Gefahr des Provinzialismus

Gespräch mit Bischof Friedrich Weber über die evangelische Sicht des Papstamtes und das Pontifikat Benedikts XVI.
Foto: Braunschweigische Landeskirche
Foto: Braunschweigische Landeskirche
Der Braunschweiger Landesbischof Friedrich Weber ist Catholica-Beauftragter der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), eines Zusammenschlusses von sieben Mitgliedskirchen der EKD. Der 63-Jährige ist auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), der 22 Kirchen angehören, auch die römisch-katholische.

zeitzeichen: Herr Landesbischof, mit der Reformation haben sich die Protestanten von der Jurisdiktionsgewalt des Papstes befreit. Ist das ein Gewinn oder ein Verlust?

Friedrich Weber:

Das ist ein Gewinn. Und an dieser Einschätzung hat sich für mich auch durch ökumenische Gespräche, Begegnungen mit dem Papst und katholischen Bischöfen und das vertrauensvolle Miteinander der beiden Kirchen in Deutschland nichts geändert.

An welchem Punkt empfinden Sie es denn als Gewinn, dass die Jurisdiktionsgewalt des Papstes für Protestanten nicht gilt?

Friedrich Weber:

Ich habe als Theologe, vom Vikariat bis zum Bischofsamt, immer die Freiheit geschätzt, dass ich bei der Auslegung der Bibel zum Beispiel nicht an Enzykliken des Papstes oder andere seiner Lehraussagen gebunden bin. Vielmehr muss ich als evangelischer Theologe persönlich vor meinem Gewissen prüfen, wo ich möglicherweise den Konsens meiner Kirche verlasse, der sich in ihren Bekenntnisschriften ausdrückt, und wo das, was ich predige, Christum nicht treibet. Dafür muss ich selber geradestehen und mich natürlich der Kritik der anderen ordinierten und nichtordinierten Mitchristen stellen. Die erwähnte Freiheit und persönliche Verantwortung gilt auch für sexualethische Fragen, wie zum Beispiel Mann und Frau ihr Zusammenleben gestalten. Da ist es nicht Sache der Kirche, von außen in die Privatsphäre hineinzuregieren.

Die Trennung der Protestanten vom Papst hat doch auch einen Verlust mit sich gebracht. Wenn man in Rom durch die Straßen geht oder eine Generalaudienz oder Messe des Papstes besucht, begegnet man Christen aus allen möglichen Ländern. Und die kommen nach Rom nicht nur wegen der Stadt, sondern wegen des Papstes. Dabei wird deutlich, dass der Papst die Katholizität der Kirche verkörpert oder zumindest symbolisiert. Da fehlt dem Protestantismus doch etwas, oder?

Friedrich Weber:

Das kann man so sehen. Jedenfalls ist dem Protestantismus das Bewusstsein für die Katholizität, die die Universalität und Weite des Christentums und der Kirche ausmachen, ein wenig abhandengekommen. Luther und die Reformatoren hatten dieses Bewusstsein ja noch. Ich sehe schon die Gefahr, dass die Landeskirchentümer, wie sie sich seit der Reformation entwickelt haben, mitunter an einer Horizontverengung kranken, ja gar an einem Provinzialismus. An der römisch-katholischen Kirche bewundere ich, wie sie die Katholizität, die Universalität der Kirche, lebt. Ein Katholik kann sich in der Kirche zu Hause finden, ob er die Messe in Bolivien oder in Deutschland besucht. Generell gibt es immer wieder Situationen, in der der Papst nolens volens zum Sprecher der gesamten Christenheit wird, ohne von dieser beauftragt zu sein. Ich denke dabei zum Beispiel an den zweiten Irakkrieg, den Papst Johannes Paul II. mit deutlichen Worten kritisiert hat.

In den vergangenen Jahren sind ein paar evangelische Landesbischöfe weiter als Sie gegangen. Diese haben nicht nur festgestellt, dass der Papst in bestimmten Situationen wie dem Irakkrieg automatisch zum Sprecher der Christen werden kann. Sie haben vielmehr den Vorschlag gemacht, man solle ihn unter bestimmten Bedingungen auch dazu berufen. Was halten Sie davon?

Friedrich Weber:

Bereits 1537 hat Philipp Melanchthon den Gedanken eines universalen Leitungsamtes der christlichen Kirche vorgetragen. Mit der Dogmatisierung des päpstlichen Jurisdiktionsprimats und der päpstlichen Unfehlbarkeit im I. Vaticanum war diese Diskussion aber für alle Nichtkatholiken zu Ende. Ökumenische Dokumente des 20. Jahrhunderts können sich eine Anerkennung des Papstamtes nur vorstellen, wenn es dem Primat des Evangeliums untergeordnet ist. Ich meine, dass ein Sprecher der Christenheit nur durch ein universales Konzil berufen werden kann. Diese Person könnte dann in außergewöhnlichen Situationen in Absprache mit den anderen Kirchen im Namen der ganzen Christenheit sprechen.

Können Sie sich vorstellen, dass eine Synode, die von den Kirchen der Welt beschickt wird und der Geistliche und Laien angehören, den Bischof von Rom zum Sprecher der Christenheit wählt?

Friedrich Weber:

Ja, und man könnte den Gedanken noch weiterspinnen, nämlich dass dieses Sprecheramt rotiert. Dann wären zum Beispiel mal der Erzbischof von Canterbury, der Patriarch von Konstantinopel oder die eine und andere Repräsentantin einer wichtigen christlichen Konfession an der Reihe. Dabei ist mir natürlich klar, dass der Bischof von Rom aufgrund der Tradition seines Amtes als Sprecher der Weltchristenheit immer ein stärkeres Gewicht hätte als andere Kirchenvertreter, die zum Sprecher der Weltchristenheit berufen werden.

Wäre es sinnvoll, den Gedanken, den Sie gerade skizziert haben, weiterzuverfolgen und mit Vertretern der römisch-katholischen Kirche zu diskutieren? Oder ist er so unrealistisch, dass ein Gespräch darüber Zeitverschwendung wäre?

Friedrich Weber:

Für uns Protestanten ist der Papst jedenfalls ein Mitbruder in einer besonderen Verantwortung für eine Weltkirche. Reinhard Frieling hat einmal gesagt: "Es geht um Gemeinschaft mit, aber nicht unter dem Papst." So ist es!

Auch die evangelische Kirche wird durch Menschen repräsentiert, durch Laien und Geistliche. Bei den Geistlichen sind das in Deutschland auf der Ortsebene Gemeindepfarrerinnen und -pfarrer, auf der Landesebene Bischöfinnen und Bischöfe und national der oder die EKD-Ratsvorsitzende. Doch dann hört es plötzlich auf. Wie könnte im Protestantismus die Katholizität der Kirche so repräsentiert werden, dass auch die Stimme der evangelischen Christen weltweit gehört und deutlich wird: Auch die evangelische Kirche ist katholisch, universal, und endet nicht an den Grenzen der Regionen und Nationalstaaten?

Friedrich Weber:

In diesem Zusammenhang kann man auf den Weltkirchenrat hinweisen, den Lutherischen Weltbund und die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, die ihren Sitz in Genf haben. Aber Sie können Genf nicht so inszenieren wie Rom. Da spielt eben die Tradition, die lange Geschichte des Bischofs von Rom, des Papstes, eine gewaltige Rolle, seine Befugnisse, die eindeutigen Kompetenzen, die er besitzt.

Spricht aus Ihren Worten ein Quantum Faszination oder gar Neid?

Friedrich Weber:

(lacht) Ich beneide die katholische Kirche gelegentlich um die Klarheit, die sie mitunter hat. Aber sie vertritt dabei auch Positionen, die ich nicht teile, ja sogar ablehne.

Unter der Kuppel des Petersdoms stehen die Worte aus dem Matthäusevangelium, dass der Apostel Petrus der Fels ist, auf dem Jesus seine Kirche baut. Wie interpretieren Sie dieses Bibelwort?

Friedrich Weber:

Petrus ist ein Mensch in seiner Zerrissenheit. Und er zeigt, und das ist tröstlich, dass Menschen, die sich für die Kirche und ihre Leitung verantwortlich wissen, nicht perfekte Menschen sein müssen. Ja, ihm ist von Gott so viel Kraft geschenkt worden, dass er sogar das Martyrium auf sich nehmen konnte.

Petrus steht also stellvertretend für den Jünger Jesu schlechthin?

Friedrich Weber:

Petrus war ein Mensch aus Fleisch und Blut, innerlich zerrissen, und dennoch wurde er beauftragt, Zeuge für den Gekreuzigten und Auferstandenen zu sein. In diesem Sinne kann ich Ihre Frage bejahen. Alle Christinnen und Christen, die wie Petrus Menschen aus Fleisch und Blut sind, sind dazu berufen, Zeugnis für Christus zu geben. Und in diesem Dienst erfahren wir die Hilfe des Auferstandenen selbst.

Aber wenn es um die Frage geht, ob aus dem Matthäuswort ein Vorrang des Petrus über die anderen Apostel abzuleiten wäre, bin ich mit der großen Mehrheit der Exegeten der Meinung, dass dies nicht der Fall ist. Die Rolle des Petrus in der Urkirche, die dieses Wort spiegelt, ist nicht vergleichbar mit dem durch Jurisdiktionsprimat und Unfehlbarkeit gekennzeichnetem Papstamt.

Papst Paul VI. hat 1967 gesagt, sein Amt sei "das größte Hindernis auf dem Weg der Ökumene". Ist das noch so?

Friedrich Weber:

Das unterschiedliche Verständnis des ordinierten Amtes ist noch ein großes Hindernis auf dem Weg der Ökumene. Und das gilt besonders für das Papstamt. Johannes Paul II. hat die Problematik ja in seiner Ökumene-Enzyklika Ut unum sint von 1995 aufgegriffen und die nichtkatholischen Kirchen - besonders die orthodoxen - aufgefordert, Vorschläge für die Ausübung des Primates zu machen, die für sie akzeptabel seien. In dieser Frage sind noch viele dicke Bretter zu bohren. Aber bei anderen Themen hat es in den vergangenen Jahren ja Annäherungen gegeben. Ich erinnere an die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 und die wechselseitige Anerkennung der Taufe, die elf deutsche Kirchen vor fünf Jahren im Magdeburger Dom feierlich erklärt haben. Und es gibt eine relativ weit gediehene Formulierung eines gemeinsamen Abendmahlsverständnisses, der Eucharistie, das der "Jäger-Stählin-Kreis", der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen, ausgearbeitet hat.

An welchem Punkt halten Sie in absehbarer Zeit einen ökumenischen Durchbruch für möglich?

Friedrich Weber:

Beim Abendmahlverständnis halte ich einen Durchbruch für möglich.

Rechnen Sie damit, dass die römisch-katholische Kirche in absehbarer Zeit auch Protestanten zum Abendmahl zulässt, also eucharistische Gastfreundschaft praktiziert?

Friedrich Weber:

Grundsätzlich ist nach offizieller römisch-katholischer Lehre nur der zur Eucharistie eingeladen, der mit der römisch-katholischen Glaubenslehre ganz übereinstimmt. Und das kann ein Evangelischer natürlich nicht. Aber es gibt viele römisch-katholische Pfarrer, die eucharistische Gastfreundschaft praktizieren und evangelische Christen zum Abendmahl zulassen. Zu wünschen wäre eine generelle Zulassung konfessionsverschiedener Ehepaare zur Kommunion, da sie ja - katholisch-theologisch gesprochen - durch die Taufe als dem Band der Einheit und im Sakrament der Ehe verbunden sind. Letztlich ist aber nicht ein unterschiedliches Abendmahlsverständnis das Hindernis für die Ökumene, sondern das unterschiedliche Amtsverständnis.

Vor sieben Jahren ist Joseph Ratzinger zum Papst gewählt worden. Wie bewerten Sie sein Pontifikat?

Friedrich Weber:

An vielen Stellen hat er das fortgesetzt, was er schon vorher gemacht hatte, nämlich stringent theologisch zu arbeiten. So ist Benedikt XVI. sicher der Cheftheologe seiner Kirche. Und seine geistige Präsenz, er ist immerhin 85 Jahre alt, finde ich erstaunlich und bewundernswert. Das habe ich auch voriges Jahr, beim Treffen des Papstes mit Vertretern der EKD in Erfurt, beobachten können. Dort hat der Papst gezeigt, dass er die reformatorische Theologie gut kennt. Wichtig ist ihm die Einheit der römisch-katholischen Kirche. Bei seinem Eingehen auf die Piusbrüder befällt mich aber manchmal die Sorge, Einsichten des Zweiten Vatikanischen Konzils könnten auf der Strecke bleiben. Allerdings hat der neue Präfekt der Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung noch einmal herausgestellt, dass die von den Piusbrüdern kritisierten Aussagen des Konzils "dogmatische Implikationen" haben.

Hat die Ökumene unter diesem Papst Fortschritte gemacht oder Rückschritte, oder stagniert sie?

Friedrich Weber:

Das Zweite Vatikanische Konzil, an dem der junge Theologe Joseph Ratzinger als Berater mitgewirkt hat, hat für die römisch-katholische Kirche einen Perspektivwechsel gebracht. Denn zum ersten Mal ist in aller Deutlichkeit erklärt worden: Wir können unsere Kirche nicht denken, wenn wir nicht gleichzeitig auch die anderen Kirchen im Blick haben und auf sie zugehen. Und diese Überzeugung teilt der Papst. Das merkt man bei Gesprächen mit ihm. Aber es gibt große Unterschiede bei den Zielen der Ökumene. Kurt Koch, der Präsident des päpstlichen Einheitsrates, redet klipp und klar davon: Ziel ist die sichtbare Einheit der Kirche, und das schließt das evangelische Modell der "Versöhnten Verschiedenheit" aus, weil es aus römisch-katholischer Sicht eigentlich unvereinbare Kirchenbilder nebeneinander bestehen lässt. Für mich ist dies das größte ökumenische Dilemma: Die Konfessionen sind im Wesentlichen im Glauben an Christus eins, aber sie denken in grundverschiedenen Systemen von Kirche und Kircheneinheit. Die Frage nach der Bedeutung Benedikt XVI. für die Ökumene ist schwer zu beantworten. Nicht zuletzt hat er während seines Besuchs in Erfurt im Vorjahr gesagt, "dass wir weithin nur das Trennende gesehen und gar nicht existenziell wahrgenommen haben, was uns mit den großen Vorgaben der Heiligen Schrift und der altchristlichen Bekenntnisse gemeinsam ist". Für ihn sei es "ein großer Fortschritt, dass uns diese Gemeinsamkeit bewusst geworden ist". Die Bedrohung durch die Säkularisierung fordere Christen dazu auf, den Glauben gemeinsam ganz zu leben. Dies sei die zentrale ökumenische Aufgabe. Aber richtig starke Impulse sind von Rom nicht ausgegangen.

Welche Schritte sind in der Ökumene notwendig?

Friedrich Weber:

Wir müssen uns dem Thema Taufe stärker zuwenden. Das möchte ich auch in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ack) vorantreiben, deren Vorsitzender ich bin. Die Taufe, das haben ja elf Mitgliedskirchen der ack vor fünf Jahren in Magdeburg erklärt, ist das einende Band der Christenheit. Und wenn das so ist, müssen wir der Frage nachgehen, was die Taufe für das Verständnis der Kirche und des kirchlichen Amtes bedeutet und für die gegenseitige Zulassung zum Abendmahl. Meines Erachtens müssen wir nach außen sichtbarer machen, dass uns Christen trotz aller Unterschiede die Taufe verbindet. Und das kann zum Beispiel dadurch deutlich werden, dass bei Taufen in einer evangelischen Kirche immer ein Vertreter der katholischen Nachbargemeinde dabei ist und umgekehrt. Und wenn wir am Beispiel der Taufe herausstellen, was Christen verbindet, kann es vielleicht stärker gelingen, das Trennende zu akzeptieren, wo wir es nicht überwinden können, und mit der Zeit wird das Trennende abgeschwächt. Sehr hilfreich wäre auch eine vertiefte Beschäftigung mit dem Studiendokument der Gruppe von Farfa Sabina aus dem Jahre 2010: "Gemeinschaft der Kirchen und Petrusamt". Diese Gruppe strebt die Wiederherstellung der "Einheit der Kirche" in der Wiederherstellung der "Gemeinschaft selbständiger Kirchen" an. Und zuletzt halte ich es für dringend erforderlich, dass geklärt wird, wie der ökumenische Weg zum Reformationsjubiläum 2017 konkret aussieht.

Der Papst hat den Regensburger Bischof Gerhard Müller zum Leiter der Glaubenskongregation ernannt. Ist das ein Hoffnungszeichen für die Ökumene? Schließlich ist Müller der Ökumene-Beauftragte der katholischen Deutschen Bischofskonferenz gewesen.

Friedrich Weber:

Mit Bischof Müller habe ich über eine ganze Reihe von Jahren im Vorstand der Bundes-ack und im gemeinsamen Vorsitz der Lehrgesprächsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der VELKD intensiv und freundschaftlich zusammengearbeitet. Ich bin mit ihm befreundet. Man muss doch zweierlei sehen: Die innerkirchliche Kritik an seiner Amtsführung in der Diözese Regensburg ist das eine. Mich hat als evangelischer Theologe sehr beeindruckt, wie intensiv er sich mit dem evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer beschäftigt und mit Aufbrüchen innerhalb der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Ja, er arbeitet immer wieder mit einem ihrer prominenten Vertreter, Gustavo Gutierrez, zusammen. Angesichts dieser Weite bin ich zuversichtlich. Ich hoffe, dass ihm sein neues Amt die Freiheit lässt und befördert, die ich bei ihm oft erlebt habe, sich theologischen Anfragen an die geltende Praxis zu stellen. Ich habe selten einen Theologen erlebt, der so umfassend und präzise die gesamte Lehrtradition präsent hat, und nicht nur die katholische, sondern auch die reformatorische.

Also ein Hoffnungszeichen für die Ökumene?

Friedrich Weber:

Ich habe Bischof Müller - und das hören viele nicht gerne, weil sie nur eine Seite an ihm wahrgenommen haben - in vielen ökumenischen Begegnungen und Gesprächen als jemanden kennengelernt, der weiß, wo die Grenzen zwischen den Konfessionen sind, aber immer wieder auslotet, wie diese überwunden werden können.

Hat sich in den sieben Jahren Ihrer Tätigkeit als Catholica-Beauftragter der VELKD Ihr Bild von der römisch-katholischen Kirche verändert?

Friedrich Weber:

Mir ist klar geworden, dass viele Probleme, die wir miteinander haben, auch von fehlendem oder geringem Wissen herrühren. So spielen für viele evangelische Theologen die Patristik und die Theologie des frühen und späten Mittelalters oft keine oder nur eine geringe Rolle. Ja, manchmal kann man den Eindruck gewinnen, für Protestanten würden Kirche und Theologie erst 1517 beginnen. Bei katholischen Theologen fasziniert mich ihre Offenheit für Fragen der Philosophie, auch die jeweils zeitgenössische. Und ich habe eine ganze Reihe von Menschen kennen- und schätzen gelernt, mit denen ich sonst nicht zusammengekommen wäre. So hat sich mein Horizont sehr erweitert. Ich habe den Reichtum der katholischen Liturgie und Spiritualität entdeckt. Sicher, das ist nicht meine Welt, das muss ich dazusagen. Ich lebe in einer anderen Tradition, und die ist mir außerordentlich wichtig. Aber in den Begegnungen mit Katholiken habe ich gelernt, das Fremde nicht nur als Fremdes zu sehen, sondern als etwas, dem ich mit Respekt begegne und das mich bewusst oder unbewusst bereichert. Und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir die Ausbildung von Theologen und Theologinnen stärker ökumenisch öffnen müssen. So sollten Studierende der evangelischen Theologie, wie es an manchen Universitäten schon geschieht, Lehrveranstaltungen der katholisch-theologischen Fakultät besuchen und umgekehrt. Und das sollte nicht dem Zufall und der persönlichen Vorliebe der Studierenden überlassen bleiben, sondern fester Bestandteil des Curriculums werden.

Welches positive oder negative Erlebnis bei der Begegnung mit Katholiken fällt Ihnen spontan ein?

Friedrich Weber:

Mühsam finde ich das derzeitige strikte Nein zu Wort-Gottes-Feiern am Sonntag, das verschiedene Bischöfe ausgesprochen haben. Grund ist die Sorge, dass das Bewusstsein für die zentrale Bedeutung der Eucharistiefeier am Sonntag verloren zu gehen droht. Man gewöhne sich an den Notbehelf und empfinde ihn gar nicht mehr als Mangel. Eine solche Fehlentwicklung dürfe ein Bischof nicht zulassen. Meine Frage ist: Wird wegen des Priestermangels in Kauf genommen, dass Menschen vor Ort das Evangelium nicht mehr gesagt wird? Sehr positiv war, dass ich im vergangenen Jahr mit dem früheren Präsidenten des päpstliche Einheitsrates, Kardinal Walter Kasper, einen Studientag des Bistums Hildesheim zu Fragen der Ökumene gestalten durfte. Da habe ich auf der katholischen Seite ganz stark das Bedürfnis gespürt, sich gemeinsam mit den Fragen des Glaubens zu beschäftigen, voneinander zu lernen und zu einer gemeinsamen Sprache zu finden, um die christliche Botschaft in die heutige Zeit hinein zu übersetzen.

Das Interview führten Kathrin Jütte und Jürgen Wandel am 18. Juli 2012 in Wolfenbüttel.

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