Verbot beerdigt

Monatelang stritt die Regierung um ein Sterbehilfegesetz, das nun doch nicht kommt
Foto: Werner Krüper
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Die schwarz-gelbe Koalition hatte sich vorgenommen, die Sterbehilfe zu verbieten. Aber Union und FDP konnten sich nicht einigen, wie weit das Verbot gehen sollte. Nun kommt es gar nicht. Die Journalistin Bettina Markmeyer beleuchtet die Strukturen der Sterbehilfe in Deutschland und das Werden und Vergehen einer hochumstrittenen Gesetzesinitiative.

Die Rechtslage in Deutschland ist eigentlich einfach: Sich selbst zu töten ist nicht verboten. Folglich kann auch die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar sein. Aber die Realität ist natürlich komplizierter.

So muss die Polizei einschreiten, wenn sie von einem Suizidversuch erfährt. Die Polizisten müssen auch mögliche Helfer an der Beteiligung hindern. Ein Arzt, der hinzugerufen würde, müsste ebenfalls alles tun, um den Sterbewilligen zu retten. Der Verein SterbeHilfe Deutschland empfiehlt deshalb, die Vorbereitungen zum Freitod sehr diskret zu organisieren.

Gründer von SterbeHilfe Deutschland ist der frühere Hamburger Justizsenator Roger Kusch. Es ist Kuschs zweiter Sterbehilfe-Verein. Er hat ihn 2009 gegründet, in demselben Jahr, in dem er mit seinem ersten Verein Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e. V. gescheitert war. Das Verwaltungsgericht Hamburg hatte damals Kuschs Sterbehilfe gegen Bezahlung als nicht erlaubtes Gewerbe verboten. Der Verein, der vom Hamburger Finanzamt als gemeinnützig anerkannt worden war, hatte Sterbehilfe für einen Preis von 8000 Euro angeboten und dafür auf seiner Internet-Seite geworben. Inzwischen existiert der erste Kusch-Verein nicht mehr.

Möglicher Freitod zu Hause

Kuschs Tätigkeit ist höchst umstritten und einer der Gründe für das geplante Verbot der Sterbehilfe. 2008 hatte er öffentlich bekanntgegeben, dass er erstmals einer 79-jährigen Frau beim Suizid geholfen hatte. Dabei hatte er betont, nicht er selbst habe das tödliche Mittel, ein Malaria-Medikament in Überdosierung, besorgt. Es wurde von einem Arzt verschrieben, der nicht bekannt ist. Die Staatsanwaltschaft prüfte damals, ob Tötung auf Verlangen oder unterlassene Hilfeleistung vorlag. Kusch ist bis heute nicht verurteilt worden.

Seinen jetzigen Verein SterbeHilfe Deutschland hat Kusch nicht in Hamburg, sondern im nahegelegenen Oststeinbeck eintragen lassen, weil das Hamburger Amtsgericht die Eintragung wegen des Verdachts der Förderung der Selbsttötung verweigert hatte. Inzwischen gibt es einen zweiten SterbeHilfe-Verein mit Sitz in Zürich, der für Süddeutschland zuständig ist, während Sterbehilfe Deutschland im Norden, Westen und Osten tätig ist. Kusch hat das Geschäftsmodell geändert. Nachdem ihm verboten wurde, die Selbstmord-Hilfe gegen Bezahlung anzubieten, finanziert er sein Geschäft nun über Mitgliedsbeiträge.

Das hat er gemeinsam mit dem 2005 in Hannover gegründeten Ableger der Schweizer Organisation "DIGNITAS". Beide Vereine finanzieren sich über Beiträge. Eine Mitgliedschaft kostet rund zweihundert Euro pro Jahr. Dafür gibt es Informationen, Beratung und Hilfe beim Suizid.

SterbeHilfe Deutschland ermöglicht den Freitod zu Hause. Die Sterbehelfer kommen in die Wohnung und bringen das tödliche Mittel mit. DIGNITAS Deutschland hingegen vermittelt lediglich den Kontakt in die Schweiz. Dort ist die Hilfe zum Selbstmord für Ärzte straffrei, wenn sie ohne Eigennutz erfolgt und wenn der Sterbewillige das tödliche Mittel selbst und ohne Hilfe des Arztes einnimmt. Deutsche DIGNITAS-Mitglieder müssen dafür nach Zürich fahren. DIGNITAS verwendet eine tödliche Dosis des Beruhigungs- und Schlafmittels Natrium-Pentobarbital, das in Deutschland verboten ist.

Die Frage, welches Mittel sein Verein einsetzt, beantwortet Roger Kusch nicht. Er sagt auf Nachfragen lediglich, deutsche Ärzte verschrieben eine tödliche Dosis vergleichbarer Ersatzmittel, die hierzulande zugelassen sind. Strafbar machen sich die Mediziner damit nicht.

Dennoch gibt es nur wenige Ärzte in Deutschland, die mit den Sterbehelfern von Kusch zusammenarbeiten. Denn es ist ihnen berufsrechtlich untersagt. Die Bundesärztekammer hat nach einem Beschluss des Deutschen Ärztetages 2011 die Vorschrift in die Berufsordnung aufgenommen, dass Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen.

Tötung auf Verlangen ist strafbar

Verwechselt wird die Hilfe zur Selbsttötung übrigens oft mit der Tötung auf Verlangen. Wenn ein Arzt einem Patienten auf dessen Wunsch eine tödliche Dosis von Medikamenten verabreicht, macht er sich eindeutig strafbar und muss mit bis zu fünf Jahren Haft rechnen. Erlaubt und auch im ärztlichen Berufsrecht geregelt ist hingegen das Sterbenlassen, also der Verzicht auf lebensverlängernde Eingriffe, wenn der Sterbeprozess eingesetzt hat.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat auf Drängen der Union im vorigen Jahr ein Gesetz vorgelegt, mit dem die Sterbehilfe verboten werden soll. Sie erfüllte damit eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag - allerdings nur zögerlich. Außerdem sei der Gesetzentwurf unzureichend, sagen ihre Kritiker.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ziele der "Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung" tatsächlich auf die deutschen Sterbehilfe-Organisationen. Es sei zu befürchten, heißt es in dem Entwurf, "dass die Hilfe zum Suizid als normale Dienstleistung angesehen wird und sich Menschen zur Selbsttötung verleiten lassen, die dies ohne ein solches Angebot nicht tun würden". Zwar fehlten wissenschaftliche Erkenntnisse, inwieweit kommerzielle Angebote die Suizid-Rate beeinflussten. Doch zeigten Statistiken aus den Niederlanden, Belgien und der Schweiz, dass die Fallzahlen seit der Liberalisierung der Sterbehilfe-Gesetze in diesen Ländern eindeutig steigen.

Doch nach Auffassung der Union - und auch der beiden Kirchen - würden die Sterbehelfer von Kusch und DIGNITAS mit dem Gesetzentwurf nicht erfasst. Sie könnten ihr Geschäft auch weiterhin betreiben, bemängeln die Kritiker, weil sie als Vereine organisiert seien. Deshalb wollen die Kirchen und auch die Ärzteschaft das Verbot auf jede Form der organisierten Sterbehilfe erweitert sehen.

Jeder organisierte Sterbehilfe strafbar?

Der Gesetzentwurf, der bereits vom Kabinett gebilligt und in den Bundestag eingebracht worden war, steckt daher im Rechtsausschuss fest. Die für den Januar geplante Verabschiedung wurde vom Unionsfraktionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU) abgeblasen, nachdem die Zahl der Kritiker in den eigenen Reihen zu groß geworden war und sie sich auch auf dem Bundesparteitag mit einem Gegenantrag zu Wort gemeldet hatten. Inzwischen hat der CDU-Abgeordnete und Behindertenbeauftragte der Regierung, Hubert Hüppe, einen zweiten Entwurf vorgelegt, der nicht nur die gewerbsmäßige, sondern jede organisierte Sterbehilfe mit Gefängnis bedroht und auch die Vereine von Kusch und DIGNITAS erfassen würde.

Strittig ist in der Koalition außerdem, ob der Entwurf der Justizministerin für Ärzte und medizinisches Personal eine Hintertür öffnet, sich straffrei als Suizid-Beihelfer zu betätigen. Viele in der Union fürchten das, unter anderen die stellvertretende Parteivorsitzende Julia Klöckner, die den Aufstand auf dem Bundesparteitag angeführt hatte, und der Gesundheitspolitiker Jens Spahn. Spahn meint, käme das Gesetz, das die Sterbehilfe-Vereine gerade nicht trifft, wirke das so, als werde deren Arbeit legalisiert.

Nachdem es den Parlamentariern nicht gelungen war, die gegensätzlichen Positionen von Union und FDP zu überbrücken, zog Angela Merkel Anfang Mai passend zum Kirchentag die Notbremse. In einem Interview mit der katholischen Bistumspresse sagte sie, die Koalition habe sich lediglich auf ein Verbot kommerzieller Sterbehilfe verständigen können. Für ein weitergehendes Verbot, wie auch sie selbst es sich wünsche, sehe sie indes noch keine Mehrheit. Dafür müsse man sich mehr Zeit nehmen.

Gegnerin jeden Verbots

Das bedeutet, dass der Gesetzentwurf der Justizministerin aufgegeben und bis zur Bundestagswahl im Herbst nicht mehr verabschiedet werden wird. Und Roger Kusch behält Recht, der sich bereits im März sicher war: "Der Versuch uns zu verbieten, ist politisch schon gescheitert."

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger selbst hat übrigens nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihr die Verabschiedung ihres eigenen Gesetzentwurfes "kein Herzensanliegen" war. Die Liberale gehört dem Beirat der Humanistischen Union an, die zu den entschiedenen Gegnerinnen eines jeden Verbots der Sterbehilfe zählt, weil sie darin eine unzulässige Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts sieht.

Die FDP-Justizministerin dürfte also nicht unglücklich sein, dass ihr Gesetzentwurf gescheitert ist. Es bleibt bei der gegenwärtigen Rechtslage: Beihilfe zum Suizid ist straffrei. Jedenfalls bis zum nächsten Verbotsversuch.

Information

Den Gesetzentwurf findet man in Internetsuchmaschinen unter "Gesetz zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung".

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Bettina Markmeyer

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