Wen Lachen lächerlich macht

Schlechte Witze machen Mitmenschen zum Objekt, gute trösten sie
"Befreiung durch Öffentlichkeit" – auch im Düsseldorfer Karneval. Foto: dpa/Caroline Seidel
"Befreiung durch Öffentlichkeit" – auch im Düsseldorfer Karneval. Foto: dpa/Caroline Seidel
Wer sich den Religionen humoristisch nähert, muss mit heftiger Abwehr rechnen. Denn selbst wenn sie nicht Ziel des Spotts seien, stünden die großen Religionen dem Humor skeptisch gegenüber, sagt Admiel Kosman, Professor für Jüdische Studien an der Universität Potsdam. Dennoch lernt der Leser des Talmuds: Lachen kann auch heilsam sein.

Die großen Religionen lassen im Regelfall eine Distanz zum Humor und dem maßlos törichten Lachen erkennen und betrachten beides als niedrige Ausdrucksweisen der mit der Torheit verbundenen Freude. Diese Haltung drückt sich zum Beispiel in den Worten der Bergpredigt aus: "Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen ... Weh euch, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen." (Lukas 6,21 und 25) In diesem Sinne erklärt der Kirchenvater Johannes Chrysostomos, dass Jesus in seinem Leben nicht ein einziges Mal gelacht habe und erläutert ferner, ein vernünftiger Mensch könne während seines Lebens in dieser Welt nicht lachen, wenn er von den schweren Qualen wüsste, die Jesus bei seiner Kreuzigung erlitten habe. Chrysostomos schlussfolgert zum einen, dass das Lachen und die Fröhlichkeit zur Sünde führten, zum anderen in Anlehnung an Lukas, dass diejenigen, die während ihres Lebens lachen, am Tag des letzten Gerichts weinen werden. - Diese Haltung ist für die Kirchenväter typisch. In den asketischen Strömungen des Judentums und Christentums existiert die Auffassung, dass der ideale Mensch sein gesamtes Leben lang nicht lacht. Und wie man von Jesus meinte, er habe nie gelacht, so wurden auch andere christliche Heilige für die erste Form der imitatio dei gelobt. So galt zum Beispiel der Heilige Antonius (250-356 n. Chr.) als ein hervorragendes Vorbild für einen Menschen, dessen Leben von göttlichem Ernst erfüllt war.

Im Koran lässt sich schwer eine humoristische Passage finden - bis auf jene Passagen, die denjenigen Hohn versprechen, die nicht denselben Glauben haben. Ähnlich respektlose Haltungen gegenüber "Ungläubigen" finden sich in allen anderen Religionen. In den Budhakarita, einer buddhistischen Quelle des 2. Jahrhunderts, steht geschrieben, dass sich Buddha, als er lachende Mädchen sah, fragte, wie sie nur so sehr lachen könnten, da doch in der Welt solche schrecklichen Erscheinungen wie Krankheit und Tod existierten.

Kindische Eigenschaft

In gleicher Weise lassen auch die antiken Quellen des Judentums eine Abneigung gegenüber dem Lachen erkennen. So heißt es zum Beispiel im Traktat Avot des babylonischen Talmud: "Wegen des Lachens und der Leichtsinnigkeit gewöhnt sich [der Mensch] an die Hurerei." Rabbi Jochanan, ein Gelehrter des 3. Jahrhunderts, warnte davor, dass "der Mensch in dieser Welt seinen Mund nicht mit Lachen fülle". Von Resch Lakisch, einem seiner Schüler, wird erzählt, er habe sein ganzes Leben lang darauf geachtet, nicht zu lachen. Und R. Josef Karo, der im 17. Jahrhundert die jüdischen Religionsgesetze kodifizierte, nahm diese Anweisung, dass "der Mensch in dieser Welt seinen Mund nicht mit Lachen fülle", in sein Werk Schulchan Aruch auf. Man beachte dabei jedoch die vorsichtige Formulierung dieser Anweisung: Der normale Humor und das gemäßigte Lachen werden nicht verboten!

Der berühmte Lyriker Chaim Nachman Bialik beklagte sich: "Bei uns [in unseren Quellen] gibt es wenig Humor. In der Hebräischen Bibel lassen sich schwer fünf durchgehende Verse finden, in denen Humor ersichtlich ist."

Aus theologischer Perspektive ist nachvollziehbar, warum die verschiedenen Religionen den Humor als ein dubioses und manchmal sogar korrumpierendes Phänomen betrachteten. Für den religiösen Menschen ist der Witz eine kindische Eigenschaft. Denn der Mensch, der Witze macht, ist auf sich selbst konzentriert; er erfreut sich in narzisstischer Weise an seiner geistreichen Phantasie sowie seiner Kunst des Wortspiels und sonnt sich in der Bewunderung seiner Zuhörer.

Salz auf die Wunden

Für jemanden, der die Forderung "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (Levitikus 19,18) in das Zentrum seines Lebens gestellt hat und mit Aufmerksamkeit auf seine Mitmenschen zugeht, offenbart sich die traurige Tatsache, dass der Alltag der meisten Menschen von Angst, Depressionen und anderen negativen Gefühlen geprägt ist. In dieser Situation kann sich der Possenreißer in seiner moralischen Hässlichkeit als ein Lebewesen erweisen, der für die Leiden seiner Mitmenschen völlig blind ist, oder - in schwereren Fällen - gar die Wunden seiner Mitmenschen mit Salz bedeckt.

Der religiöse Mensch, der dagegen ernst, verantwortungsbewusst und engagiert auftritt, möchte sich aus Rücksichtnahme vor dem Leiden anderer den Witz und das Lachen nicht leisten.

Das Leben eines religiösen Menschen dreht sich eigentlich um zwei konträre Pole. Es wird sowohl durch die Verzweiflung und das Leid in der Welt als auch von der Freude über die göttliche Offenbarung bestimmt. Dieses Paar entgegengesetzter Punkte charakterisiert die religiöse Denkweise auf der ganzen Welt: Wie aus den Heiligenlegenden ersichtlich, geht man zumeist davon aus, dass es das Leiden ist, welches den Menschen näher zu Gott bringt. So heißt es zum Beispiel in Hebräer 12,11: "Alle Züchtigung aber, wenn sie da ist, dünkt uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein; aber danach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind." Und im babylonischen Talmud steht geschrieben, dass "Qual und Leid den Menschen von allen seinen Sünden reinigen".

Narzisstischer Genuß

In der ständigen Bewegung zwischen Leid und Katharsis existiert kein Raum für den narzisstischen Genuss des Humors, der vom Leiden ablenkt. Aus diesem Grunde gelten Witze aus religiöser Perspektive als eine Art Flucht vor der großen geistlichen Herausforderung, die Konfrontation mit dem Leiden zu bestehen und den Weg der geistlichen Katharsis zu beschreiten.

Doch überraschenderweise finden wir auch Quellen in den Weltreligionen, die einen ganz anderen Standpunkt vertreten und den Humor als ein geistliches Werkzeug darstellen. Dies ist zum Beispiel in einer Erzählung der Fall, die sich im Babylonischen Talmud findet.

Im Subtext beschäftigt sich die rabbinische Erzählung mit den Diskrepanzen, die zwischen den Anstrengungen des alltäglichen Leben auf dem Markt und dem geistlichen Leben des gottesfürchtigen Menschen entstehen, der im geschäftlichen Treiben des Alltags deplatziert wirkt. Wie auch in anderen jüdischen Quellen ist der Markt ein Sinnbild für den seelischen Zustand des Menschen, der stark mit den Herausforderungen des Alltags beschäftigt ist. Der Talmud möchte ausgerechnet den Markt und nicht den geschützten Raum des Beit Midraschs als Ort einer geistigen Offenbarung präsentieren. Auf der Suche nach einer starken und glaubwürdigen Person für die geschilderte Situation führt der Talmud den Propheten Elija heran. Er ist in der jüdischen Tradition die Figur, die die geistige und zukünftige mit der realen Welt verbindet und dadurch den Gelehrten die Dinge offenbart, die dem Auge verborgen bleiben.

Auf dem Markt

Der Erzählung zufolge gehen Elija und Rabbi Beroqa auf dem Marktplatz einer Stadt namens Be Lapet spazieren. Der Rabbi fragt den Propheten, ob es auf diesem Marktplatz einen Menschen gebe, der sich durch seine guten Taten bereits einen Platz im Jenseits gesichert habe. Elija verweist den Rabbi auf zwei Brüder, die als Komödianten und Possenreißer die Traurigen erheitern und unter streitenden Menschen Frieden stiften. Sie sind die wahren Wohltäter, die dem Auge der Öffentlichkeit verborgen bleiben.

Wie lässt sich erklären, dass die beiden Witzbolde im Talmud als verborgene Gerechte präsentiert werden, die in der jenseitigen Hierarchie über den sichtbaren Gerechten angesiedelt werden, wo doch der Humor für die Weisen des Talmuds eine problematische Angelegenheit darstellt?

Vor Klärung dieser Frage muss darauf hingewiesen werden, dass in vielen Theorien versucht wurde, die eigentliche Natur des Lachens zu erklären. Ohne auf die verschiedenen Theorien näher einzugehen, soll doch kurz gesagt werden, dass viele Wissenschaftler die Angst als eine psychologische Ursache des Lachens annehmen. Es ist die Angst vor dem Fremden und die Abwehr des Unbekannten. Das Fletschen der Zähne beim Hund, das wie ein Lachen erscheint, äußert sich in der sozialen Welt des Menschen in Spott und Hohn über das Abweichen von Normen.

Es stellt sich hier die Frage, wie Humor in das geistliche Leben integriert werden kann. Was bleibt vom Lachen übrig, wenn von der Liste der verschiedenen Arten des Lachens der Hohn - das Lachen über den anderen - gestrichen wird?

Die eine Möglichkeit ist die Selbstironie, die jedoch meistens als Mittel eingesetzt wird, um sich von verborgenen Spannungen zu befreien. Der Psychoanalytiker Theodor Reik argumentierte, dass Selbstironie eine Form der Gewalt sei, welche nach innen statt nach außen gerichtet werde. Sören Kierkegaards Deutung des Humors als Selbstironie ging noch darüber hinaus. Denn der Theologe und Philosoph war der Auffassung, dass sich der Mensch durch die Artikulation der Ironie von sich selbst entfernen kann und dadurch das Lächerliche an ihm selbst objektiv zu sehen vermag.

"Weißen der Zähne"

Die oben erzählte talmudische Geschichte bietet eine tiefere Möglichkeit der Deutung, wenn man die Differenzierung von Mordechai Rotenberg anwendet, der zwischen einem "Lachen über jemanden" und einem "Lachen mit jemanden" unterscheidet. Der Talmud erwähnt die beiden Figuren unserer Erzählung, da sie den Humor als Mittel einsetzten, um im dialogischen Sinne gemeinsam mit anderen zu lachen. Das heißt, dass der Humor als Werkzeug dient, um eine Verbindung mit dem Anderen aufzubauen. An anderen Stellen bezeichnen die Gelehrten des Talmuds dies als "Weißen der Zähne" (Zähneblecken) - eine Bezeichnung, die sehr an das oben erwähnte abschreckende Zähnefletschen des Wolfes erinnert. Im Hintergrund des empathischen Lachens existiert ein permanentes Bewusstsein für die bedrohlichen Dimensionen des Fremden und Unbekannten. Durch das gemeinsame empathische Lachen verhelfen wir demjenigen zur Akzeptanz, der sich fremd fühlt oder leidet. Das "Weißen der Zähne" - das gemeinsame Lachen - ist gerade angesichts der Bedrohung als eine wohlwollende Einladung des Gastes zu verstehen.

Der Soziologe Ervin Goffman untersuchte die Grenzlinien zwischen dem Bereich, in dem wir lernen, als kultivierte Objekte in der äußeren Welt unsere beste Show zu spielen und dem anderen Gebiet, in welchem wir alle Teile verbergen, die uns in den Augen des anderen als weniger wert erscheinen lassen könnten.

Witz und Humor können die Funktion übernehmen, die Bereiche zu entblößen, in denen wir Dinge vor den Anderen verbergen. Dies geschieht zumeist auf indirekte Weise, indem wir die Angelegenheiten, die uns selbst betreffen, auf jemanden anderen projizieren. Doch der Witz enthält immer das Element der Überraschung, denn die Zurschaustellung der im Keller verborgenen Leiche ist genau jene Leiche, die wir mit unseren Bemühungen verstecken wollen. Dieser überraschende Akt ist zugleich auch ein therapeutischer Akt.

Befreiung durch Entblößung

Damit lässt es sich nun besser erklären, welche Kriterien einen guten Humor oder Witz ausmachen: Je stärker die verborgenen und verheimlichten Dinge entblößt werden, desto größer ist der Moment der Befreiung und die Überraschung durch das Unerwartete. Einer der wichtigsten Aspekte im Prozess der Befreiung durch Öffentlichkeit ist die Diskrepanz zwischen dem Verständnis des Nächsten als Subjekt und dem Verständnis des Anderen als Objekt. Nach außen hin präsentieren wir uns gerne mit Hilfe einer kulturellen Maske als Menschen, die eine uneigennützig-interessierte Kommunikation mit den Mitmenschen anstreben, während wir eigentlich danach trachten, unsere egozentrischen Strategien zu verbergen, mit denen wir unsere Mitmenschen als Objekte gebrauchen. Denn unser verborgener Wunsch besteht zumeist darin, die ganze Welt zu unserem Objekt zu machen, die wir nach unserem Belieben in unseren Dienst stellen können. Dazu ein Beispiel: "Jetzt werde ich endlich gehen", sagte der Gast, nachdem er sich schon mehrfach verabschiedet hatte und doch noch nicht gegangen war: "Ihr müsst euch nicht bemühen, mich bis zur Tür zu begleiten; ich kenne ja den Weg." "Nein, das bereitet uns keine Mühe", erklärten die Gastgeber mit einem Lächeln, "das ist uns ein Vergnügen."

Der Witz deckt mit einem Augenzwinkern über den Kopf des ahnungslosen Gastes hinweg das verborgene Wissen zwischen dem Gastgeber und dem Leser auf. Die Gestalt des Gastes wird in ihrer Ehre herabgesetzt, ihrer menschlichen Dimension beraubt und dadurch zu einem Objekt degradiert.

Abschließend kehren wir zu jenen Komödianten aus der talmudischen Episode zurück, denen bereits in der diesseitigen Welt der Verdienst zugebilligt wurde, der jenseitigen Welt teilhaftig zu werden. Die Tatsache, dass sie den Rabbinen als große Helden gelten, können wir auf folgende Weise verstehen: Ihre Possen und Witze, mit denen sie traurige Menschen im Durcheinander des Marktes aufzuheitern versuchten, zielten darauf ab, die therapeutischen Dimensionen des Witzes auszunutzen.

Den vernünftigen Lesern des Talmuds dürfte klar sein, dass sie die Witze nicht dazu gebrauchten, um andere auszulachen, da Zynismus und entblößender Humor keine Werkzeuge sind, welche den Zuhörern helfen, sich entlastet zu fühlen. Es ist also davon auszugehen, dass diese Komödianten den traurigen Menschen, die sie trafen, durch das gemeinsame Lachen den Druck der verborgenen Schwächen nahmen, die jene belasteten und einsam machten. Die beiden Brüder schafften es also, ihren Zuhörern das Gefühl zu verleihen, dass alle Menschen unter ihren Lasten genau so litten wie sie selbst. Dadurch vermittelten sie den leidenden Menschen einen großen Trost - gerade im Durcheinander des Marktes - auf einem Platz, an dem niemand die Trauer des anderen bemerkt und jeder nur damit beschäftigt ist, seine unmittelbaren Begierden zu sättigen und Leistungen zu erfüllen.

Admiel Kosman

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kirche"