Den Koran lesen

Konfliktfelder
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Für diese Intellektuellen - wie für viele Muslime ohnehin - gibt es keinen Widerspruch zwischen Islam und Demokratie, Menschen- und Frauenrechten.

Der Koran fordert seine Leser in der 39. Sure auf, ihn auf die bestmögliche Weise zu lesen. Dadurch ermutigt, versuchen zahlreiche muslimische Intellektuelle, mit Hilfe des Korans verkrustete Gesellschaftsstrukturen aufzubrechen. Sechs dieser Denker stellt die Hamburger Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur in ihrem neuesten Buch vor. Die vier Männer und zwei Frauen geben mit ihrem Leben und Werk einen tiefen Einblick in die Konfliktfelder, auf denen konservative Beharrungskräfte und Veränderungswille aufeinanderprallen. So ist der ägyptische Literaturwissenschaftler Nasr Hamid Abu Zaid ein Wegbereiter für einen literaturwissenschaftlichen Zugang zum Korantext. Die US-Islamwissenschaftlerin Amina Wadud ist eine Vorkämpferin des islamischen Feminismus - auch wenn sie diesen Begriff nicht mag. Der iranische Philosoph Abdolkarim Soroush steht für die scharfe Kritik am Führungsanspruch der Theologen in seiner Heimat. Hinzu kommen der Pakistaner Fazlur Rahman, der Iraner Mohammad Shabestari und die gebürtige Pakistanerin Asma Barlas.

Eine zentrale Rolle in ihren Theorien spielt die Frage, welche Funktion Mohammed im Offenbarungsgeschehen hatte. War der Prophet des Islam nur eine Art Sprachrohr, der die arabische Botschaft Allahs Wort für Wort weitergab? Oder übersetzte Mohammed die göttliche Inspiration für seine Zeitgenossen und passte sie damit an ihre Lebensumstände an? Von der Antwort hängt ab, ob der Korantext im Wortlaut als allezeit verbindlich gilt oder ob der tiefere Sinn in den Suren gesucht wird. Dieser Sinn kann dann immer wieder neu ins Leben der Gläubigen übertragen werden, wie die Professorin und Autorin Amirpur anhand der vorgestellten Denker deutlich macht. Für diese Intellektuellen - wie für viele Muslime ohnehin - gibt es keinen Widerspruch zwischen Islam und Demokratie, Menschen- und Frauenrechten.

Die sechs Männer und Frauen verstehen sich einerseits als gläubige Muslime. Sie wollen andererseits auch ihre Leser und Zuhörer in deren Religiosität erreichen. Dementsprechend betont die in den USA lebende Barlas in Amirpurs Buch, "dass kein bedeutungsvoller Wandel in diesen Gesellschaften herbeigeführt werden kann, der seine Legitimität nicht aus den Lehren des Korans bezieht".

Das Festhalten am Koranbezug bei gleichzeitigem Willen zur Neuerung birgt die Gefahr, von allen Seiten missverstanden zu werden. "Entweder man steckt uns in die Ecke der Islamisten oder man unterstellt uns säkulare Tendenzen", erklärt die Feministin Wadud. In diesem Spannungsfeld geht es Amirpur nicht nur um Leben und Werk der Denker, sondern auch um ihre Wirkung. Als Wadud in den USA ein Gebet leitete, an dem Männer und Frauen teilnahmen, stieß sie auch eine Debatte über die Rolle der Frau im Islam an. Nach vorherrschendem Islamverständnis kann nur ein Mann Vorbeter vor Männern sein. Der mittlerweile verstorbene Abu Zaid musste zwar seine Heimat Ägypten verlassen, regte aber weltweit Muslime an, den Korantext neu zu lesen.

Amirpurs Buch konzentriert sich auf wenige exemplarische Denker. Wer eine Darstellung mit größerer Zahl und knapperer Darstellung muslimischer Intellektueller wünscht, sollte auf ihr Buch Der Islam am Wendepunkt zurückgreifen.

Katajun Amirpur: Den Islam neu denken. Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte. C. H. Beck Verlag, München 2013, 256 Seiten, Euro 14,95.

Andreas Gorzewski

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