Kritik am Gott Mammon

Im südkoreanischen Busan präsentiert sich der Weltkirchenrat geschlossen
Im Bexcozentrum trafen sich die dreitausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Foto: epd/Norbert Neetz
Im Bexcozentrum trafen sich die dreitausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Foto: epd/Norbert Neetz
Klimawandel und die globalisierte Wirtschaftschaftsordnung standen im Mittelpunkt der Vollversammlung des Weltkirchenrates (ÖRK) in Busan. Jan Dirk Herbermann, freier Journalist in Genf, beobachtete das Geschehen. Er kommt zum Schluss, dass sich der ÖRK wieder gefangen hat, nachdem er jahrelang im Niedergang begriffen war.

Jeden Tag zogen sie vor das Kongress-zentrum in Busan, Dutzende südkoreanischer Christen, konservative allesamt, um gegen "das Böse" zu protestieren. Das verkörpert in ihren Augen der Weltkirchenrat. Die Demonstranten bezichtigten ihn, für alles zu stehen, was sie verachten: Der Rat sei zu links, zu politisch, zu weltlich - und nicht fromm. "Der Weltkirchenrat zerstört den Glauben", stand auf den Pappschildern der evangelikalen Demonstranten.

Der ÖRK, der 350 papstunabhängige Kirchen mit mehr als 500 Millionen Mitgliedern umfasst, hielt zum ersten Mal eine Vollversammlung in Südkorea ab. Rund dreitausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer tummelten sich in den riesigen Hallen des Bexco-Kongresszentrums der Hafenstadt Busan (siehe Foto auf Seite 9). Sie waren gut an den grünen Tagungsausweisen zu erkennen, die um ihre Hälse baumelten. Die Vollversammlung gilt als der Höhepunkt im ökumenischen Kalender - sie findet nur alle sieben Jahre statt.

Doch nicht nur die koreanischen Eiferer vor dem Bexco-Komplex, auch einige Mitgliedskirchen hatten zuletzt harsche Kritik am Weltkirchenrat geübt. Er beschäftige sich vor allem mit sich selbst. Am Sitz der Organisation, in der Schweizer Diplomaten- und Bankenmetropole Genf, betreibe man nur ökumenische Nabelschau. Der ÖRK werde in der Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen, im Unterschied zur römisch-katholischen Kirche und ihrem neuen, medienwirksamen Papst.

Konservative Mitgliedskirchen wie die russisch-orthodoxe warfen westlichen Mitgliedskirchen vor, sich für die Gleichstellung von Homosexuellen in Kirche, Staat und Gesellschaft auszusprechen. Hinzu kam, dass der ÖRK auch noch in eine bedrohliche Finanzkrise schlitterte. Und es kam ans Tageslicht, dass der frühere Generalsekretär der Organisation, Samuel Kobia, sich jahrelang mit einem gekauften Doktortitel geschmückt hatte. So hatte sich vor Busan eine Menge Konfliktstoff angesammelt.

Dort aber präsentierte sich der Weltkirchenrat ge- und entschlossen. Und so hofften viele Delegierte, Busan könne für die Wende stehen. "Der ÖRK nimmt wieder Fahrt auf", stellte Martin Hein, Bischof der kurhessen-waldeckischen Landeskirche fest, der wieder in den ÖRK-Zentralausschuss gewählt wurde. Viele Delegierte forderten, der Weltkirchenrat solle sich weiter konsequent in die Weltpolitik einmischen. Und in Busan tat er es auch.

Der Tagungsort gab dem Leitthema "Gott des Lebens, weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden" eine besondere Brisanz. Der Weltkirchenrat beschloss, konkrete Schritte zur friedlichen Wiedervereinigung der seit mehr als sechzig Jahren geteilten koreanischen Halbinsel zu fördern. So wird der ÖRK im nächsten Jahr Christen aus dem diktatorisch regierten Nordkorea und dem demokratischen Süden zum Dialog einladen. Schauplatz des Treffens soll der Sitz des Weltkirchenrates auf dem "Heiligen Berg" in Genf sein.

Neben dem Frieden stand der Kampf gegen Erderwärmung und Armut in Busan ganz oben auf der Tagesordnung. Bei beiden Themen zeigten die Kirchen aus Nord und Süd, aus West und Ost Einmütigkeit. Pünktlich zum Beginn des Warschauer UN-Klimagipfels am 11. November pochten sie auf entschiedenes Handeln: "Der Klimawandel ist heute zu einer der größten globalen Bedrohungen geworden, von der insbesondere die verwundbarsten Bevölkerungsgruppen betroffen sind", heißt es in dem Appell der 350 Kirchen. Den vom Klimawandel betroffenen Menschen müsse die internationale Gemeinschaft helfen. Nur so könne Klimagerechtigkeit geschaffen werden. Vor allem Delegierte der EKD hatten sich in Südkorea für das Thema Klimagerechtigkeit starkgemacht.

Existenzielle Bedrohung

"Wenn die Schöpfung auf eine solche Art bedroht ist, sind die Kirchen aufgerufen, sich zu Wort zu melden und ihr Engagement für Leben, Gerechtigkeit und Frieden zum Ausdruck zu bringen", erklärt der Weltkirchenrat. Konkret verlangte er von den Regierungen, sich "für ambitionierte Ergebnisse des Warschauer Klimagipfels einzusetzen".

Eine existenzielle Bedrohung erleben die ÖRK-Mitgliedskirchen aus der Pazifik-Region: Sie fürchten um den Verlust ihres Lebensraums durch den Anstieg des Meeresspiegels. "Uns steht das Wasser wirklich bis zum Hals", klagte eine Delegierte von der Insel Tuvalu.

Und für Bayerns Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der seit kurzem auch dem Rat der EKD angehört (siehe Seite 14), sind das Problem des Klimaschutzes und der globalen Gerechtigkeit nicht voneinander zu trennen: "Die reichen Industriestaaten müssen ihren Lebensstil radikal ändern und die natürlichen Ressourcen mit den sich entwickelnden Ländern teilen."

Auch das christliche Hilfswerk "Act Alliance", dem auch die evangelischen Hilfsaktionen "Brot für die Welt" (Deutschland) und "Brot für alle" (Schweiz) angehören, mahnte einen entschlossenen Kampf der Staaten gegen die Erderwärmung an. Die Passivität der verantwortlichen Politiker führe die Welt in eine "unumkehrbare Klima-Katastrophe", warnte Generalsekretär John Nduna. In der Genfer Act-Zentrale koordiniert der Sambier den Einsatz von vierzehn Hilfsorganisationen. Sie helfen auch den Opfern des Klimawandels, zum Beispiel den Klimaflüchtlingen, die ihre Heimatländer wegen Dürren verlassen müssen.

Nach Busan beginnt jetzt die Arbeit. EKD-Auslandsbischof Martin Schinde-hütte betonte, die nächsten Schritte müssten vom Weltkirchenrat, aber auch von den Mitgliedskirchen und ihren Partnern ausgehen. So sollten Missionswerke und Entwicklungsnetzwerke den Aufruf für Klimagerechtigkeit, den der ÖRK in Busan formuliert hat, bei der täglichen Arbeit berücksichtigen. "Wir sind erst einmal selbst gefragt", meinte Schindehütte.

Neben dem Klimaschutz debattierte der Weltkirchenrat die Auswüchse einer unkontrollierten Weltwirtschaft. Man mahnte in einer Erklärung die Abkehr von einer globalen "Ökonomie der Habgier" an. Das zügellose Profitstreben trage zur Verarmung breiter Massen bei. Die Weltwirtschaftsordnung sei "gottlos". Die wirtschaftliche Globalisierung habe den Gott der Liebe durch "den Gott des freien Marktkapitalismus" ersetzt. Die Welt könne aber nicht durch die Schaffung von immer mehr Reichtum gerettet werden, heißt es in dem Text. "Es ist ein globales, vom Mammon bestimmtes System, das durch endlose Ausbeutung allein das grenzenlose Wachstum des Reichtums der Reichen und Mächtigen schützt." Habgier bedrohe mittlerweile den gesamten "Öko-Haushalt Gottes".

Die Vorherrschaft des "Gottes Mammon" beklagte auch der Vorsitzende der Kommission für Weltmission und Evangelisation, Geevarghese Mor Coorilos, Bischof der Syrisch-Orthodoxen Kirche in Indien. Geld, das Menschen in seinen Bann ziehe und von ihnen vergötzt werde, werde in der Bibel als "Mammon" bezeichnet.

Warnungen kamen auch aus den reichen Ländern: Die globalen Missstände von heute seien historisch einmalig und "suchen ihresgleichen", sagte die amerikanische Baptistenpfarrerin und TV-Journalistin Angelique Walker-Smith. "Die vorherrschende globalisierte Kultur scheint soziale, wirtschaftliche und ökologische Ungerechtigkeit hinzunehmen und zu legitimieren", sagte sie. Die Ausgrenzung der Ärmsten scheine sogar als "unvermeidbare Begleiterscheinung in einer Welt gesehen zu werden".

Zu einer stärkeren Kontrolle der globalen Finanzmärkte rief Martin Khor von der Entwicklungsorganisation "South Centre" auf. Der Finanzmarkt sei "korrupt" und zu "einem Monster geworden". Zudem müssten die reichen Länder ihren Lebensstil verändern, forderte der Malaysier. Den Pharmakonzernen warf er vor, mit ihrer Preispolitik vielen Kranken in armen Ländern den Zugang zu wichtigen Medikamenten zu versperren. Die Armen bräuchten kein Mitgefühl, unterstrich Khor. Vielmehr müssten "die ungerechten Strukturen umgewandelt werden". Das "South Centre" biete Entwicklungsländern eine Plattform für ihre gemeinsamen politischen und wirtschaftlichen Interessen - und man arbeite eng mit dem Weltkirchenrat zusammen.

Zwar fiel die Kritik an der Weltwirtschaftsordnung in Busan oft beißend und mitunter einseitig aus. Nur: Die Delegierten präsentierten keinen überzeugenden, ausgereiften Gegenentwurf zu den herrschenden marktwirtschaftlichen Prinzipien. Man beschwor vielmehr eine "Gegenkultur". Gerade Christen müssten eine "Ökonomie Gottes" vorleben, die auf den Werten der Liebe und der Gerechtigkeit für alle beruhe.

Vertreter einiger Kirchen aus den reichen Ländern betonten jedoch, es sei nicht die Aufgabe der Theologen, eine neue, gerechte Wirtschaftsordnung zu konzipieren. "Da müssen Ökonomen und Politiker ran, wir haben aber durchaus das Recht, die Missstände anzuprangern."

Am Ende der zehntägigen Vollversammlung hatten die Kirchen genau das gemacht: Die Ungerechtigkeiten und das Unrecht, zumal beim Klimaschutz und bei der Globalisierung, hielten sie in den Abschlusserklärungen fest. Bischof Schindehütte meinte zur globalen Rolle des ÖRK: "Wir dürfen nicht einfach nur Lobbyarbeit für ein bestimmtes Thema oder eine bestimmte Interessengruppe machen. Uns geht es im besten Sinn ums Ganze. Wir müssen die gesamte Schöpfung und alle Menschen im Blick haben."

Inwieweit die Appelle für eine gerechte, friedliche Welt tatsächlich Früchte tragen, können die Kirchen in rund sieben Jahren überprüfen. Dann trifft sich der Weltkirchenrat zu seiner nächsten, der elften Vollversammlung. Der Erzbischof von Canterbury Justin Welby, der auch geistliches Oberhaupt der Anglikanischen Weltgemeinschaft ist, warb in Busan eifrig für seine Kirche als Gastgeberin: Die Anglikaner würden den Glaubensbrüdern aus aller Welt einen "hervorragenden" Kongress bieten. Auch der Name eines Landes, das mit England konkurrieren könnte, machte in Busan die Runde: Russland. Und das wäre schon etwas Besonderes: Erstmals würden sich Orthodoxe um die Ausrichtung des größten Chris-tenkongresses der Welt bewerben.

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Jan Dirk Herbermann

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