Tribunal am Wendepunkt

Ministerpräsident drängt auf vorzeitigen Abschluss der Ermittlungen
Die hier gezeigten Gemälde stammen von Vann Nath. Foto: Robert Luchs
Die hier gezeigten Gemälde stammen von Vann Nath. Foto: Robert Luchs
In Kambodscha kamen zwischen April 1975 und Januar 1979 rund zwei Millionen Menschen ums Leben. Die meisten wurden erschlagen, die anderen verhungerten oder fielen Krankheiten zum Opfer. Die Verbrechen der Roten Khmer werden von einem internationalen Völkermord-Tribunal aufgearbeitet, doch der Verlauf des Prozesses ist mit vielen Unwägbarkeiten versehen, wie der Journalist Robert Luchs feststellt.

Das internationale Völkermord-Tribunal in Kambodscha stand schon oft am Rande des Scheiterns. Diesmal aber, während des Hauptprozesses in Phnom Penh, spitzten sich die Ereignisse dramatisch zu. Hatte zunächst der deutsche Untersuchungsrichter Siegfried Blunk seinen Rücktritt mit Hinweis auf massiven Druck durch Regierungsmitglieder erklärt, so verklagten wenig später zwei Verteidiger am Tribunal den kambodschanische Ministerpräsidenten Hun Sen. Damit ist der weitere Verlauf des Prozesses zur Aufarbeitung der Verbrechen der Roten Khmer zwischen 1975 und 1979 mit vielen Unwägbarkeiten versehen.

Die Verteidiger Michiel Pestman (Niederlande) und Andrew Inanuzzi (usa), die einen der letzten Spitzenkader der Roten Khmer, den greisen Nuon Chea, vertreten, haben die umfangreiche Klage beim Städtischen Gerichtshof in Phnom Penh eingereicht. Nuon Chea, "Bruder Nummer zwei" in der Hierarchie der Roten Khmer, gilt als Chefideologe der Rebellen, die Kambodscha vor über dreißig Jahren in eine kollektivistische Agrargesellschaft umwandeln wollten. Der Vernichtungsfeldzug der Roten Khmer kostete rund zwei Millionen Menschen das Leben.

Zwisxchenüberschrit

Die Verteidiger begründen ihre Aufsehen erregende Klage mit massiver Einflussnahme der Hun-Sen-Regierung auf das Verfahren am Tribunal. Die internationalen Juristen lehnen sich weit aus dem Fenster und sprechen in ihrer Klageschrift sogar von einem kriminellen Plan, ausgedacht von Spitzenpolitikern der regierenden Kambodschanische Volkspartei. Zitiert werden unter anderen außer Hun Sen dessen Informationsminister Khieu Kanharith, Außenminister Hor Namhong, der Minister des Königspalastes, Kong Sam Ol, der Präsident der Nationalversammlung, Heng Samrin (auch er ein ehemaliger Roter Khmer) sowie Senatspräsident Chea Sim.

Die Verteidiger Nuon Cheas werfen den Politikern im engeren Umkreis von Hun Sen vor, sich in unzulässiger Weise in die Arbeit des von den Vereinten Nationen gestützten Tribunals einzumischen. Sie hätten Zeugen eingeschüchtert und sie an ihren Aussagen gehindert. Damit machten sie es den Verteidigern unmöglich, den noch auf Jahre angesetzten Prozess zu einem fairen Ende zu bringen.

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Beobachter des Völkermord-Tribunals wollen nicht ausschließen, dass der autoritär regierende Hun Sen befürchtet, dass Zeugen seine weitgehend im Dunkeln liegende Rolle während des Terrorregimes beleuchten und zugleich Nuon Chea - und unter Umständen auch die drei weiteren Angeklagten - belasten könnten. Hun Sen, selbst früher ein Roter Khmer, war nach Vietnam geflohen und kam zurück, als die Vietnamesen das Land von den Roten Khmer befreiten.

Nuon Chea hatte sich schon bei seinem ersten Verhör als Unschuldslamm dargestellt. "Vielleicht", räumte der 85-Jährige ein, "vielleicht wurden einige Leute getötet, aber sie starben höchstens an Erschöpfung und Krankheit. Es war nicht unsere Politik, die Menschen zu töten."

Das Gegenteil ist der Fall. In Kambodscha sind zwischen April 1975 und Januar 1979 rund zwei Millionen Menschen ums Leben gekommen. Die meisten wurden erschlagen, die anderen verhungerten oder fielen Erschöpfung und Krankheiten zum Opfer. Kambodscha sei ein einziges riesiges Gefängnis gewesen, ein Massenlager, in dem die Gefangenen permanent überwacht wurden.

Buddhistische Mönche wurden als "blutsaugende parasitische Würmer" beschimpft. Zehntausende Mönche wurden umgebracht, Pagoden sind in Flammen aufgegangen - dieses schreckliche Bild zeichnete Staatsanwältin Chea Leang zur Eröffnung des zweiten Hauptverfahrens.

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Als Bruder Nr. 2 war Nuon Chea die rechte Hand Pol Pots, der 1998 unter ungeklärten Umständen starb. Da er in allen wichtigen Führungsgremien der Roten Khmer vertreten war, muss Nuon Chea über jede Einzelheit des blutigen Feldzuges gegen das eigene Volk informiert gewesen sein. Der bereits vor eineinhalb Jahren verurteilte Chef des Folter- und Vernichtungsgefängnisses Tuol Sleng, Kaing Guek Eav, alias Duch, hatte in seinem Prozess ausgesagt, er habe Nuon Chea ab August 1977 regelmäßig berichten müssen und von ihm Anweisungen über Verhöre und auch Exekutionen erhalten. Duch wurde zu 35 Jahren verurteilt, in einem Revisionsverfahren wurde die Strafe zu Beginn dieses Jahres in lebenslange Haft umgewandelt. In dem Foltergefängnis waren bis zu 15.000 Gefangene gequält und ermordet worden - zum Teil wurden die Insassen auch zu den so genannten "Killing Fields" vor den Toren der Hauptstadt Phnom Penh gebracht und mit Hacken erschlagen.

Die "Killing Fields", wo der Monsun heute noch Gebeine der Opfer ans Tageslicht schwemmt, sind inzwischen eine Touristenattraktion.

Foto: Robert Luchs
Foto: Robert Luchs

Der Maler Vann Nath.

Foto: Robert Luchs
Foto: Robert Luchs

Der Ort des Geschehens: Das Tribunalgebäude.

Wie Nuon Chea leugnen auch die anderen drei Angeklagten jede Schuld. Aber die Vorwürfe gegen Nuon Chea, den früheren Außenminister Ieng Sary und Khieu Samphan, das nominelle Staatsoberhaupt des Pol-Pot-Staates "Demokratisches Kampuchea", haben es in sich: In der mehr als 700 Seiten umfassenden Anklageschrift wird den Beschuldigten eine lange Liste von Straftaten zur Last gelegt: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen im Kontext des bewaffneten Konflikts zwischen dem Terrorstaat und dem benachbarten Vietnam, Völkermord an Vietnamesen und der islamischen Minderheit der Cham und Verbrechen gemäß dem kambodschanischen Strafgesetzbuch von 1956, darunter Mord, Folter und Verfolgung aus religiösen Gründen. Die Staatsanwaltschaft wird vermutlich lebenslange Haft für die Angeklagten fordern. Die Todesstrafe wurde in Kambodscha abgeschafft. Es besteht auch die Sorge, dass nicht alle Beschuldigten das Ende des Prozesses erleben, sie sind meist über achtzig und in angeschlagenem Gesundheitszustand.

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Die vierte Angeklagte, Ieng Thirith, ehemals Sozialministerin und für Vertreibungen und vermutlich auch Vergewaltigungen verantwortlich, wurde wegen Demenz vom weiteren Prozessverlauf suspendiert.

Ieng Thirith, Schwägerin des 1998 verstorbenen Massenmörders Pol Pot, sei nicht mehr prozessfähig, entschied das Gericht nach Anhörung von Psychiatern und Gerichtsmedizinern. Ein fairer Prozess sei daher nicht mehr möglich. Da aber die Ankläger Einspruch gegen diese Entscheidung einlegten, bleibt die Frau des früheren Außenministers Ieng Sary zunächst in Untersuchungshaft.

Die Verhandlungen vor den Außerordentlichen Kammern bei den Gerichten Kambodschas dürften zäh verlaufen und von einem lang anhaltenden juristischen Tauziehen geprägt sein. Ob und wie Hun Sen und seine Clique bis dahin reagiert haben und wie sich diese Reaktion auf den weiteren Verlauf des Prozesses auswirken wird, ist noch offen. Viel entscheidender aber wird sein, wie es mit den Fällen 003 und 004 weitergeht. Denn hinter diesen nüchternen Zahlen steckt der größte Sprengstoff - es geht um das Schicksal des Tribunals selbst, in das vor über fünf Jahren so große Erwartungen gesetzt worden waren.

003 und 004 - die Ermittlungen gegen fünf weitere Vertreter des Pol-Pot-Regimes sind bereits weit vorangeschritten. Es handelt sich unter anderen um Meas Muth und Sou Met, der eine Marine-, der andere Luftwaffenchef unter Pol Pot. Da die Ermittlungen des Tribunals immer näher an sein Umfeld heranrücken, drängt der Ministerpräsident inzwischen darauf, dass das Tribunal seine Tätigkeit nach dem zweiten Verfahren beenden solle. Weitere Prozesse, erklärt er, seien laut Statut des Tribunals nicht erlaubt und gefährdeten die Stabilität seines Landes, das seinen Frieden nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg erst Ende der Neunzigerjahre fand.

Druck der Regierung

Ebenso wie im Fall Nuon Cheas stellt sich die Ministerriege schützend vor Hun Sen. Allein die kambodschanische Regierung habe über weitere Anklagen zu entscheiden, betonte Außenminister Hor Namhong. Und Informationsminister Kanharith drohte, falls das Verfahren ausgeweitet werden sollte, könne das Tribunal seine Koffer packen.

Vor dieser Drohkulisse muss auch der Rücktritt des deutschen Ermittlungsrichters Siegfried Blunk gesehen werden. Er sah seine Integrität nach nicht einmal einjähriger Tätigkeit durch die versuchte Einflussnahme der Regierung in Phnom Penh bedroht.

Ähnliche Erfahrungen musste sein potenzieller Nachfolger Laurent Kasper-Ansermet machen. Die Regierung in Phnom Penh verweigerte dem Schweizer Juristen die Akkreditierung am Tribunal. Ein unglaublicher Vorgang, der allen internationalen Gepflogenheiten und vor allem den Vereinbarungen zwischen den Vereinten Nationen und der Regierung Hun Sen widerspricht. Ein Sprecher des UN-Generalsekretärs Ban Ki-Moon äußerte daher auch seine "sehr ernsthafte Besorgnis", weil internationale Verträge gebrochen würden. Kasper-Ansermet wollte forscher auftreten und hatte weitere Ermittlungen gegen frühere Mitglieder der Roten Khmer angekündigt, worauf Hun Sen erklärte, ein solches Vorgehen würde die kambodschanische Gesellschaft spalten.

Foto: Robert Luchs
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Foto: Robert Luchs
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Die Außerordentlichen Kammern an den Gerichten Kambodschas, der Einfachheit halber "Kambodscha-Tribunal" oder "Sondertribunal" genannt, ähneln dem Modell des Sondertribunals für Sierra Leone. Es ist ein gemischtes Gericht, das aus einem nationalen und einem internationalen Gremium besteht und auf einem Vertrag zwischen den Vereinten Nationen und der Regierung Kambodschas aus dem Jahre 2003 basiert.

Kambodscha hatte die Vereinten Nationen 1997 um Unterstützung bei der Errichtung eines Tribunals zur strafrechtlichen Verfolgung der Führer der Roten Khmer ersucht. Nach zähen Verhandlungen und beträchtlichem Zeitverlust nahm das Gericht 2006 seine Arbeit auf. Das Sondertribunal ist Teil des kambodschanischen Gerichtssystems. Es wendet kambodschanisches Recht an, ergänzt durch internationales Recht an. Den kambodschanischen Richtern, denen es aufgrund der jüngeren Geschichte zumeist an Erfahrung fehlt, haben in allen Kammern eine Mehrheit, die internationalen Kollegen eine Minderheit.

Selektive Aufarbeitung

Ein weiterer Kritikpunkt am Tribunal bezieht sich auf die selektive Form der juristischen Aufarbeitung. So sind Massenmörder des Terrorregimes zum Teil zwar bekannt, werden aber nicht vor Gericht gestellt, da sie nicht der Führungsschicht der Roten Khmer zugerechnet werden.

Zum Problem der Selektivität gehört außerdem, dass einige der derzeit führenden Politiker früher bei den Roten Khmer aktiv waren. Die heutige politische Elite des südostasiatischen Landes kann daher gar kein Interesse an einer juristischen Aufarbeitung der Geschehnisse haben. Dennoch hat das Tribunal bis dato rund 150 Millionen Dollar verschlungen, wobei ein Großteil der Mittel aus Spenden von Japan und Australien stammt. In jüngster Zeit allerdings stockt der Spendenfluss, so dass kambodschanische Mitarbeiter am Tribunal monatelang auf ihr Gehalt warten mussten.

Drohendes Versagen

Problematisch ist, dass die Aufarbeitung der Verbrechen erst Jahrzehnte nach dem Völkermord erfolgt. Sieben der zehn ehemaligen Mitglieder des Zentralkomitees sind bereits gestorben. Auch sind mittlerweile viele Opfer tot, die als Zeugen viel zur Aufarbeitung hätten beitragen können. So war es ein Glücksfall, dass mit dem Maler Vann Nath noch einer der wenigen Überlebenden des Foltergefängnisses Tuol Sleng vor dem Tribunal als Zeuge gehört werden konnte. Ein Jahr später starb der Künstler, der in zahlreichen Gemälden die Schrecken des Foltergefängnisses illustrierte und damit zugleich seine Traumata verarbeitet hatte.

Muss das Völkermord-Tribunal seine Arbeit früher als vorgesehen beenden, dann haben nicht nur die Vereinten Nationen kläglich versagt, die den mit kambodschanischen und internationalen Juristen besetzten Gerichtshof als weltweit einzigartiges Modell gepriesen haben. Schon seit langem haben sich die UN die Kontrolle über den Gang der Dinge aus der Hand nehmen lassen. Noch schlimmer: In Kambodscha, wo heute noch Opfer und Täter Tür an Tür wohnen, hatten die Menschen dieses Tribunal als ein Zeichen der Hoffnung betrachtet. Die Rechtlosigkeit sollte ein Ende haben, Gerechtigkeit endlich die Oberhand gewinnen. Die Hoffnung aber scheint zu trügen; wie früher diktieren heute die Reichen und die Mächtigen, was in Kambodscha erlaubt ist und was nicht.

Text und Fotos: Robert Luchs

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