Preis der Freiheit

Eine Kirche ohne Papst - Verlust und Gewinn
Wer einmal eine Gründonnerstagsmesse auf dem Petersplatz mitgefeiert hat, wird das nie vergessen: rote Messgewänder, Palmzweige, die sich im Winde wiegen, Weihrauchschwaden und Chorgesänge. Aber mindestens genauso beindruckt es, die Katholizität der Kirche, ihr weltumspannendes Wesen, hautnah zu erleben.

Manche Protestanten fasziniert das Papsttum wie manche Republikaner die Monarchie. Dabei geht es um Gefühle, aber nicht nur. Man kann für beide Institutionen gute Argumente nennen - und sie am Ende mit ebensolchen ablehnen.

Wer einmal eine Gründonnerstagsmesse auf dem Petersplatz mitgefeiert hat, wird das nie vergessen: rote Messgewänder, Palmzweige, die sich im Winde wiegen, Weihrauchschwaden und Chorgesänge. Aber mindestens genauso beindruckt es, die Katholizität der Kirche, ihr weltumspannendes Wesen, hautnah zu erleben. Dort stehen Studenten des Nordamerikanischen Kollegs, hier sitzen indische Nonnen, links polnische Pilger und rechts Italiener. Sie sind nicht nur gekommen, um Berninis Kolonnaden zu sehen, sondern vor allem den Papst. Er verbindet die Gottesdienstbesucher, so sehr sich ihr Aussehen, ihre Sprachen, Kulturen und Einstellungen auch unterscheiden.

In der evangelischen Kirche spielen Laien seit der Reformation - entsprechend dem Priestertum aller Getauften - eine wichtige Rolle. Trotzdem ist sie eine Pastorenkirche. Lokal, regional und national werden ordinierte Theologinnen und Theologen als Repräsentanten des Protestantismus wahrgenommen. Wie Margot Käßmann. Doch auf der Weltebene bricht dies ab. Und das im Zeitalter der Globalisierung. Sicher, es gibt Generalsekretäre des Weltkirchenrates, des Lutherischen Weltbundes und der Reformierten Weltgemeinschaft. Aber wer kennt ihre Namen? Wer nimmt zur Kenntnis, wenn sie das eine oder andere Land besuchen? Was gilt ihre Äußerung zu Problemen der Weltpolitik?

Das ist beim Bischof von Rom schon anders. Und in Zeiten der Unterdrückung konnten sich Katholiken darauf verlassen, dass hinter den Alpen, ultra montes, einer lebte, der sich frei äußern konnte, weil er den Diktatoren entzogen war. Das ermutigte Katholiken in Hitlerdeutschland und im kommunistischen Polen.

Freilich, wer den römischen Zentralismus der vergangenen Jahre beobachtet und erlebt hat, wie Katholiken darunter litten, ist froh und dankbar evangelisch zu sein. Amtsträger werden von Gremien gewählt, die aus Laien und Geistlichen bestehen. Und Frauen steht das Pfarr- und damit das Bischofsamt offen. Das wurde möglich, nachdem einzelne Landeskirchen vorgeprescht waren und andere folgten. Eine zentralistische Papstkirche schlägt dagegen alle Kulturen über den römischen Leisten.

Aber die starke Autonomie evangelischer Kirchengemeinden und Landeskirchen wird mit einer Leer- oder zumindest Schwachstelle auf der internationalen Ebene erkauft. Wer das bedauert, weil die Katholizität zum Wesen der Kirche gehört, muss zumindest den Weltkirchenrat stärken oder für eine andere, vielleicht noch stärkere internationale Präsenz der papstunabhängigen Kirchen sorgen.

Wenn ein neuer Papst gewählt wird, geht es Protestanten wie Nichtamerikanern bei der Präsidentenwahl in den USA : Sie bleiben Zuschauer, obwohl sich das Ergebnis auf sie auswirkt. So behaften Kirchenferne evangelische Kirchen oft bei Äußerungen und Entscheidungen des Papstes. Daher darf es diesen nicht gleichgültig sein, wer Benedikt XVI . nachfolgt. Man kann, auch für die römisch-katholischen Mitchristen, nur hoffen, dass der neue Papst die Mahnung Jesu beherzigt: "Der Sabbat ist um des Menschen willen da und nicht der Mensch um des Sabbats willen."

Jürgen Wandel

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