Denkanstöße

Islamdebatte
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Die Zusammenstellung hat nicht zum Ziel, in großem Maßstab Informationen und Hintergrundwissen zu vermitteln. Vielmehr will Weidner zum Hinterfragen gängiger Wahrnehmungsmuster anregen.

Eine Vereinbarkeit von Islam und Demokratie muss nicht zwangsläufig aus den religiösen Quellen des Islam abgeleitet werden, meint der Orientalist Stefan Weidner. "Es genügt, sie zu wollen, sie zu behaupten und danach zu leben und sich trotzdem ‚Muslim’ zu nennen", schreibt der Autor und Übersetzer in seinem Band "Aufbruch in die Vernunft. Islamdebatten und islamische Welt zwischen 9/11 und den arabischen Revolutionen". Der Weg zu einem modernen Verständnis des Islams führe nicht über theoretische Überlegungen, sondern über handfeste Tatsachen. Wenn es sich in einer Demokratie besser leben lasse, werde spätestens die dritte Generation die Demokratie mit ihrem Muslimsein vereinbaren. Weidners Buch ist eine thematisch sehr breit gefächerte Sammlung aus Reportagen, Artikeln und Essays, die seit 1999 in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind. Der Übersetzer hat es sich zur Aufgabe gemacht die "mentalen Versehrungen" aufzuarbeiten, die nicht erst seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die Beziehungen zwischen Orient und Okzident beeinflussen. Dabei mahnt er, den Muslimen die Verantwortung für ihr eigenes Schicksal zuzutrauen. In seinen Beiträgen stellt Weidner muslimische Denker vor und berichtet von seinen Eindrücken aus Afghanistan, Iran oder Gaza. Er beleuchtet kritisch die Rolle der Orientalistik und der Islam-Berichterstattung in den Medien und diskutiert das Für und Wider verschiedener deutscher Koranübersetzungen. Scharfsinnig hinterfragt er auch die stereotypen Äußerungen vieler so genannter Islamkritiker. Mit ihren Polemiken verraten sie Weidner zufolge oft mehr über ihre eigenen gesellschaftlichen Wunschvorstellungen als über tatsächliche Missstände in der Integration muslimischer Migranten. Abgeschlossen wird der Sammelband mit Weidners Überlegungen über die Verantwortung der Übersetzer und die orientalische Poesie. Die Zusammenstellung hat nicht zum Ziel, in großem Maßstab Informationen und Hintergrundwissen zu vermitteln. Vielmehr will Weidner zum Hinterfragen gängiger Wahrnehmungsmuster anregen. Der Islam lässt sich nicht auf ein einfaches Bild reduzieren, schon gar nicht auf das einer vermeintlich anti-modernen und demokratiefeindlichen Religion. Dafür ist der Islam zu facettenreich, wie der Islamwissenschaftler immer wieder betont. Viele der Texte sind Denkanstöße, die dazu einladen, sich an ihnen zu reiben. Unter anderem seine emphatische Verteidigung der Gründe, die für einen Übertritt zum Islam sprechen können ("Man könnte den Islam mit dem Heiratsantrag eines äußerst viel versprechenden, obschon recht autoritären Typen vergleichen"), regt dazu an, eigene Standpunkte zu formulieren. Der Autor selbst verzichtete nach eigenen Worten auf einen Übertritt, da er die autoritären Aspekte des Islam nicht akzeptieren mochte. Die Essays und Reportagen sind hochaktuell. Allerdings sollte sich der Leser nicht vom Untertitel des Buches verleiten lassen und darin eine Abhandlung über den 11. September oder den arabischen Frühling erwarten - wobei letzterer durchaus knapp dargestellt wird. Die beiden Ereignisse setzen lediglich den Zeit- und Bezugsrahmen für die Beiträge. Stefan Weidner: Aufbruch in die Vernunft. Islamdebatten und islamische Welt zwischen 9/11 und den arabischen Revolutionen. Dietz Verlag, Bonn 2011, 256 Seiten, Euro 18, 90.

Andreas Gorzewski

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