Unmögliche Liebe

Mongolisches Melodram
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"Gold und Staub" ist ein Roman, bei dem unklar bleibt, wo die Autobiographie aufhört und die Fiktion beginnt.

Es ist ein Anruf, der alles verändert. Eine unbekannte Frauenstimme, jugendlich, selbstsicher, ein Gespräch, das plötzliche Nähe, aber auch Misstrauen entstehen lässt: Es gibt Andeutungen über einen möglichen Handel, ein Versprechen, das auch als Drohung verstanden werden kann. "Gold und Staub" ist der neueste Roman von Galsan Tschinag - eine Erzählung von der Suche nach der Bewahrung schamanischer Traditionen und des nomadischen Lebensraums, vom bedrückenden Erbe des Sowjet-Kommunismus, von Korruption und dem Raubtierkapitalismus, dessen Gier nach Ressourcen einen ganzen Lebensraum und alte Heiligtümer zu zerstören droht.

Vor allem aber handelt es sich um eine Liebesgeschichte, eher noch: ein Liebesdrama. Da ist auf der einen Seite der schon etwas betagte Schamane, dessen Vorhaben es ist, bis zu seinem Lebensende eine Million Bäume in der kargen Steppe zu pflanzen und den zerfallenen Friedhof seiner Vorfahren würdevoll herzurichten. Auf der anderen Seite: die geheimnisvolle Frau, schön, stolz und sehr verletzlich, die sich bald als Goldgräberin herausstellen wird, die ausgerechnet auf dem Land seiner Vorväter zerstörerischen Bergbau betreibt. Sie beide wissen, dass ihre Liebe eigentlich unmöglich ist - und dass sie nur darauf hoffen können, sich eines Tages gegenseitig nicht zu hassen.

"Gold und Staub" ist ein Roman, bei dem unklar bleibt, wo die Autobiographie aufhört und die Fiktion beginnt. Denn die Hauptfigur ist der Autor Galsan Tschinag selbst, auch Irgit Schynykbaj-oglu Dshurukuwaa genannt, der - alles andere als bescheiden, aber immer mit ausreichendendem Spott über sich selbst - in diesem Roman verschiedentlich gern einmal auf das eine oder andere schon von ihm geschriebene Buch verweist.

Tschinag ist aufgewachsen in Sibirien, im Hohen Altai; von dort führte er später seinen tuwinischen Stamm in einer Karawane in die mongolische Heimat zurück. Er führt ein Leben zwischen den Jurten in der weiten Steppe und dem modernen Leben der Hauptstadt Ulan Bator; er ist Schamane, Stammesführer und Schriftsteller und unternimmt regelmäßig Reisen nach Deutschland.

Denn zu diesem Land und seiner Sprache pflegt er eine besondere Beziehung, seitdem er als junger Mann in Leipzig Germanistik studiert hat. Viele seiner Romane hat er auf Deutsch verfasst; sie brachten ihm 1992 den Adelbert-von-Chamisso-Preis ein, 2001 den Heimito-von-Doderer-Preis und 2002 schließlich das Bundesverdienstkreuz.

Tschinag schreibt wortgewaltig, mitunter überbordend, und lässt den überraschten Leser so manches schon fast vergessene Wort seiner eigenen Sprache wiederentdecken. Wer sich auf die Detailfreude und mitunter sehr partizipienreiche Beschreibungen einlässt, wird mit einer Erzählung belohnt, die ihn oder sie an einer fremden Lebensweise und Gefühlswelt teilhaben lässt - so manch intensiver Wut- oder Tränenausbruch kommt für den eher spröden Westeuropäer doch überraschend.

Wer hier esoterische Wohlfühlprosa sucht oder ein bisschen mongolische Folklore, wird enttäuscht sein. Denn "Gold und Staub" spielt in der mongolischen Realität, in der die Traditionen eine wichtige Rolle spielen, die Errungenschaften der Moderne aber nicht verteufelt werden. Ganz im Gegenteil scheint es dem alten Schamanen das Selbstverständlichste von der Welt zu sein, seiner neuen Liebe poetische Zeilen per SMS zu schicken.

Und offensichtlich ist er den Erdendingen alles andere als entrückt. So kann bei Tschinag das richtige Gefährt Neid und Bewunderung auslösen, über das er dann ein bisschen schreibt wie einst Karl May über die Pferde der Indianer: "Ein wirklich edler, mächtiger Jeep, jener neueste Schrei aus der Ecke der Millionäre und Milliardäre, gegen den sie seit einiger Zeit ihren bisherigen Stolz, die Land Cruiser, tauschen: ein Luxus." Man sieht: Ein Kenner, was die aktuellen Statussymbole betrifft. Weltfluchtliteratur ist das nicht.

Galsan Tschinag: Gold und Staub. Unionsverlag, Zürich 2012, 346 Seiten, Euro 22,95

Natascha Gillenberg

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Natascha Gillenberg

Natascha Gillenberg ist Theologin und Journalistin. Sie ist Alumna und Vorstand des Freundes- und Förderkreises der EJS.


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