Es droht eine Überforderung

Nicht alle Probleme der Welt können auf dem Territorium der EU gelöst werden
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Würde von Europa das Signal ausgesendet "Wir nehmen alle Flüchtlinge bei uns auf und geben jedem ein Bleiberecht", würden schon in Kürze unsere Aufnahmekapazitäten weit überfordert werden, meint Wolfgang Bosbach, Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.
Flüchtlinge und Küstenwache vor Lampedusa. Foto: dpa/Carlo Ferraro
Flüchtlinge und Küstenwache vor Lampedusa. Foto: dpa/Carlo Ferraro

pro und contra Sollen alle Flüchtlinge nach Europa kommen dürfen? Flüchtlingen in Seenot auf dem Mittelmeer muss geholfen werden, darin sind sich alle einig. Doch die oft dramatischen Zustände an den EU-Außengrenzen stellen grundsätzliche Fragen an die Mitgliedstaaten der Union. Sollen alle Flüchtlinge in die EU einreisen dürfen? Oder droht eine Überforderung der Länder und Kommunen? Die Politiker Katrin Göring-Eckardt und Wolfgang Bosbach geben unterschiedliche Antworten.

Eines gleich zu Beginn, damit es über diesen Punkt keine unnötige Debatten gibt: Wenn Flüchtlinge auf ihren Wegen in eine bessere Zukunft in Lebensgefahr geraten, wenn sie bei der Überfahrt von Afrika nach Europa zu ertrinken drohen, müssen sie gerettet werden. Dann greift man nicht zum Gesetzbuch, sondern zum Rettungsring! Das ist ganz selbstverständlich. Umso verwunderlicher ist die Berichterstattung darüber, dass es das italienische Strafrecht verbiete, in Not geratene Flüchtlinge zu retten, weil ansonsten der Tatbestand der illegalen Schleusung erfüllt sei. Eine derartige Vorschrift kennt das italienische Strafgesetzbuch aber überhaupt nicht.

Wer das geltende (Einwanderungs-)Recht in Deutschland oder anderen EU-Ländern und die humanitäre Aufnahmepraxis kritisiert, darf sich an der Beantwortung der entscheidenden Frage nicht vorbeimogeln: Soll es bei dem bisherigen Prinzip sicherer EU-Außengrenzen und Grenzöffnung nach innen bleiben, und sollen die Staatengemeinschaft und die einzelnen Mitgliedsstaaten auch weiterhin souverän darüber entscheiden dürfen, wer einreisen darf und wer nicht? - oder sollen die Staaten zukünftig jedem die Einreise gestatten müssen, der sich auf den Weg gemacht hat, um in Deutschland oder Europa ein neues, besseres Leben zu beginnen? Millionen Menschen (nicht nur in Afrika) sind weltweit auf der Flucht. Sie fliehen vor Kriegen und Bürgerkriegen, vor unmenschlichen Lebensbedingungen, brutalen Diktaturen, vor Hunger und bitterer Not. Schon heute sind allerdings einige - nicht alle! - EU-Staaten bei der Aufnahme von Flüchtlingen an den Grenzen ihrer Aufnahme- und Integrationskapazitäten angelangt.

Großstädte klagen

Zwar hatten wir 1990/1991 unmittelbar nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs (noch) höhere Zuwanderungszahlen als heute. Richtig ist aber auch, dass viele Städte und Gemeinden unseres Landes mit der Aufnahme, Unterbringung und Versorgung der Schutzsuchenden völlig überfordert waren. Dies war ein wesentlicher Grund dafür, warum nachfolgend das Grundrecht auf Asyl geändert wurde - und die Zugangszahlen sind danach deutlich zurückgegangen, bis auf etwa 20 000 im Jahr 2006. Aber nun steigen sie wieder deutlich an.

Würde von Europa das Signal ausgesendet "Wir nehmen alle Flüchtlinge bei uns auf und geben jedem ein Bleiberecht", würden schon in Kürze unsere Aufnahmekapazitäten nicht nur ausgeschöpft, sondern weit überfordert. Über das übrige Migrationsgeschehen hinaus wird alleine die Bundesrepublik Deutschland 2013 wohl über 100.000 Flüchtlinge und Asylbewerber aufnehmen - mehr als jedes andere EU-Land. Schon heute klagen nicht wenige westdeutsche Großstädte über die damit verbundenen Probleme, zumal sich die Zahl der so genannten Erstanträge seit 2006 glatt verfünffacht hat.

Auch der Hinweis darauf, dass viele Asylantragsteller in ihren Herkunftsländern zwar nicht politisch verfolgt seien, hier aber als Fach- oder Arbeitskräfte dringend benötigt würden, überzeugt nicht. Zum einen gibt es schon nach geltender Rechtslage eine Fülle von Möglichkeiten für so genannte Drittstaatsangehörige, völlig legal nach Deutschland einzureisen, um hier zu studieren oder zu arbeiten, so dass ein Umweg über das Asylrecht weder sinnvoll noch notwendig ist. Zum anderen haben wir in Deutschland trotz relativ guter Konjunktur immer noch rund drei Millionen Erwerbslose, die wir dringend in Beschäftigung bringen müssen, unter ihnen überdurchschnittlich viele mit Migrationshintergrund. Kein Land hat grenzenlose Aufnahme- und Integrationskapazitäten. Auch Deutschland nicht. Deshalb ist es wichtig und richtig, vor Ort die Fluchtursachen zu bekämpfen und den Schleppern und Schleusern, die mit der bitteren Not der Menschen glänzende Geschäfte machen, das Handwerk zu legen.

Typisch CDU?

Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten wie kaum ein anderes Land weltweit politisch verfolgten Menschen, Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen Schutz, Hoffnung und eine neue Perspektive geboten. Deutschland alleine hat etwa die Hälfte der Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina aufgenommen und auch einen Großteil der Flüchtlinge aus dem Kosovo. Angesichts der Zuwanderungszahlen ist der Vorwurf der "Abschottung" daher komplett abwegig, der Vorwurf humanitärer Hartherzigkeit ebenso. Wir können nicht alle Probleme dieser Welt auf dem Boden der Bundesrepublik oder dem Territorium der EU lösen. Dies entbindet uns wiederum nicht von der Verpflichtung, unsere Anstrengungen zur Lösung vieler Probleme in den Konfliktregionen deutlich zu erhöhen. Die Hilfe muss dann aber auch tatsächlich den Hilfsbedürftigen zugutekommen!

Und wer nach Lektüre dieses Textes meint, "typisch CDU", der möge bitte die Regierungserklärung von SPD-Ikone Willy Brandt vom Januar 1973 in Ruhe studieren. Brandt sagte damals in puncto Zuwanderung wörtlich: "...dass wir sehr sorgsam überlegen, wo die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft erschöpft ist und wo soziale Vernunft und Verantwortung Halt gebieten". Am 23. November 1973 trat dann der Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer in Kraft. Damals lebten in Deutschland knapp vier Millionen Ausländerinnen und Ausländer, die Arbeitslosenquote lag bei etwa 1,2 Prozent.

Pro: Sollen alle Flüchtlinge nach Europa kommen dürfen?
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Wolfgang Bosbach

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