Navigieren im sozialen Mitmachnetz tut not.

Keine Sache einzelner Profis

Was vor zehn Jahren noch programmatische Forderung war, holt die kirchlichen Internetarbeitsstellen heute ein: Die kirchliche Internetpräsenz kann im Web 2.0. keine Sache einzelner Kommunikationsprofis mehr sein. Vielmehr müssen die Kommunikationsprofis ihrerseits die Personen für die authentische Kommunikation des Glaubens in Sozialen Netzwerken bilden, den Bischof und die Synodalpräsidentin genauso wie die Pfarrerin und den ehrenamtlichen Leiter eines Bibelkreises.

Soziale Mitmachnetze in der Kirche sollten nicht nur der internen Kommunikation dienen. Wie aber kann die Kirche auch mit denen effektiv kommunizieren, die ihr zunächst nicht eng verbunden sind? Eine Kirche, die im guten Sinne missionarisch kommunizieren will, ist gut beraten, nicht nur auf institutionellen Seiten am eigenen Hochglanzprofil zu arbeiten, sondern mindestens so viele Mittel für die andere Seite der Web 2.0.-Bildung aufzuwenden: Ehren- wie Hauptamtliche zu befähigen, selbst ihrem Glauben Gesicht und Stimme zu geben. Ein erster Schritt dazu ist getan, wo sich kirchliche Repräsentanten mit Gesicht und Stimme in Sozialen Netzwerken erkennbar machen - und sich in den zu Sozialen Netzwerken wesentlich dazugehörenden Dialog ziehen lassen.

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Thomas Zeilinger

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