Pfarrer fürs Parlament

Die Kirche muss Lobbyarbeit und Seelsorge klarer trennen
Martin Dutzmann ist neuer Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Bundesrepublulik und der EU. Seine Doppelfunktion als Seelsorger und Lobbyist ist problematisch - sie führt zu einer Vermischung der Ebenen. Aus diesem Dilemma sollte die EKD ihren Bevollmächtigten befreien und eine Pfarrstelle für die Seelsorge schaffen.

Binnen eines Monats hat der Rat der EKD ein wichtiges Amt wiederbesetzt. Der lippische Landessuperintendent und Militärbischof Martin Dutzmann wurde zum "Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union" berufen (siehe Seite 70). In dem Amt, das er ab 1. Oktober bekleidet, muss Dutzmann wie ein Botschafter agieren: Er berichtet und erklärt denen, die ihn entsandt haben, wie die politischen Institutionen in Berlin und Brüssel ticken und was sie planen. Politikern und hohen Beamten muss er wiederum die Anliegen der EKD nahebringen. Im Klartext, der EKD-Bevollmächtigte ist Lobbyist.

Dass Bürger, einzeln und organisiert, Interessen verfolgen und auf diejenigen einwirken, die entscheiden, gehört zum Wesen der Demokratie. In den USA ist das selbstverständlich. Und so sind in Washington auch Religionsgemeinschaften mit Lobbyisten vertreten. Unter deutschen Protestanten wird Lobbyismus dagegen verachtet - oder kaschiert. Aber warum soll die Kirche das Feld anderen überlassen, zum Beispiel Hoteliers, die - erfolgreich - die FDP bearbeiten?

Martin Dutzmann wird in Berlin, zusammen mit seinem römisch-katholischen Kollegen, verstärkt für das geltende und bewährte Staatskirchenrecht werben müssen. Zwar schützt das Grundgesetz den Sonntag und das Recht von Religionsgemeinschaften, Religionsunterricht an öffentlichen Schulen zu erteilen und Steuern zu erheben. Doch die Linkspartei und die "Laizisten" bei Grünen und SPD wollen diese Rechte, die keine Privilegien der Großkirchen sind, beseitigen. Und unter dem Stichwort "Entweltlichung" propagieren auch reaktionäre Katholiken eine stärkere Trennung von Staat und Kirche. Wieder einmal berühren sich die Extreme.

Ein EKD-Bevollmächtigter vertritt aber nicht nur die institutionellen Interessen der Kirche, so wichtig sie sind. Er tut seinen Mund auch auf für die Stummen (Sprüche 31,8), diejenigen, die keine Interessengruppen bilden können, Flüchtlinge und andere.

Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider hat Martin Dutzmann als "erfahrenen Seelsorger" gewürdigt. Er wird ein Ohr für persönliche Probleme von Politikern haben, wie das schon die ersten EKD-Bevollmächtigten, Hermann Kunst in Bonn und Heinrich Grüber in Ost-Berlin, hatten. Doch die Doppelfunktion Seelsorger und Lobbyist ist problematisch. Denn sie führt zu einer Vermischung der Ebenen. Da vertraut ein Politiker dem Bevollmächtigten am Morgen eine persönliche Not an, und am Nachmittag will dieser jenen für Anliegen der Kirche gewinnen.

Aus diesem Dilemma (das auch die Kirchenlobbyisten bei Landtagen und Landesregierungen betrifft) sollte die EKD ihren Bevollmächtigten befreien und neben seinem Amt eine Pfarrstelle für die Seelsorge an Mitgliedern und Beschäftigten des Bundestages und Bundesrates schaffen. Natürlich können diese auch die Dienste ihres Gemeindepfarrers in Anspruch nehmen. Aber ein Sonderpfarrer kann im Parlament täglich anwesend sein. Seelsorgerliche Gespräche beginnen ja oft beiläufig, auf dem Flur, in Büros oder der Kantine. Und da werden auch die erreicht, die keine Verbindung zur Ortsgemeinde pflegen oder keiner Kirche angehören.

Jürgen Wandel

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