Mit Gottes Segen?

Kirchliche Scheidungsrituale
Ökumenischer Gottesdienst für Getrenntlebende und Geschiedene in der evangelischen St. Jakobikirche in Berlin-Kreuzberg, 2012. Foto: epd/Rolf Zöllner
Ökumenischer Gottesdienst für Getrenntlebende und Geschiedene in der evangelischen St. Jakobikirche in Berlin-Kreuzberg, 2012. Foto: epd/Rolf Zöllner
Richtig verstanden, nämlich als Segnung zukünftig getrennter Lebenswege, ist im Gottesdienst Platz für eine rituelle Aufnahme von Scheidungen, meint Michael Klessmann, Professor em. für Praktische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel. Doch er fügt hinzu: In der Praxis werden solche Rituale wenig nachgefragt.

Die Eheschließung eines christlich orientierten Paares wird in der Regel mit einem Ritual in der Kirche besiegelt, mit einem Gottesdienst anlässlich der Eheschließung im Standesamt: Der Zuspruch des Segens Gottes für den gemeinsamen Weg des Paares bildet hier das Kernstück. Liegt es dann nicht nahe, angesichts der hohen Scheidungshäufigkeit in unserer Gesellschaft, auch einen speziellen Gottesdienst anzubieten, wenn ein Paar sich trennt oder sich scheiden lässt? Ist nicht auch eine Entbindung aus dem vor Gott gegebenen Versprechen des lebenslangen Verbundenseins möglich und hilfreich? Wenn in der Trauung Gottes Segen für den gemeinsamen Weg zugesagt wird, kann er dann nicht auch anlässlich der Scheidung (natürlich nur, wenn beide Partner das wollen) für die getrennten Wege der beiden ausgesprochen werden?

Diese Fragestellung ist in der evangelischen Kirche lange nicht in den Blick gekommen, weil die Ehe aus theologischer Sicht als von Gott gestiftet und deshalb unauflöslich gesehen wurde. Trennungen und Scheidungen galten zwar als Anlässe für Seelsorge und Beratung - aber für einen Gottesdienst? Konnte man liturgisch ein Ereignis begehen, das aus neutestamentlicher Sicht, streng genommen, verboten war oder höchstens wegen "eures Herzens Härte" (Matthäus 19,8) toleriert werden konnte?

Erst in den Achtziger- und Neunzigerjahren, als die hohen Scheidungszahlen unübersehbar geworden waren und in der Psychotherapie wirkungsvolle Abschiedsrituale praktiziert wurden, votierten zunehmend mehr Fachleute dafür, dass die evangelischen Landeskirchen diesen Kasus nicht länger ignorieren könnten. Man könne doch diesen offenbar immer häufiger vorkommenden Lebensübergang nicht nur dem Scheidungsrichter überlassen, ihn also nur juristisch bewältigen, sondern müsse doch gerade in einer solchen Krise ein rituelles Angebot zur Lebensvergewisserung machen. Einzelne Pfarrerinnen und Pfarrer begannen - angeregt durch Vorbilder in einigen Kirchen der USA und der Schweiz - Gottesdienste anlässlich einer Trennung oder Scheidung zu halten; daraus entstanden dann auch veröffentlichte Arbeitsmaterialien und Vorschläge für Scheidungsliturgien und Scheidungspredigten.

Die besondere Kraft der Rituale

Darin kommt der Wunsch zum Tragen, Betroffenen nicht nur individuell-seelsorglich beizustehen, sondern auch einen halböffentlichen gottesdienstlichen Raum bereit zu stellen, in dem der schwierige Übergang einer Trennung und Scheidung rituell bearbeitet werden kann. Gefühle von Schmerz und Trauer, Enttäuschung, Wut und Scham über den zu Ende gegangenen Lebensabschnitt sollten darin in Form einer Klage Ausdruck finden, Schuld sollte benannt sowie der Wunsch nach Vergebung und einem individuellen Neuanfang zur Sprache gebracht werden.

All das kann natürlich in Seelsorge und Beratung anlässlich einer Trennung bearbeitet werden. Aber Rituale entwickeln eine besondere Kraft, die deutlich über die Wirkungen eines Gesprächs hinausgehen kann: Ein Ritual, eine Symbolhandlung, gibt dem Ereignis eine sinnlich erfahrbare, eindrückliche Gestalt: Die beiden Betroffenen verabschieden sich in einer formalisierten Art und Weise, ein Ring wird zurückgegeben, ein Brief verbrannt oder ein Tuch zerrissen etc. Dadurch, dass das Ritual mit den Betroffenen gemeinsam vorbereitet und der Ablauf genau festgelegt wird, gewinnt es besonders an Gewicht: Die feierliche, gemessene Form schärft die Ernsthaftigkeit der Situation ein. Die rituelle Sprache bietet Worte an, wo es einem sonst eher die Sprache verschlägt. Emotionen werden auf diese Weise noch einmal neu belebt, aber auch kanalisiert und abgeschlossen. Der Statuswechsel (zurück vom Paar zu zwei Singles) wird vor einer begrenzten Öffentlichkeit bekräftigt und damit der Beginn für eine neue Identitätsentwicklung angestoßen.

Das Unterwegssein des Menschen

Der gottesdienstliche Rahmen stellt das Ereignis in einen religiösen, in einen unbedingten Horizont, in dem, unabhängig von unserem jeweiligen Tun und Lassen, der Segen Gottes zugesagt wird. Als ein Übergangsritus verdeutlicht ein solcher Gottesdienst, dass auch Trennung und Scheidung zum Unterwegssein des Menschen in der Welt zählen und Erfahrungen des Scheiterns "nicht trennen von der Liebe Gottes" (Römer 8,38f.).

In den verschiedenen Vorschlägen zum Ablauf eines Gottesdienstes anlässlich von Trennung und Scheidung eines Paares kehren charakteristische Elemente regelmäßig wieder: Begrüßung und Gebet; ein Rückblick auf die vergangene gemeinsame Zeit; eine symbolische Abschiedshandlung; Vorausblick auf die von nun an getrennten Lebenswege; Zuspruch des Segens Gottes für die beiden Einzelnen.

Doch es gab und gibt auch Bedenken theologischer und praktischer Art für ein solches kirchliches Ritual anlässlich von Trennung und Scheidung:

Endliche Beziehungen

Darf man überhaupt eine Ehescheidung in die Kirche bringen, wenn sie nach Gottes Willen nicht sein sollte? Stellt ein solches Ritual nicht eine missverständliche Heiligung der Trennung oder Scheidung dar? Dazu ist zu sagen: Der in diesem Zusammenhang oft genannte, Jesus zugesprochene Satz "Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden" (Matthäus 19,6), erscheint angesichts der tatsächlichen Motivationslage vieler Eheschließungen mehr als fragwürdig. Lässt sich daraus ein Verbot einer Scheidung ableiten?

Der Mensch als endliches Wesen ist auch in seinen Beziehungen begrenzt und endlich. Und weiter: Natürlich bezieht sich der Segen Gottes in einem Gottesdienst anlässlich der Scheidung nicht auf die Trennung als solche. Der Segen Gottes gilt den zukünftig getrennten Lebenswegen der beiden Partner. Der Segen - bei dessen Zuspruch der Pfarrer bekanntlich das Kreuzeszeichen schlägt - gilt in besonderer Weise dem menschlichen Leben, wenn es schwach, gebrochen und schuldig geworden ist. Die Beteiligten sollen spüren, dass sie gerade in dieser Situation, die sie als Versagen und Scheitern empfinden, Gott begleitet.

Bedenken bestätigt

Aber ist es überhaupt realistisch, in einer Situation, in der die Emotionen der Beteiligten beinahe ausschließlich auf inneren und äußeren Abstand voneinander zielen, in der Wut, Enttäuschung und Kränkung (noch) im Vordergrund stehen (auch wenn die tatsächliche Trennung schon eine Weile zurückliegt), gemeinsam ein Ritual vorzubereiten und daran teilzunehmen?

Die theologischen Bedenken führen dazu, dass die meisten Kirchen und Gemeinden ein solches Ritual nicht anbieten (wollen). Und die praktischen Vorbehalte haben sich bestätigt: Sehr selten suchen Paare gemeinsam eine solche gottesdienstliche Gelegenheit. Schon öfter kommt es vor, dass Frauen nach einer Scheidung allein ein Ritual wünschen, auch im Anschluss an oder im Kontext einer seelsorglichen Beratung, um den schmerzhaften Prozess der Trennung gleichsam vor Gott abschließen zu können.

Noch eine andere Form hat sich in einigen Kirchen eingebürgert: In größeren Zeitabständen einen Gottesdienst anzubieten, der sich - im Sinn eines Zielgruppengottesdienstes - an alle wendet, die sich in der jüngeren Vergangenheit haben scheiden lassen und die nun dieses Ereignis noch einmal in einem Gottesdienst bedenken möchten.

So bleibt das Fazit zwiespältig: Es spricht einiges dafür, dass die Kirchen Trennung und Scheidung eines Paares als Kasus ernst nehmen und ein entsprechendes Übergangsritual anbieten, andererseits macht es die psychologische Lage einem geschiedenen Paar meist unmöglich, ein solches Ritual tatsächlich wahrzunehmen.

Literatur

Barbara Alt-Saynisch, Gerson Raabe (Hg.): Das Ende als Anfang. Rituale für Paare, die sich trennen. Gütersloh 2002 (vergriffen - bei ZVAB googeln).

Ulrike Wagner-Rau: Segensraum. Kasualpraxis in der modernen Gesellschaft. Kohlhammer, Stuttgart 2008, 256 Seiten, Euro 24,-.

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Michael Klessmann

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