Gute Nachrichten?

Was die Deutschen so glauben und was nicht
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Lessing wäre wohl der ideale Kirchenvater für diejenigen unter den aufgeklärt-liberalen Christen, deren "Projekt" es ist, das Christentum anschlussfähig an andere Religionen zu machen.

10 Prozent aller Deutschen sind der Ansicht, es gebe verschiedene Götter, die ihre eigenen Bereiche verwalteten. Das hat das Institut Allensbach im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung herausgefunden - nicht die einzige verblüffende Erkenntnis in dieser Umfrage (FAZ vom 26. September). Eine andere ist zum Beispiel die: 1952 meinten 56 Prozent, Parteien sollten sich an christlichen Grundsätzen orientieren, 2012 waren es noch 53 Prozent - besonders erstaunlich, wenn man andere Umfrageergebnisse danebenhält: 46 Prozent halten Jesus für Gottes Sohn (1986: 56 Prozent), 35 Prozent Gott für den Schöpfer der Welt (1986: 47 Prozent), an die Auferstehung der Toten glauben 30 Prozent (1986: 38 Prozent). Dagegen hat der Glaube an Schutzengel von 46 auf 54 Prozent zugenommen, der daran, dass es "irgendeine überirdische Macht gibt" von 49 auf 53 Prozent, der an die Seelenwanderung von 7 auf 20 Prozent. Und überraschend auch, wie weit heute die Einschätzungen, was im politischen Sinne als "christlich" und was als "konservativ" anzusehen ist, auseinandergehen - "christlich" wird überwiegend mit linksliberalen Ansichten assoziiert, während man ausgesprochen katholische Positionen wie die Ablehnung der Abtreibung oder die Ablehnung rechtlicher Gleichstellung von homosexuellen Paaren als konservative Positionen ausmacht.

Gibt es also gute Nachrichten für die Kirchen? Immer weniger Christen identifizieren sich mit dogmatischen Glaubensinhalten, doch das scheint kaum Auswirkungen auf ihre religiösen Bedürfnisse zu haben. Esoterik und eine verschwommene Mystik boomen. Und nur eine Minderheit scheint wegen ihres entschwundenen oder transformierten Glaubens die Kirchenmitgliedschaft aufzugeben, wer es aber tut, konvertiert deshalb noch lange nicht zum kämpferischen Atheismus.

Göttliches Wirken durch Pädagogik

Aber sehen so gute Nachrichten für die Kirche aus? Die einst beherrschende Säkularisierungsthese habe sich nicht bestätigt, heißt es, sie werde vielmehr durch eine mächtige "Rückkehr der Religionen" konterkariert. Davon werde auch das kirchlich gebundene Christentum profitieren, wenn es sich nur als reformfreudig genug erweise, wenn es sein "Angebot" auf dem Markt der Weltanschauungen in Präsentation und Inhalt immer wieder aktualisiere. Andere sehen in einer unvermeidlichen Konzentration auf den "Heiligen Rest" die Gesundung des Christentums und wiederum andere erblicken in der guten alten Evangelisation das Heil.

Gotthold Ephraim Lessing veröffentlichte 1780 seine Schrift "Die Erziehung des Menschengeschlechts", in der er ausführt, die verschiedenen Phasen göttlicher Offenbarung entsprächen einem genauen Plan Gottes, mit dem er die Menschen zu freien Individuen in einer humanen Gesellschaft machen will - die Pädagogik als fundamentaler Modus göttlichen Wirkens in der Welt.

Lessing wäre wohl der ideale Kirchenvater für diejenigen unter den aufgeklärt-liberalen Christen, deren "Projekt" es ist, das Christentum anschlussfähig an andere Religionen zu machen und so die "Weltgemeinschaft" zu einer auch das Politische bestimmenden humanen Gesinnung und Praxis zu führen.

Ob man diesen Optimismus teilen kann, ist wohl eine Frage der persönlichen Gestimmtheit. Sein hehres Ziel entzieht sich freilich jeder Prophetie - mag deren Absicht nun Hoffnungsemphase heißen oder Rückzug auf die Unerforschlichkeit der Wege Gottes.

Helmut Kremers

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