Es bleibt nichts wie es war

Buchhandel und Verlage stellen sich den Herausforderungen des Internetzeitalters
Standort Leipzig: Mitarbeiter und Aushilfskräfte arbeiten an unzähligen Packstationen des Internetanbieters Amazon. Foto: dpa / Peter Endig
Standort Leipzig: Mitarbeiter und Aushilfskräfte arbeiten an unzähligen Packstationen des Internetanbieters Amazon. Foto: dpa / Peter Endig
E-Books, Digitalisierung und der Siegeszug des Internets bedrohen nicht die Zukunft des Buches, wohl aber die Existenzgrundlage vieler Menschen, die von ihm leben. Die Buchbranche steckt in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess, dessen Ausgang ungewiss ist, meint "buchreport"-Redakteur David Wengenroth.

"E-Books werden die Buchhandlungen und die Verlage töten", sagte kürzlich der dänische Bestsellerautor Jussi Adler-Olson in einem "buchreport"-Interview. Da sprach nicht etwa eine kulturkonservative oder ästhetische Abneigung gegen die körperlosen Texte auf den fahlen Bildschirmen der Lesegeräte. Unter Buchhändlern und Verlegern geht die Angst um, dass die elektronischen Bücher ihnen die wirtschaftliche Existenzgrundlage unter den Füßen wegziehen werden.

Das klingt angesichts ihrer gegenwärtigen wirtschaftlichen Bedeutung fast kurios. Das Marktforschungsunternehmen Media Control beziffert den E-Book-Anteil am populären Buchmarkt in Deutschland auf 2 Prozent. Grundlage für Angst und drastische Prognosen sind eher Zukunftsszenarien, in denen die klassische Buchbranche keine Rolle mehr spielt. Denn um ein E-Book zu kaufen, braucht man keinen Buchladen. Das Geschäft mit den elektronischen Büchern findet vollständig im Internet statt. Und um ein E-Book herzustellen und zu vertreiben, braucht man nicht zwangsläufig einen Buchverlag.

Wer früher ein Buch geschrieben hatte, musste auf die oft langwierige und schwierige Suche nach einem Verlag gehen. Die Schriftstellerin Joanne K. Rowling zum Beispiel blitzte mit Harry Potter bei mehreren Verlagen ab, bevor Bloomsbury das Buch zur Veröffentlichung annahm. Wer heutzutage ein Buch geschrieben hat, kann beim Online-Buchhändler Amazon auf den Link "Ihr Buch veröffentlichen" klicken und selbst eine E-Book-Version für das Amazon-Lesegerät Kindle basteln. Das dauert fünf Minuten und kostet nichts. Am nächsten Tag ist das E-Book dann im "Kindle-Store" weltweit erhältlich. Und es kommt noch besser: Während die Autoren bei klassischen Buchverlagen in der Regel zu gerade einmal 8 bis 10 Prozent an den Einnahmen beteiligt werden, bekommen die Self-Publisher bei Amazon bis zu 70 Prozent der Verkaufserlöse.

Es ist also gar nicht so weit hergeholt, wenn Jussi Adler-Olson sagt: "Ich gehe davon aus, dass in zehn Jahren die meisten Autoren Lektoren dafür bezahlen werden, ihr Buch zu überarbeiten, und es dann selbst verlegen. Denn: Die wenigsten Autoren können vom Schreiben leben. Sie werden jede Gelegenheit ergreifen, mehr verdienen zu können." Dieses Szenario ist so plausibel, dass die aktuellen 2 Prozent E-Book-Anteil am populären Buchmarkt auf einmal gar nicht mehr so beruhigend klingen. Zumal die Umsätze der Verlage mit elektronischen Büchern, wenn auch auf niedrigem Niveau, sprunghaft ansteigen. Konsequent weitergedacht, werden Verlage und Buchläden einfach deshalb verschwinden, weil sie keiner mehr braucht.

Weil es aber sehr viele Menschen gibt, die gedruckte Bücher lieben und keine Lust auf das elektronische Lesen haben, wird es tatsächlich wohl doch nicht so weit kommen. Die Frage ist nur: Wie weit kommt es? In den USA wurden nach Zahlen des Marktforschungsinstituts Bowker 2011 schon fast 15 Prozent aller neuen Bücher als E-Books verkauft. Bei den belletristischen Büchern waren es sogar knapp 30 Prozent, womit sich der E-Book-Anteil innerhalb eines einzigen Jahres mehr als verdoppelt hatte. Andererseits deutet einiges darauf hin, dass die Entwicklung in Deutschland anders, zumindest langsamer verlaufen wird. In Amerika bietet zum Beispiel Amazon seit Jahren viele E-Books zu Niedrigstpreisen von bis zu 99 Cent an, um sich einen möglichst großen Anteil am entstehenden E-Book-Markt zu sichern. In Deutschland ist eine solche Strategie nicht möglich, denn es gilt eine gesetzliche Buchpreisbindung: Auch für E-Books werden die Preise von den Verlagen verbindlich festgelegt, die in der Regel kein Interesse an Kampfpreisen haben.

Ein weiterer wichtiger Unterschied ist die Dichte des Buchhandelsnetzes: In den USA ist es so ausgedünnt, dass mancher Buchliebhaber hunderte Meilen fahren müsste, wenn er ein gedrucktes Buch in einem klassischen Buchgeschäft kaufen wollte. In Deutschland dagegen kann man, wie es der Bestsellerautor Sven Regener einmal formuliert hat, "keine tote Katze werfen, ohne eine Buchhandlung zu treffen".

Jede zweite Buchhandlung vor dem Aus

Aber wie lange noch? Im vergangenen Jahr schockierte Carel Halff, Geschäftsführer des Buchversenders Weltbild, die Buchbranche zur Frankfurter Buchmesse mit der Prognose, mittelfristig würden "noch einmal 50 Prozent der Flächen und eine vergleichbare Zahl von Standorten" verschwinden. Mit anderen Worten: Jede zweite Buchhandlung in Deutschland steht in den kommenden Jahren vor dem Aus. Diese Prognose ist durchaus plausibel, wenn man die Umsatzentwicklung des stationären Buchhandels anschaut: Die "buchreport"-Statistik, die aufgrund der Daten von fünfhundert repräsentativ ausgewählten Buchhandlungen in ganz Deutschland die Umsatzentwicklung des stationären Buchhandels abbildet, weist für die vergangenen drei Jahre einen Rückgang um insgesamt 7 Prozent aus.

Für eine Branche, in der ohnehin noch nie das ganz große Geld verdient wurde und in der viele Idealisten am Rande der Selbstausbeutung arbeiten, ist das nicht nur viel, sondern dramatisch. Anders als bis vor etwa zwei Jahren sind es nicht mehr nur die kleinen und mittleren Buchhandlungen, die zu kämpfen haben. Nachdem die großen Buchhandelsketten wie Thalia, Hugendubel und Mayersche fast zwei Jahrzehnte lang munter expandiert und schicke, tausende von Quadratmetern große Filialen eröffnet haben, sind sie 2012 für alle Welt sichtbar in die Krise gerutscht. Das ist besonders augenfällig beim Branchenführer Thalia, der zur Zeit reihenweise prestigeträchtige Standorte schließen muss oder bereits geschlossen hat, zum Beispiel im Baedeker-Haus in Essen und am Neumarkt in Köln.

Der Grund für die neue Qualität des Existenzkampfes der stationären Buchhandlungen ist, dass der Siegeszug des Internets die Einkaufsgewohnheiten der Konsumenten verändert hat. Wie andere Einzelhändler leidet auch der stationäre Buchhandel darunter, dass viele Menschen Waren heute nicht mehr im Laden aussuchen und kaufen, sondern im Internet bestellen und sich per Post nach Hause schicken lassen. Das funktioniert mit Büchern (anders als zum Beispiel mit Lebensmitteln) besonders problemlos. Davon profitiert insbesondere der größte Onlinebuchhändler der Welt: Amazon.

Der US-Konzern schreibt in Amerika und Europa seit einem Jahrzehnt eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Beispiellos sind auch Ideenreichtum und Aggressivität, mit dem der Online-Riese zu Werke geht. Branchenbeobachter trauen ihm zu, in den nächsten Jahren das gesamte Gefüge der Buchbranche aus den Angeln zu heben. Seinen Anteil am deutschen Buchmarkt schätzen sie bereits jetzt auf 10 bis 20 Prozent und glauben, dass er sich bis 2020 noch einmal verdoppeln könnte. Für seine Fans ist das Internet-Kaufhaus, das neben Büchern längst auch ein breites Warenhaus-Sortiment anbietet, von technischen Geräten über Kleidung bis hin zu Kosmetik-Artikeln, der kundenfreundlichste und innovativste Online-Händler der Welt. Für seine Kritiker ist es der Totengräber der Buchbranche.

Denn Amazon kämpft um Marktanteile, im wahrsten Sinne des Wortes "ohne Rücksicht auf Verluste". Carel Halff witzelte einmal treffend, der Branche mache zu schaffen, "dass wir gegen die größte Non-Profit-Organisation der Welt antreten". Die "Methode Amazon" ist eine Kombination aus radikaler Kundenorientierung und Kampfpreisen. In Deutschland verhindert die Preisbindung, dass Amazon bei Büchern wie in Amerika einen Preiskampf vom Zaun brechen kann. Aber dafür verwöhnt der Online-Händler seine Kunden kostenlos oder für kleines Geld mit jeder Menge anderem Service. Bereits vor zehn Jahren verzichtete er zum Beispiel darauf, seinen Kunden bei Buchbestellungen Versandkosten zu berechnen. Heute ist etwa Amazons Kindle-Shop für E-Books der technisch beste und komfortabelste auf dem Markt. Seine technisch hochwertigen E-Book-Lesegeräte verkauft Amazon zu Schleuderpreisen, etwa den E-Book-Reader Kindle für 79 Euro und den Tablet-PC Kindle Fire für 159 Euro.

Bei Verlagen ist das Unternehmen Amazon für die Rücksichtslosigkeit gefürchtet, mit der es in Konditionsverhandlungen seine Interessen durchsetzt. Gewerkschafter beklagen das raue Klima und den Druck, unter dem Angestellte und Aushilfskräfte in den Amazon-Logistikzentren durch die Regalreihen hetzen. Berüchtigt ist in der Branche auch der Trickreichtum, mit dem das Unternehmen Steuern spart. Das Europageschäft etwa betreibt Amazon nicht zufällig weitgehend von der Steueroase Luxemburg aus.

In der Buchbranche geht das Wort von der "Krake Amazon" um, die ihre Tentakel in alle Bereiche des Buch- und Mediengeschäfts ausstreckt. So verkauft Amazon nicht nur selber Bücher, sondern bietet auch einen Marktplatz für gebrauchte Bücher und kauft gelesene Exemplare sogar selbst von den Kunden zurück. In den USA hat das Unternehmen schon vor einigen Jahren damit begonnen, eigene Bücher zu verlegen und Bestsellerautoren bei anderen Verlagen abzuwerben. In diesem Jahr startet "Amazon Publishing" auch in Europa.

Wie gefährlich der neue Konkurrent den deutschen Verlagen werden wird, bleibt abzuwarten. Auch Amazon werde die Erfahrung machen, dass Verkaufserfolge im Buchgeschäft so wenig vorhersehbar und planbar sind wie in keiner anderen Branche, sagen deutsche Verleger. Die Grundlage ihrer Gelassenheit ist sicher auch, dass die meisten von ihnen bisher relativ unbeschadet durch die Stürme des Internetzeitalters gesegelt sind. Sicher - sie hatten relativ hohe Investitionen für neue IT-Abteilungen zu stemmen. Aber ihr Geschäft entwickelt sich - anders als das des klassischen Buchhandels - seit Jahren stabil. Dramatische Abgänge wie der des Mannheimer Brockhaus Verlages, der die Konkurrenz für seine Nachschlagewerke durch Wikipedia so lange unterschätzt hatte, bis sie seine wirtschaftliche Basis zerbröselte, sind die Ausnahme.

Anders als die internationalen Verlagsgruppen Random House und Penguin, die im vergangenen Jahr ihre Fusion zum größten Publikumsverlag der Welt bekanntgaben, suchen deutsche Verlage ihr Heil derzeit nicht in immer größeren Konglomeraten, deren praktischer Nutzen in dem durch die Preisbindung befriedeten deutschen Buchmarkt ohnehin begrenzt ist. Nicht zufällig bleibt die deutsche Random-House-Dependance in München bei der internationalen Mega-Fusion außen vor - und ist ihrerseits in unabhängige Profit-Center aufgeteilt.

Auch von einer massenhaften Abwanderung der Autoren zu Self-Publishing-Plattformen, wie Jussi Adler-Olsen sie befürchtet, ist noch nichts zu sehen. "Die meisten Autoren fühlen sich, bei allem Gemecker, doch ganz wohl mit dem Prinzip 'Verlag'", schrieb vor kurzem die Schriftstellerin Zoë Beck im Internet-Kulturmagazin "CULTurMAG". "Da kümmert man sich (meistens ja doch) um einen. Die Lektorin hört zu, wenn man über die Schreibblockade jammert. (...) Die Presseabteilung geleitet einen unfallfrei durch den Lesungsherbst. Deshalb spricht, für die professionellen Autoren, noch zuviel gegen ein Self-Publishing."

Dennoch: Die Verlage sind gewarnt und arbeiten unter Hochdruck an ihren "Hausaufgaben" - vor allem daran, den Anschluss an die technische Entwicklung nicht zu verpassen. Sie experimentieren damit, E-Books mit Filmen, Grafiken und Spielen anzureichern, Romane als Textschnipsel aufs Handy zu schicken oder mit den Lesern über soziale Netzwerke zu kommunizieren. Sie arbeiten an Strategien, um ihre elektronischen Bücher gegen Raubkopierer zu schützen. Und nicht zuletzt daran, ihre Bücher im Internet selbst zu vertreiben. Denn sie wissen nicht, wie lange sie sich noch auf ihren bisher wichtigsten Vertriebspartner, den klassischen Buchhandel verlassen können. Hinter vorgehaltener Hand machen Verlagsleute keinen Hehl aus ihrer Sorge über das, "was da draußen passiert".

Doch "da draußen" gibt es immer wieder auch erstaunlich viele unerschrockene Buchhändler, die neue Buchläden gründen. Zum Beispiel Buch-Enthusiasten, die nach Jahren als Angestellte bei Thalia, Hugendubel & Co. den immer größer werdenden Rentabilitätsdruck, die Konzentration auf Bestseller und "Ergänzungssortimente" aus Buddhafiguren, Kuscheltieren und Lillifee-Radiergummis satt haben. Sie lesen die Bücher selbst, die sie empfehlen. Sie veranstalten Lesungen und Konzerte. Sie richten einen eigenen Online-Shop ein, damit ihre Kunden nicht zu Amazon klicken. "Für fünfhundert unabhängige Buchhandlungen, denen es nicht so gut geht, gibt es fünfhundert, die gesund dastehen", meint der Rostocker Buchhändler Manfred Keiper.

Die Buchbranche, in der noch nie das ganz große Geld verdient wurde, in der die Leidenschaft für das Buch immer schon mindestens ebenso wichtig war wie betriebswirtschaftliche Kennzahlen - diese Branche will sich nicht einfach so vom E-Book, von Amazon oder sonst irgendwem töten lassen.

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David Wengenroth

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