Wunderliche Herren

zeitzeichen-Serie (IV): Theologie und Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus
Max Beckmann: "Familienbild George", 1935. Foto: dpa
Max Beckmann: "Familienbild George", 1935. Foto: dpa
Für die Theologen, die 1934 den "Ansbacher Ratschlag" unterzeichneten, hatte Gott unserem Volk in seiner Not den Führer geschenkt: Christiane Tietz, Professorin für Systematische Theologie und Sozialethik an der Universität Mainz, zeigt, weshalb sich viele Theologen so schwer mit dem Widerstand taten und wieso andere sich zu ihm durchrangen.

Politischer Streit, der Widerspruch gegen staatliche Entscheidungen, gewaltfreier Protest - für den, der in einer Demokratie großgeworden ist, sind das selbstverständliche Formen politischer Aktivität, selbst dann, wenn er sie nicht persönlich pflegt. Angesichts dessen und im Wissen um die Gräueltaten des Nationalsozialismus scheint nur Befremden darüber möglich, wie schwer sich evangelische Christen und Theologen in der Nazizeit mit dem Gedanken des Widerstandes und des Ungehorsams gegen "die Obrigkeit" getan haben. Den meisten galt das Gebot, "der Obrigkeit untertan" (Römer 13,1) zu sein, als unumstößlich. Und viele derjenigen, die sich in der einen oder anderen Weise für den Ungehorsam entschieden, konnten sich "die sittliche Freiheit zum Widerstand nur in schweren Gewissensentscheidungen ... mühsam abringen". (Ernst Wolf)

Zum einen lag dies an einem differenten Politikkonzept, zum anderen an der Gefahr, die Widerstand in einer Diktatur darstellt. In der Demokratie gilt: "Die politische Auseinandersetzung einschließlich der Kritik an der Regierung ist ... ein konstruktives Element des politischen Lebens." (Demokratiedenkschrift der ekd von 1985)

Selbst wer sich einzelnen staatlichen Verordnungen in persönlicher Gewissensentscheidung widersetzt, muss in der Bundesrepublik nicht um Leib und Leben fürchten. Widerspruch in einer Demokratie ist etwas anderes als Widerstand in einer Diktatur.

Hitler als Gottgeschenk

Allerdings zogen viele evangelische Christen und Theologen im Nationalsozialismus Widerstand gar nicht erst in Erwägung. Sie sahen in Adolf Hitler und seiner Ideologie vielmehr die große Chance, nach den Kränkungen der Niederlage im Ersten Weltkrieg, wieder nationalen Boden unter die Füße zu bekommen. Und sie priesen Hitler als Gottesgeschenk: Wir "danken ... als glaubende Christen Gott dem Herrn, daß er unserem Volk in seiner Not den Führer als 'frommen und getreuen Oberherrn' geschenkt hat und in der nationalsozialistischen Ordnung 'gut Regiment', ein Regiment mit 'Zucht und Ehre' bereiten will. Wir wissen uns daher vor Gott verantwortlich, zu dem Werk des Führers in unserem Beruf und Stand mitzuhelfen." So hieß es im "Ansbacher Ratschlag" von 1934, einem Protest gegen die "Barmer Theologische Erklärung", unterzeichnet von sechs Pastoren und den Erlanger Theologieprofessoren Werner Elert und Paul Althaus.

Diese Haltung wurde durch ein theologisches Politikverständnis gefördert, das zwischen kirchlichem und politischem Bereich nicht unterschied, sondern beide von denselben Grundsätzen geregelt sah: "Wir erstreben eine einheitliche Deutsche Volkskirche auf der Grundlage eines wirklich artgemäßen deutschen Christentums nach dem Grundsatz: Ein Volk, ein Reich, ein Glaube. ... Für die Kirche gelten restlos die gleichen Lebensgesetze wie für den Staat: Dienst an unserem Volk ist Gottesdienst", erklärten die Deutschen Christen am 18. November 1933.

Andere evangelische Theologen sahen deshalb keinen Grund zum Widerstand, weil sie, gerade umgekehrt, den christlichen und politischen Bereich rigoros voneinander separierten. Eine bestimmte Spielart der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre hatte zu einer Trennung von privater christlicher und öffentlicher politischer Existenz geführt. Das Christentum, so hieß es, werde verweltlicht, wenn man es mit Politik vermenge, die Politik umgekehrt klerikal bevormundet, wenn man christliche Normen auf sie anwende. Luther habe eine "Eigengesetzlichkeit" des Staates gelehrt, die es diesem zugestehe, eigenen Grundsätzen zu folgen. "Das Bedeutsame von Luthers Staatsanschauung ruht in der Aufnahme und allseitigen Ausgestaltung des Gedankens der Geschiedenheit und Eigengesetzlichkeit der beiden Sphären, des Reiches Gottes und des Staates." (Hermann Jordan)

Natürlich dürfe sich auch ein Christ politisch engagieren. Und bei diesem Engagement zeichne ihn eine besondere innere Gesinnung aus. Aber inhaltliche Maßstäbe für politisches Handeln könne er aus seiner christlichen Gesinnung nicht ableiten.

Nur nicht in der Kirche

Allerdings muss eine Trennung von politischem und christlichem Bereich nicht zwangsläufig zu Widerstandslosigkeit führen. Man könnte Widerstand zumindest dann für gefordert halten, wenn der Staat sich anmaßt, in die Belange der Kirche einzugreifen. Tatsächlich begegnet uns in theologischen Texten der Zeit häufig der Standpunkt, man wolle sich nicht zu staatlicher Politik äußern oder ihr widersprechen, wolle sich aber dagegen wehren, wie der Staat in kirchliche Angelegenheiten eingreife. Das staatliche Handeln wird akzeptiert, aber das kirchliche Handeln soll an anderen Grundsätzen orientiert werden: "Wenn der Staat als berechtigter Ausdruck völkischer Macht alle Nichtarier aus seinem unmittelbaren Dienst ausscheidet, so kann das die Kirche Christi nicht, die auf dem Gericht und Gnade verkündenden Wort Gottes steht und von ihm allein geleitet werden darf. ... Sonst müssen wir ernsthaft fürchten, dass außerkirchliche Maßstäbe, die im Gebiet des Staates durchaus ihre Berechtigung haben können, das Wesen der Kirche beständig gefährden." (Friedrich Schauer)

Angesichts der Debatte um die kirchliche Einführung des so genannten "Arierparagraphen", durch den alle Beamten mit einem jüdischen Eltern- oder Großelternteil aus dem Staatsdienst entfernt wurden, begegnet uns diese Argumentation mehrfach.

Freilich ist ein solcher, zunächst auf innerkirchliche Fragen bezogener Widerstand im Totalitarismus nicht gering zu achten. Denn damit widersetzt man sich ausdrücklich dem totalitären Anspruch des Staates. Der Mitautor der Barmer Theologischen Erklärung von 1934, Hans Asmussen, hat die Funktion des zentralen Dokuments der Bekennenden Kirche genau so beschrieben: "Wenn wir jetzt protestieren, dann protestieren wir nicht als Volksglieder gegen die jüngste Geschichte unseres Volkes, nicht als Staatsbürger gegen den neuen Staat, nicht als Untertanen gegen die Obrigkeit", sondern gegen "die Verwüstung der Kirche". Auch Karl Barths berühmtes Diktum von 1933, man solle auch jetzt, "nach wie vor und als wäre nichts geschehen - vielleicht in leise erhöhtem Ton, aber ohne direkte Bezugnahmen - Theologie und nur Theologie ... treiben", kann in dieser Richtung gelesen werden. Barth mahnt: "Die Kirche, ... die Theologie [kann] auch im totalen Staat keinen Winterschlaf antreten, kein Moratorium und auch keine Gleichschaltung sich gefallen lassen. Sie ist die naturgemäße Grenze jedes, auch des totalen Staates. Denn das Volk lebt auch im totalen Staat vom Worte Gottes."

Die Barmer Theologische Erklärung schärfte genauso ein: "Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben." Sie verwirft aber auch die Vorstellung, es gebe "Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären". Das ist mehr als das Festhalten eines kirchlichen Bezirks, der dem Anspruch des Staates nicht unterworfen ist.

Eid auf Hitler

Besonders brisant wurde die Unterscheidung zwischen Gehorsam gegenüber dem Staat in politischen Dingen und Widerstand gegen den Staat bei unrechtmäßiger Einmischung in kirchliche Belange für die Bekennende Kirche bei der Frage des Eides auf Hitler. Vor dessen Geburtstag am 20. April 1938 wurden alle Pfarrer der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union aufgefordert, einen Eid der Treue und des Gehorsams auf Hitler zu leisten. Wer ihn nicht ablege, werde entlassen. In der Bekennenden Kirche entbrannte eine Auseinandersetzung darüber, wie diese Aufforderung zu bewerten sei: Sei sie eine rein kirchliche Forderung, dann dürfe man ihr als Anordnung der unrechtmäßigen nationalsozialistischen Reichskirchenregierung Widerstand leisten. Sei sie aber eine staatliche Forderung, dann habe man ihr zu gehorchen. Man rang sich zu letzterer Lesart durch. Die meisten Pfarrer legten den Eid ab. Umso erschütternder war es für viele Bekenntnispfarrer, als anschließend deutlich wurde, dass der Staat das Ganze als rein kirchliche Frage angesehen hatte. Hier rächte sich eine zu starke Unterscheidung zwischen kirchlichem und politischem Leben. Und in der Folge hatte man mit der Frage zu kämpfen, ob man mit einem Eid der Treue und des Gehorsams gegenüber Hitler überhaupt noch dem Gebot gerecht werden konnte, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen (Apostelgeschichte 5,29).

Diesen Aspekt hatte - gern wird es vergessen - sogar Martin Luther betont. Seine Überlegungen zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit sind in der Tat differenzierter, als oft behauptet. Zwar wurden sie immer wieder für die "ungewöhnliche ... politische ... Torheit, Verworrenheit und Hilflosigkeit des deutschen Volkes" (Karl Barth) verantwortlich gemacht. Doch kennt Luther durchaus den Gedanken des Widerstandes. Wenn ein Soldat wisse, dass die Entscheidung eines Fürsten zum Krieg Unrecht sei, solle er ihr nicht folgen: "Lauf, was du laufen kannst, aus dem Felde."

Passiven Widerstand durch Fahnenflucht oder Emigration hielt Luther in bestimmten Situationen für legitim, und auch der gewaltfreie aktive Widerstand durch Gebet oder kritische Rede war für ihn akzeptabel. Doch weil allein die Obrigkeit das Schwert führen dürfe - sonst komme es zu Unordnung und Chaos -, dürfe ein Einzelner sich der Obrigkeit nie gewaltsam widersetzen. Durch juristische Argumente ließ sich Luther schließlich sogar von der Möglichkeit des gewaltsamen Widerstandes der Reichsstände gegen den Kaiser überzeugen. Denn der Kaiser wurde von deren Vertretern, den Kurfürsten, gewählt. Wenn er seine Pflichten ihnen gegenüber nicht erfüllte, durften sie sich militärisch gegen ihn stellen.

Dank für die Obrigkeit

Ähnliche Argumentationen begegnen tatsächlich auch bei kritischen Theologen zur Zeit des Nationalsozialismus. Angesichts von Unrecht und Tyrannei gegenüber zahllosen Menschen, insbesondere den Juden, wurde von ihnen nicht länger behauptet: "Als Christen ehren wir mit Dank gegen Gott jede Ordnung, also auch jede Obrigkeit, selbst in der Entstellung, als Werkzeug göttlicher Entfaltung, aber wir unterscheiden auch als Christen gütige und wunderliche Herren, gesunde und entstellte Ordnungen." (Ansbacher Ratschlag von 1934)

Stattdessen wurde argumentiert, die Obrigkeit verliere ihren Obrigkeitscharakter, wenn sie ihren von Gott gegebenen Auftrag dauerhaft missachte. In "der beharrlichen und willkürlichen Durchbrechung des Auftrages durch die konkrete Gestalt ... der Obrigkeit erlischt das göttliche Mandat im konkreten Fall." (Dietrich Bonhoeffer)

Schließlich finden sich auch Versuche, gewaltsamen Widerstand als legitim oder zumindest als geboten herauszuarbeiten. Karl Barth fragte 1938: "Kann man Gott um etwas bitten, das man nicht in den Grenzen seiner Möglichkeiten herbeizuführen im selben Augenblick entschlossen und bereit ist? Kann man also beten, daß der Staat ... zum Rechtsstaat wieder werden möchte, ohne sich in eigener Person, in eigener Besinnung und mit eigener Tat dafür einzusetzen, daß dies geschehe, ohne mit der Schottischen Konfession den ernstlichen Willen zu haben und zu bekennen: "vitae bonorum adesse, tyrannidem opprimere, ab infirmioribus vim improborum defendere" [das Leben der Guten ist zu fördern, die Tyrannei niederzuhalten, die Schwachen sind gegen die Gewalt der Bösen zu verteidigen] ...?"

"Nicht brennender geliebt..."

Dietrich Bonhoeffer besann sich für seine Beteiligung am gewaltsamen Widerstand gegen Hitler auf den Begriff der Verantwortung. Zwar wurde Gewalt damit nicht legitimiert. Aber sie wurde in besonderen Lagen als erforderlich angesehen. Es gebe, so formuliert Bonhoeffer, die "außerordentliche Situation", die "an die durch kein Gesetz gebundene freie Verantwortung des Handelnden" appelliert. Dann müsse der Mensch sich angesichts der Bedrohung der "nackten Lebensnotwendigkeiten von Menschen" in freiem Wagnis entscheiden. Das Gebot "Du sollst nicht töten" wird in dieser Situation nicht aufgehoben, es gilt nach wie vor. Man entschließt sich aber dazu, es zu durchbrechen. Damit lädt man auch vor Gott Schuld auf sich. Denn es gibt Situationen, in denen man sich nur zwischen Schuld und Schuld entscheiden kann. Ganz gleich, wie der Mensch hier handele, ob er gewaltsamen Widerstand leiste oder das Unrechtsregime gewähren lasse: "... so oder so wird der Mensch schuldig und so oder so kann er allein von der göttlichen Gnade und der Vergebung leben."

Zumindest etwas von dieser Einsicht spiegelt sich in der Stuttgarter Schulderklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland wenige Monate nach Kriegsende, auch wenn dort kein einziges Wort zum kirchlichen Versagen angesichts der staatlichen Judenvernichtung fiel: "Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben."

Literatur

Christiane Tietz: Dietrich Bonhoeffer. Theologe im Widerstand. Beck'sche Reihe Wissen 2775, München 2013, Euro 8,95.

Christiane Tietz

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