Vom Herumtreiben

Terje Rypdals "Odyssey" als Box
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Das zeichnet den norwegischen E-Gitarristen und Komponisten Terje Rypdal aus: Aufgeschlossenheit, ohne Jazzrock zu sein.

Warum nicht ganz auf "Rolling Stone" beschränken? Schließlich war das Stück mit seinen majestätischen 24 Minuten auf bisherigen CD-Ausgaben von Terje Rypdals 1975er-Album "Odyssey" nicht enthalten, weil es das Format gesprengt und eine Doppel-CD erfordert hätte. Doch es wäre Vergeudung, etwa die orgelmeditativen "Fare Well"-Hallen nicht zu betreten (ähnlich sakral klingt "Adagio") oder den frappierend "Peter Gunn"-mäßigen Basslauf zu verpassen, der "Midnite" prägt. Und das, obwohl wir laut Kartierung im Jazzland sind. Aber das zeichnet den norwegischen E-Gitarristen und Komponisten Terje Rypdal (*1947) aus: Aufgeschlossenheit, ohne Jazzrock zu sein. Zur Umschreibung werden oft John Coltrane und Jimi Hendrix genannt. Wobei Virtuosität und verzerrter Klang nur eine Seite sind, tonverschmelzendes Legato-Spiel die andere. Auch der quecksilbrige György Ligeti (das bekannteste Werk dieses Komponisten ist der Soundtrack zu Stanley Kubricks Film "2001 - Odyssee im Weltraum") ist ein wichtiger Einfluss.

Dass Rypdal Weggefährte von Jan Garbarek war, setzt ein weiteres Schlaglicht auf seine Reichweite. Für "Odyssey" hatte er mit Posaune (Torbjørn Sunde), Orgel (Brynjulf Blix), Bass (Sveinung Hovensjø) und Schlagzeug (Svein Christiansen) - Rypdal an Gitarre, Synthesizer und Sopransaxophon - ein Quintett zusammen, dem ein Meilenstein gelassener Wanderschaft gelang. Soweit die Kartographie.

Exemplarisch dafür ist aber eben das Stück "Rolling Stone" (Herumtreiber): tastender Orgelbeginn, öffnender, sehr funkiger Bass (die Temptations mit "Papa was a Rolling Stone" grüßen), singende Gitarre, souveräne Drums und eine satte Weltraumposaune schreiten in aller Ruhe und doch dynamisch ab, wohin man so kommt. Ein Ort, den der US-Autor und Sahara-Reisende Paul Bowles unter dem Titel "Taufe der Einsamkeit" einmal so beschrieben hat: "Lassen Sie das Tor des Forts oder des Städtchens hinter sich, gehen Sie an den schlafenden Kamelen draußen vorbei, gehen Sie hinauf in die Dünen oder hinaus in die harte, steinige Ebene und bleiben Sie dort eine Weile allein stehen. Entweder fangen Sie jetzt an zu zittern und laufen schnell wieder zurück in die Mauern, oder aber Sie bleiben stehen und lassen etwas sehr Außergewöhnliches geschehen, etwas, das jeder, der hier lebt, schon durchgemacht hat und das die Franzosen le baptême de la solitude nennen. Es ist eine einzigartige Empfindung, und sie hat nichts mit Verlassenheit zu tun, denn Verlassenheit setzt Erinnerung voraus. Hier, in dieser vollkommen mineralischen Landschaft, von den Sternen erhellt wie von Leuchtfeuern, verschwindet sogar die Erinnerung; es bleibt nichts übrig als Ihr eigenes Atmen und das Geräusch Ihres schlagenden Herzens." Ein Weg dorthin ist "Odyssey". Mit in der Box "Unfinished Highballs", ein Auftritt des Quintetts 1976 zusammen mit der fünfzehnköpfigen Swedish Radio Jazz Group. Ein weiteres Erlebnis.

Terje Rypdal - Odyssey. 3 CDs plus Beiheft in Pappklappbox, ECM Records 2012.

Udo Feist

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