Wer gibt, gewinnt

Die Theologie der Märkte
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Für Hörisch ist die Ökonomie der kleine Bruder der Religion. Geld aber sei "auf Erlöse, nicht auf Erlösung" angelegt.

Geld und Glaube: die Frage nach ihrem Verhältnis hat Konjunktur. So hat schon Niklas Luhmann in seiner Religionssoziologie 1977 die Frage gestellt, ob in fortgeschrittenen Gesellschaften Medien wie Macht oder Glaube nicht geldähnlicher organisiert werden könnten. Und in der Tat: Glaube setzt wie Geld Vertrauen voraus - Fides und Fiducia haben analoge Strukturen. Der Theologe Falk Wagner hatte 1984 Überlegungen zur "Geldbestimmtheit der kulturellen und religiösen Lebenswelt" vorgetragen. Und in den vergangenen Jahren haben Sozialwissenschaftler wie Axel Paul (2012) und Christina von Braun (2012), der Philosoph Felix Heidenreich (2013) und der Literaturwissenschaftler Joseph Vogl (2010) im Rahmen einer monetären Theorie der Moderne behauptet, dass Geldwirtschaft und Marktgesellschaft traditionelle Funktionen von Religion übernommen haben.

Nun hat sich nach Studien zur "Poesie des Abendmahls" (Brot und Wein, 1992) und zur "Poesie des Geldes" (Kopf oder Zahl, 1996) der Germanist Jochen Hörisch zu einer "Theologie der Märkte" zu Wort gemeldet. Für Hörisch ist die Ökonomie der kleine Bruder der Religion, sofern man Religion als Kontingenzbewältigung verstehen kann. Geld begreift er demnach als "das Medium eines glänzend funktionierenden Kontingenzmanagements". Geld aber sei "auf Erlöse, nicht auf Erlösung" angelegt. Die Verwandtschaft von "Monotheismus und Moneytheismus" fußt Hörisch zufolge auf drei Strukturanalogien: vor allem auf dem Prinzip der Konversion, von Tausch und Metamorphose. Dieser Grundgedanke beherrsche die Theologie ebenso wie die Geldwirtschaft: Hier die Konversion des Wortes Gottes in Seiendes - vom Schöpfungsbefehl über die Menschwerdung bis zur Transsubstantiation -, dort die Wandlung des abstrakten Universums Geld in Waren, Dienstleistungen, Anerkennung und Macht. Ferner: Schumpeters Prinzip der "schöpferischen Zerstörung" und Adam Smiths anthropologisch-ökonomischer Gedanke, dass das Wirken einer "unsichtbaren Hand" dazu führe, private Laster in allgemeines Wohl zu verwandeln, habe religiöse Wurzeln im Glauben an die Erneuerung der Natur durch Zerstörung (Sintflut, Babel, Sodom, Kreuzestod) im "Stirb und Werde" des Lebens. Die Bonifizierung des Malum, die Gutes und Böses als Einheit einer Differenz zu verstehen lehrt, sei christologisch wie ökonomisch ein zwingender Gedanke.

Fazit: "Kapitalistische Marktwirtschaft ist alltagsreligiös praktizierter unkritischer Irrationalismus - und eben deshalb produktiv." Man kann Hörischs historischen und konzeptionellen Überlegungen in vielem folgen. Hörischs Leidenschaft, Strukturparallelen zwischen religiösem und zivilreligiösem Glauben herauszuarbeiten, verführt ihn freilich auch zu eher konstruierten als konstruktiven Behauptungen wie der Konstruktion einer "monetären Trinität".

Gleichwohl ebenso plausibel wie provokant ist Hörischs These, die ökonomische Aufklärung bleibe hinter dem Stand der religiös-theologischen Aufklärung weit zurück. Das macht er an einigen Skandalen aus dem trüben Zwischenreich von Banken und Politik sowie am fundamentalistischen Glauben der neoliberalen Markt-Deregulierung handgreiflich klar. Vor diesem Hintergrund plädiert er für eine "heitere ökonomische Aufklärung. Die können und müssen wir uns leisten, wenn wir nicht dran glauben wollen".

Die Pointe dieser kritischen Aufklärung verdankt sich freilich nicht einem von der Analogie von Geld und Glaube nahegelegten Rückgriff auf das religiöse Erbe. Der Germanist Hörisch sucht vielmehr einen ästhetischen Ausweg; er greift auf Goethe und Thomas Mann, insbesondere dessen Wirtschafts-Roman Königliche Hoheit zurück. Daran zeigt er, wie die freiwillige Hergabe von privatem Kapital sowohl dem eigenen Vorteil als auch dem Gemeinwohl dienen kann. Demnach "dürfte es eine gute Idee sein, ... den homo oeconomicus daran zu erinnern, dass er so klug nicht ist, wie er zu sein glaubt, wenn er unablässig zählt statt sich erzählen zu lassen, wie viel kontraproduktiver Irrglauben in seinen egoistisch auf Nutzenmaximierung zielenden Kalkülen steckt". "Wer gibt, gewinnt" - immerhin eine christliche Einsicht. Aber es bleibt unklar, welche Funktion die Aufdeckung der Analogien zwischen Geld und Glaube, Religion und Ökonomie am Ende hat.

Jochen Hörisch: Man muss dran glauben. Wilhelm Fink Verlag. München 2013, 132 Seiten, Euro 17,90.

Hans Norbert Janowski

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