Zweifel und Ängste

Apokalyptische Ideologien ziehen auch im 21. Jahrhundert Menschen an
Dürreperioden werden als Vorboten der Klimakatastrophe gedeutet. Foto: dpa/Franco Banfi/WaterFrame
Dürreperioden werden als Vorboten der Klimakatastrophe gedeutet. Foto: dpa/Franco Banfi/WaterFrame
So sehr sich der religiöse Hintergrund der Gruppen unterscheidet, die den Untergang der Welt beschwören, so einig sind sie sich in zentralen Punkten, zeigt Michael Utsch, Psychologe und Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Und er erhellt die psychologischen Hintergründe.

Das bleibende Interesse an apokalyptischen Weltdeutungen weist auf existenzielle Unsicherheitsgefühle in der Gesellschaft hin, die wissenschaftlich-technisch nicht zu bewältigen sind. Unter den Protagonisten gibt es viele Akademiker. Bildung schützt eben nicht vor Irrglauben. In ideologischen Gemeinschaften wie den Zeugen Jehovas und islamistischen oder christlich-fundamentalistischen Randgruppen wollen die Mitglieder mit Hilfe eines Endzeitfahrplans ihre Zukunftsangst überwinden. Gerade in unsicheren Zeiten werden - paradoxerweise - Schreckensvisionen und die Erwartung eines bevorstehenden Untergangs dankbar aufgenommen. Und welche psychologischen Funktionen erfüllen diese?

Das erwartete Ende bietet der jeweiligen Gruppe die Chance, in Abgrenzung zum gegenwärtig erlebten Jammertal die Erlösung, die Transformation in eine bessere Welt zu propagieren. Es ist nicht schwierig, sowohl die negativen Aspekte der Gegenwart in den Vordergrund zu stellen als auch Hoffnungen auf eine glücklichere Zukunft zu wecken und in schillernden Farben auszumalen. Trotz verschiedener weltanschaulicher Kontexte stimmen die verschiedenen Endzeitgruppen an zentralen Punkten überein. Sie erleben das Dasein als fremd und unmenschlich und die Welt als abweisend und bedrohlich.

Ort der Heimatlosigkeit

Apokalyptiker sind Menschen, die ihre Umwelt als Ort der Heimatlosigkeit und des Unheils erfahren haben. Das Dasein entbehrt jeder Erfahrung des Heils und der Ganzheit. Dabei wird die Welt als ein in sich geschlossener Lebenskreis aufgefasst. Sie ist ein geschlossener Zeit-Raum des Unheils. Und weil die Welt heillos ist, wird die Rettung von außen erwartet. Im apokalyptischen Denken verdichtet sich die Erfahrung der Welt als Sackgasse in der Gewissheit einer unausweichlichen Katastrophe.

Doch in der als ausweglose Krise erlebten Gegenwart spenden apokalyptische Vorstellungen Zukunftshoffnung. Dabei geht es weniger um die Zukunft als vielmehr um Gegenwartsbewältigung. Das herkömmliche Verständnis der eigenen Person und Umgebung trägt nicht mehr, und andere Modelle der Wirklichkeitskonstruktion werden notwendig. Hier kann ein sicher vorhergesagtes Ende beruhigender und stabilisierender wirken als permanente Unsicherheit.

Die Zusammenhänge zwischen Angst und Apokalyptik hat der Philosoph Hans Jonas (1903-1993) als Charakteristikum der spätantiken Gnosis aufgezeigt. Er sah in der Angst des Gnostikers Weltangst und fasste darunter eine Angst vor der Welt und vor sich selber. Bei Oswald Spengler (1880-1936) bezeichnet Weltangst das Gefühl grenzenloser Einsamkeit und die Gewissheit des eigenen Sterbenmüssens. Und für Peter Sloterdijk entsteht Weltangst aus dem Gefühl der seelischen Heimatlosigkeit. In seinem Buch "Weltfremdheit" mutmaßt er: "Wie leicht war die Welt zu lieben, als man wenig von ihr wußte. Wie einfach war es, ein Weltkind zu sein, in einer Epoche, als der Kosmos kaum mehr war als die größere Hütte - allenfalls der gestirnte Himmel über der Stadt."

Entwurf gegen Sinnlosigkeit

Eine Spätmoderne, die durch Sinn- und Heimatverlust gekennzeichnet ist, begünstigt offensichtlich übergreifende, die Zukunft einschließende Welt- und Lebensdeutungen. Und Apokalyptiker kommen diesem Bedürfnis entgegen, weil sie eine Metaperspektive anbieten. Sie nehmen denen, die unter Weltangst leiden eine große Last ab, indem sie ihre existenzielle Verunsicherung - durch die Enthüllung zukünftiger Ereignisse - in Gewissheit verwandeln wollen.

Eine wesentliche Funktion der Religion besteht dabei darin, eine sinnstiftende Lebensdeutung oder Weltanschauung zu entwerfen, die das Schicksalhafte und Zufällige menschlicher Existenz überwindet. Auch die unausweichliche und damit bedrohliche Tatsache der eigenen Endlichkeit kann damit relativiert werden. Je mehr Unwägbarkeiten der eigenen Umwelt und der eigenen Person kontrollierbar erscheinen, desto größer ist die Lebenssicherheit, die Vertrauen in die eigenen und die sozialen Möglichkeiten schafft.

Das religiöse Sicherungsbedürfnis gegenüber einer unbekannten, geheimen, verschlossenen Wirklichkeit geht von einem zweigeteilten Weltbild aus: Hier der Mensch als vergängliches, abhängiges, zufällig handelndes Wesen, dort eine übermenschliche, völlig autarke Wirklichkeit.

Befriedigung aggressiver Bedürfnisse

Die apokalyptische Weltsicht ist streng dualistisch aufgebaut und polarisiert im Entwerfen eines geschichtlichen Dramas: Die Gerechten stehen auf der Seite des absolut Guten gegen das absolut Böse. Und da bleibt für moralische Zweifel oder Ambivalenzen kein Platz. Apokalyptiker richten ihren Blick aus einer dunklen Gegenwart in eine lichte Zukunft, ohne dass ihre Hoffnung aus dem gegenwärtigen Weltzustand abgeleitet werden kann. Sie gründet vielmehr in der Schau einer Gegenwelt oder einer göttlichen Verheißung. Eine Schar von Erwählten wird errettet, während die Welt, die vom Bösen unheilbar verseucht ist, in einer infernalen Zerstörung ihr gerechtes Ende findet.

Mit der konkreten Vorstellung einer Bestrafung des Bösen können aggressive Bedürfnisse befriedigt werden. Damit sind wichtige psychologische Motive von Endzeitvorstellungen benannt: Durch die Abwehrmechanismen der Verleugnung, Spaltung und Projektion erblicken sie in dem Untergang der Welt eine Rettung, die sie in eine bessere Wirklichkeit transformiert. Psychoanalytisch gesehen erweisen sich Untergangsphantasien als Problemlösungsversuche, die sich unbewusst als Rettungs- und Überlebensphantasien entpuppen. Und hinzu tritt ein wichtiger narzisstischer Gewinn. Schließlich ist die eigene Endlichkeit eine schwer auszuhaltende Kränkung. Und diese kann mit der Vorstellung einer endgültigen Zerstörung der Welt relativiert werden.

Kein Mensch kann gut mit Geheimnissen und Ungewissheiten leben. Endlichkeit, Zufall, Schuld und Leid verlangen nach einer Deutung, einer Sinnkonstruktion im Sinne seelischer Beheimatung. Apokalyptische Gruppen stiften Gemeinschaft, weil sie auf diese Fragen letztgültige Antworten geben. Die Erwartung eines bevorstehenden Endes dient ihnen als sichere Antwort und wirkt wie eine Befreiung von quälenden Fragen. Das Überwissen trägt zu einer Stabilisierung der inneren Dynamik des Einzelnen bei. Als eine weitere zentrale psychologische Funktion von Ideologien und ideologischen Gemeinschaften ist also die Angstreduktion zu nennen.

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Michael Utsch

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